Drei Erzählstränge: Eine Weile laufen sie nebeneinander her. Aber dann eskaliert die Situation und verknüpft sie miteinander. Die erste Geschichte dreht sich um Patrick (Gilles Lellouche), der als Umweltanwalt seit Jahren gegen Pestizide kämpft. Aktuell vertritt er Lucie (Chloé Stefani), deren Geliebte an Krebs starb, weil sie jahrelang das Gift auf ihren Äckern versprühte. Auch die Sportlehrerin France (Emmanuelle Bercot) in der zweiten Episode engagiert sich gegen das Pestizid, kämpft aber nicht auf der juristischen, sondern auf der aktivistischen Ebene. Ihr Mann Zef (Yannick Renier) wurde ebenfalls von Pestiziden krank. Und dann gibt es drittens noch Mathias (Pierre Niney), den gut verdienenden Lobbyisten, der der Öffentlichkeit genau das andreht, was niemand mehr braucht, seien es Auspuffgase oder Gift auf dem Teller. Wenn Mathias, Patrick und France aufeinandertreffen, geht es um Vergiftung oder Gesundheit, blühende Landschaften oder totgespritzte Monokultur.
Vor dem Hintergrund der Glyphosat-Debatte
Der Film spielt vor einem Hintergrund, den er aber nicht explizit benennt: 2017 versprach der französische Präsident Emmanuel Macron, er werde das krebserregende Pflanzenschutzmittel Glyphosat verbieten. Drei Jahre später musste er einräumen, das habe er nicht geschafft, obwohl sich an seiner Haltung zur Gefährlichkeit des Pestizids nichts geändert habe. Wie kann das sein? Warum kann der mächtigste Mann eines zentralistischen Staates nicht durchsetzen, was er für richtig hält? Die Antwort gibt der französische Regisseur Frédéric Tellier in einem packenden Ökothriller. Seine Diagnose, verpackt in eine episodische Story um drei Einzelschicksale, lautet: Mit dem biblischen Goliath haben die Pharmariesen von heute wenig zu tun. Sie sind keineswegs plump, sondern so aalglatt, dass man sie kaum zu fassen kriegt.
Eine Runde hoher Herren im noblen Konferenzsaal: Champagner wird gereicht, während auf einer Leinwand ein TV-Interview läuft. Es geht um Kinderarbeit im Kongo, wo Kobalt für E-Autos abgebaut wird. Könnte das Video, das dazu viral ging, ein Trick sein, um die Elektrifizierung von PKWs zu diskreditieren? fragt die Journalistin. Die hohen Herren buhen. Nein, das sei kein Trick, sagt der Minister. Man müsse vor diesem Hintergrund die Debatte um den Verbrennermotor neu bewerten. Schließlich habe der Diesel große Umweltvorteile. Großes Gejohle unter den hohen Herren, Gläser klirren, man prostet sich zu. Das Verrückte dabei: Der Minister wiederholt bis in den Wortlaut hinein genau dieselben Argumente, die der Lobbyist Mathias, Urheber des Videos, kurz zuvor auf einer Podiumsdiskussion vorgetragen hatte, Mathias arbeitet für eine Lobbyfirma, die für alles und jedes Stimmung macht, was der Industrie in den Kram passt. Ganz egal, ob Diesel oder Glyphosat, das im Film „Tetrazine“ heißt.
Mathias ist gut in seinem Job. Das mag damit zusammenhängen, dass seine schmale Statur und seine sanften Augen den Wolf im Schafspelz hervorragend kaschieren. Die vorgespielte Ehrlichkeit verschafft ihm einen entscheidenden Vorteil gegenüber den beiden anderen Protagonisten des Films, die tatsächlich ehrlich sind.
Dass Goliath nicht von „Monsanto“ und „Glyphosat“ spricht, obwohl es genau darum geht, hat nicht nur juristische Gründe, sondern einen dramaturgischen Vorteil. Die Fiktionalisierung ermöglicht es Regisseur Frédéric Tellier (L’affaire SK1, 2014), den komplexen Stoff in eine dichte Inszenierung zu packen. Und: Lobbyarbeit findet überwiegend im Geheimen statt, ihr kann man schwer mit dokumentarischen Mitteln beikommen. In der Figur des hauptberuflichen Faktenverdrehers Mathias dringt der Film dagegen tief in die Mechanismen einer gefährlichen Unterwanderung von Politik und Gesellschaft ein. „Händler des Zweifels“ nennt sich der smarte Vasall des Kapitals einmal. Genau darin besteht sein Geschick: Leute zu verunsichern, Wissenschaftler auf seine Seite zu ziehen, auf der Klaviatur der sozialen Medien zu spielen. Zugleich hat er auch den „Mann fürs Grobe“ in seinem Repertoire. Er versteht es, einzuschüchtern, zu bestechen und sogar einen Schlägertrupp vorbeizuschicken. Pierre Niney spielt das in einer irrlichternden Mischung aus Verschlagenheit, doppelter Moral und einer Art Persönlichkeitsspaltung. Immer wieder ertappt man sich dabei, ihm tatsächlich glauben zu wollen, dass es ihm nur um das Wohl von uns allen geht.
Machenschaften des Lobbyismus
Selbstverständlich schlägt das Herz des Films für die gute Sache, für die ehrlichen kleinen Leute wie den Anwalt und die Lehrerin. Aber eine Erin Brockovich (2000) oder ein Anwalt wie Mark Ruffalo in Vergiftete Wahrheit (2019) von Todd Haynes können sie nicht werden. Dagegen sprechen die Fakten des Monsanto-Falls. Obwohl interne Firmenpapiere ans Licht kamen, die die dunklen Machenschaften des Konzerns enthüllten, verlängerte die EU-Kommission 2017 die Zulassung von Glyphosat um weitere fünf Jahre. Insofern macht der Filmtitel schon klar, dass die Davids dieser Welt noch eine Weile weiterkämpfen müssen. Das passt nicht richtig ins Konzept eines klassischen Öko-Thrillers und es schwächt auch die Identifikationsmöglichkeiten mit den eigentlichen Helden des Films. Trotzdem bleibt es ein Riesen-Verdienst, die Machenschaften des Lobbyismus einmal in ihrer ganzen Breite und Tiefe aufzufächern, ohne in Dämonisierung zu verfallen. Das Böse ist in unserer social-media-geprägten Welt immer schwerer zu fassen. Es verändert sich wie ein Chamäleon und verbirgt seine Fratze hinter vermeintlichem Gutmenschentum.
OT: „Goliath“
Land: Frankreich
Jahr: 2021
Regie: Frédéric Tellier
Drehbuch: Frédéric Tellier, Simon Moutaïrou
Musik: Christophe Lapinta, Frédéric Tellier
Kamera: Renaud Chassaing
Besetzung: Pierre Niney, Gilles Lellouche, Emmanuelle Bercot, Laurent Stocker
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)