Bereits zu Beginn von Facing Down Under – Die Doku eines Backpackers müssen sich Zuschauer älteren Semesters gut anschnallen. Während wir geflissentlich eine Logik- beziehungsweise Bezugsungenauigkeit im Voiceover ignorieren, werden uns in zu schneller Abfolge ein paar Witze in einem Format präsentiert, das an die bei jüngeren Menschen beliebte Plattform Jodel erinnert, einer Social-Media-Applikation, deren Postings so wirken als wäre sie ein Auffangbecken für all jene, die selbst für Twitter zu unlustig sind. Bei der achtzig-Sekunden-Marke findet sich ein Tippfehler, wenn von „[Aus]trlaien“ die Rede ist. Das wird im Kino natürlich niemandem auffallen, da die Texteinblendungen viel zu schnell über den Bildschirm rasen und es beinahe nur bei einer Frame-für-Frame-Analyse bemerkt werden kann, aber pingelige Filmkritiker mit zu viel Zeit sollten niemals unterschätzt werden. Es handelt sich dabei auch nicht um den einzigen Fehler in diesen Titelkarten (etwa „Total unusual“, „letzes“), was sich vielleicht darauf zurückführen lässt, dass aufgrund der Vorführgeschwindigkeit schlicht nachlässig gearbeitet wurde, dem Motto „wird schon keinem auffallen“ folgend – aber warum das Ganze dann überhaupt in den Film integrieren?
Ein Videotrip nach dem Abitur
Regisseur Chris Hartung hat wie so viele Leute in seinem Alter eine Reise nach Australien unternommen, nachdem er sein Abitur in der Tasche hatte. Anders als viele Leute in seinem Alter hat er das Ganze filmisch festgehalten. Ihm schien es wichtig zu sein, seine so genannte Dokumentation selbst im Voiceover zu kommentieren. Der Authentizität wegen ist das zunächst natürlich ein naheliegender und lobenswerter Gedanke, Chris Hartung jedoch mag viele Talente besitzen, Sprecher für Dokumentationen zu sein gehört leider nicht dazu. Das Skript hätte auch die ein oder andere Überarbeitung vertragen können. Das Projekt mag ihm ja vielleicht am Herzen liegen und sicher ist da der Drang groß, so viel wie möglich im Alleingang zu stemmen. Es ist allerdings keine Schande, sich professionelle Hilfe zu holen, insbesondere bei einer Kinoauswertung. Chris Hartung scheint aber vor allem Chris Hartung wichtig zu sein. Nach etwa 17 Minuten haben wir bereits zwei Monate Aufenthalt in Sydney hinter uns, ohne groß irgendetwas über die Stadt gelernt zu haben – im Prinzip erfahren wir nur, dass Chris Hartung sich fragte, wie wohl die ersten Europäer reagierten, als sie ein ihnen unbekanntes Känguru sahen, dass Chris Hartung überrascht war, dass zwei Drittel der Barbesucher Ausländer sind oder aber dass Chris Hartung verwundert war, jemanden zu treffen, der seine Reise im Internet verfolgt hatte.
Im weiteren Verlauf werden wir Zeuge eines Streits mit einer Vermieterin, die aufgrund eines minimal beschädigten Kühlschranks nicht die volle Kaution zurückzahlen möchte, oder davon, dass die Beziehung mit seiner Freundin nach drei Jahren endete. „Erwartbar“, wie es im Kommentar heißt. Warum das erwartbar war, wird nicht klar. Wie überhaupt sonst wenig im zwischenmenschlichen Bereich klar wird. Das liegt vor allem daran, dass die Narration fast ausschließlich in Form von Hartungs Voiceover stattfindet, und wenn dann einmal jemand vor der Kamera sprechen darf, wird er oft vom Voiceover unterbrochen, in welchem Hartung in eigenen Worten wiederholt beziehungsweise zusammenfasst, was gesagt wurde.
Tolle Bilder mit wenig Inhalt
Die beste Stelle ist jedenfalls, als der Filmemacher darüber berichtet, wie er bei einem Autoverkauf abgezogen wurde und über den Betrüger (mutmaßlich) „was ein verdammter Bastard“ sagt. Das letzte Wort ist leider zensiert, aber der Satz ist emotionaler vorgetragen als alles andere, inklusive der Trennung. Das größte Problem an Facing Down Under – Die Doku eines Backpackers ist, dass es einfach kein Dokumentarfilm ist. Es ist ein glorifizierter YouTube-Vlog. Sicher ist es bemerkenswert, wenn ein 19-Jähriger eine Reise nach beziehungsweise durch Australien unternimmt und das Ganze in einem achtzigminütigen Film festhält. Es ist ebenfalls bemerkenswert, wenn ein 3-Jähriger erkennbare Menschen auf einer Wiese unter der Sonne auf Papier kritzelt. Dieses Bild wird dann allerdings an die Kühlschranktür geheftet und nicht im Kino präsentiert.
Dass sich Hartung als abenteuerlustiger Backpacker inszeniert, sich aber weder alleine irgendwo hin bewegt noch nach Ankunft in Australien jemals wieder einen Rucksack trägt, das Ganze als Selbstfindungsprozess deklariert, und Lebenslehren in Form von pseudotiefgründigen Weisheiten von sich gibt, mag seinem Alter geschuldet und ein Zeichen einer Zeit sein, in der es cooler ist, darüber zu reden, etwas zu tun oder zu sein, als es tatsächlich zu tun oder zu sein. Was ihm jedoch nicht abgesprochen werden kann, ist sein Auge für Bilder. Gut eingefangen und arrangiert, nicht frei von kleineren Makeln, aber definitiv vielversprechend. Jeder fängt irgendwo einmal an, und trotz aller Mängel ist Facing Down Under der erste Schritt in die richtige Richtung, mit dem Hartung seinem Traum näher kommen kann, Filmemacher zu werden.
OT: „Facing Down Under – Die Doku eines Backpackers“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Chris Hartung
Drehbuch: Chris Hartung, Christian Vogel
Kamera: Chris Hartung
Mitwirkende: Chris Hartung
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