Als die 44-jährige Louise (Marina Foïs) in ihren Wagen steigt, weil ihr ansonsten mal wieder ein Strafzettel droht, ahnt sie noch nicht, dass sie diesen im Anschluss sobald nicht mehr verlassen wird. Das hat weniger technische Gründe, das Auto funktioniert so gut wie eh und je. Das Problem ist sie selbst: Sobald sie wieder einen Schritt nach draußen versucht, überkommt sie eine ebenso plötzliche wie heftige Angst. Und was nun? Während sie noch nach einer Lösung oder wenigstens einer Erklärung sucht, was mit ihr los ist, fährt sie ziellos umher, bis das Benzin alle ist. Doch damit gehen die Probleme erst richtig los: Als sie auf einem Parkplatz auf den nächsten Tag wartet, bricht der 20-jährige Paul (Benjamin Voisin) in ihr Auto ein und zwingt sie mit Waffengewalt dazu, ihn ans Meer zu fahren, wo er etwas Dringendes zu erledigen hat …
So kaputt, dass es lustig ist
Auch wenn psychische Störungen eigentlich eine sehr ernste Angelegenheit sind, so finden sich doch immer wieder Filme und Serien, die darin die Komik suchen. Der Hollywood-Hit Besser geht’s nicht brachte mit der Geschichte um einen Zwangsneurotiker zu Oscar-Ehren. Kürzlich nahm sich die deutsche Serie Damaged Goods dieses Themas an, wenn wir einem Freundeskreis folgen, der sich bei einer Gruppentherapie gebildet hat. Und auch in Frankreich darf man über groteske Macken lachen. Zumindest gibt einem die Komödie En roue libre immer wieder Anlass dazu, wenn eine Mittvierzigerin in ihrem Auto gefangen ist und keinen Fuß mehr auf den Boden setzen kann, ohne eine Panikattacke zu erleiden. Darüber sollte man natürlich eigentlich nicht lachen. Man tut es trotzdem.
Ein Grund dafür ist, dass dieses Handicap immer wieder zu absurden Szenen führt. Viele ganz alltägliche Bedürfnisse, die der menschliche Körper so mit sich bringt, sind daraufhin nicht mehr zu befriedigen. Immer wieder müssen Louise und Paul einen Weg finden, mit dieser Eigenart umzugehen. Der andere ist die Willkürlichkeit dieser Attacke: Auch wenn die Protagonistin weiß, wann diese Panik sie überfällt, so kennt sie doch nicht den Grund dafür. En roue libre hat damit einen leichten Mystery-Faktor, denn das Publikum sucht ebenso nach einer Antwort wie die beiden Betroffenen. Zu viel sollte man von dieser aber nicht erwarten. Zwar werden wir irgendwann eine bekommen. Doch der Weg ist das Ziel: Viel wichtiger ist die urkomische Methode, mit der Paul des Rätsels Lösung erzwingen will.
Reise zweier grundverschiedener Menschen
Der Film lebt dabei allgemein von der zwischenmenschlichen Komponente. Allen voran das herausragende Zusammenspiel von Marina Foïs (In den besten Händen) und Benjamin Voisin (Sommer 85) machen den Film zu einem schönen Geheimtipp. Hier treffen, wie so oft bei Roadmovies, zwei grundverschiedene Menschen aufeinander, die erst gar nicht miteinander können, mit der Zeit sich aber immer näher kommen. En roue libre steht in der Hinsicht schon in der Tradition vergleichbarer Filme. So originell die Grundsituation ist, so vorhersehbar ist die grundlegende Dramaturgie dieser Komödie. Außerdem müssen sich die Zuschauer und Zuschauerinnen darauf einstellen, dass nicht alles komplett zu Ende erzählt wird. Das nimmt nicht die frustrierenden Ausmaße an wie etwa bei Menteur. Schade ist es trotzdem.
Dennoch ist Regisseur und Co-Autor Didier Barcelo mit seinem ersten Langfilm ein überzeugendes Debüt geglückt. Es gibt schöne Bilder von dem Trip, zwischendurch rührende Momente, wenn der Ton doch sehr ernst wird, und unterwegs noch diverse skurrile Nebenfiguren, die für Abwechslung sorgen. Auch das Gefühl von Freiheit, welcher der Film trotz des notgedrungen eingeschränkten Auto-Settings vermittelt, trägt dazu bei, dass man sich hier entspannt zurücklehnen und eine gute Zeit haben kann. Umso bedauerlicher ist, dass En roue libre bei seinem Kinostart in Frankreich eher untergegangen ist und hierzulande bislang keiner angekündigt wurde. Nachdem in den letzten Monat viele sehr durchschnittliche Komödien aus unserem Nachbarland zu uns kamen, hätte es diese mehr als verdient, gezeigt und gesehen zu werden.
OT: „En roue libre“
Land: Frankreich
Jahr: 2022
Regie: Didier Barcelo
Drehbuch: Didier Barcelo, Marie Deshaires
Musik: Peter von Poehl
Kamera: Christophe Beaucarne
Besetzung: Marina Foïs, Benjamin Voisin, Jean-Charles Clichet
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