Julia Becker steht seit 2009 vor Film- und Fernsehkameras. 2017 führt sie bei Maybe, Baby! erstmals auch Regie, mit sich selbst in einer der vier Hauptrollen. Das hat ihr so gut gefallen, dass nun ihre zweite Regiearbeit Over & Out folgt, ebenfalls mir ihr in einer der vier Hauptrollen. Es geht um die Freundinnen Lea (Jessica Schwarz), Toni (Petra Schmidt-Schaller), Maja (Nora Tschirner) und Steffi (Julia Becker). Als Teenager waren sie ein Herz und eine Seele, nannten sich „Die Muskeltiere“. Mehr als 20 Jahre später gehen sie privat und beruflich höchst unterschiedliche Wege. Lea zum Beispiel ist eine ehrgeizige Businessfrau geworden, Toni eine coole Rocksängerin. Man trifft sich hin und wieder und als Maja an einen Schwur der Muskeltiere erinnert, lassen die drei anderen alles liegen und stehen und reisen zur Hochzeit der Freundin nach Italien. Zum Kinostart am 31. August 2022 sprachen wir mit Julia Becker über ihre spezielle Art des Humors, über die Herausforderungen der Freundschaft und über das Regie-Führen aus der Szene heraus.
Wie ist die Idee für den Film entstanden?
Ich wollte unbedingt einen Film über vielschichtige Frauencharaktere in der Mitte des Lebens drehen. Welche Schwierigkeiten haben sie miteinander und welche komischen Verwicklungen entstehen dabei? Dann habe ich nach dem Punkt gesucht, um den sich alles dreht. So bin ich auf die Idee gekommen mit der Freundin, die eine Überraschung für die drei anderen Frauen bereithält. Parallel kam die Idee mit der Reise dazu. Dann habe ich nur noch hin- und herüberlegt wegen der Frage nach dem Zeitpunkt, an dem die drei anderen die Wahrheit über ihre Freundin erfahren.
War von vornherein klar, dass es eine Komödie werden wird?
Ja. Meine Art zu erzählen ist tragikomisch, weil ich auch das reale Leben so wahrnehme. Ich kann am besten meinen Geist und mein Herz aufmachen, wenn ein Stoff nicht nur dramatisch ist und mich runterzieht. Mein Ziel war, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer das Gefühl haben, mit im Auto zu sitzen und mit den Freundinnen zu lachen und zu weinen. Ich finde, dadurch kommt man der Realität am nächsten.
Es sollte wohl aber auch keine reine Mainstream- und Schenkelklopfer-Komödie werden. Oder?
Wir haben es von Anfang an „kommerzielles Arthouse“ genannt. Ich finde, das trifft die Eigenheiten meines Humors sehr gut. In den USA gibt es viele tolle Vorbilder, die nicht Mainstream sind, aber auch beides haben, Tragik und Komik. Ich glaube, mein eigener Humor zeichnet sich dadurch aus, dass ich die Figuren mit ihren Problemen ernst nehme, und dass sich die dramaturgischen Verwicklungen aus den kleinen menschlichen Makeln ergeben, die jeder hat. Dadurch kann das Publikum gut andocken, weil es das Gefühl hat: Das kenne ich oder das ist meiner Mutter oder meiner Freundin neulich auch passiert.
Im Abspann gibt es den Dank an die eigenen Freundinnen. Wie viele eigene Erfahrungen stecken in der Geschichte?
Es stecken viele Erfahrungen von Freundinnen und Frauen und Mädchen in meinem Umfeld drin, natürlich auch von mir selbst. Keine Figur ist eins zu eins aus dem realen Leben genommen, aber jede setzt sich zusammen aus tollen Frauen, die ich kenne. Dadurch werden die Charaktere vielschichtig und haben Probleme, die vielleicht auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, aber beim zweiten Blick merkt man, dass die Figuren doch in sich stimmig sind. Ich beobachte sehr genau. Wenn man mit mir zusammen ist, muss man auf der Hut sein.
Dass man nicht im nächsten Film auftaucht?
Genau. Ich habe schon wieder eine lange Liste mit Notizen fürs nächste Drehbuch. Meine Freundinnen und Bekannten rollen immer lachend mit den Augen, wenn ich mein Handy zücke und Notizen hineintippe. Nach dem Motto, oje jetzt hat sie wieder etwas entdeckt. Oft schreibe ich auch Situationen auf, die im Moment eigentlich total tragisch sind oder wo man denkt, es ist etwas Schlimmes passiert. Aber im Nachhinein lacht man über solche Missgeschicke.
Bei Ihrem ersten Film Maybe, Baby! haben Sie eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um die Finanzierung auf die Beine zu stellen. Wie haben Sie für Over & Out das Geld zusammenbekommen?
Ganz klassisch. Die Produktionsfirma hat Förderanträge eingereicht. Wir hatten die „Moin-Filmförderung“ mit drin, die FFA und die FFF. Der Verleih Warner Bros. ist als Koproduzent mit eingestiegen. Also alles ganz anders als beim ersten Mal.
Crowdfunding hat manchmal auch den Zweck, unabhängig zu sein und sich nicht von Redaktionen und anderen Leuten reinreden zu lassen. Wie war es hier angesichts des größeren Budgets? Haben viele reingeredet?
Ich hatte Sorge, dass aus dem Drehbuch, das mir sehr am Herzen liegt, irgendwann durch Einwände und Kommentare etwas anderes wird. Das ist aber nicht passiert. Wir sind mit dem fertigen Buch an Warner herangetreten und haben gefragt, ob sie an der Geschichte interessiert wären. Da hatten wir auch schon fast die komplette Besetzung an Bord. Die Schauspielerinnen und Schauspieler hatten bereits zugesagt, als wir noch dachten, wir wären ein Low-Budget-Film. Bei Warner fanden sie das Buch toll. Sie sagten, es gehe nur um Details. Das Feedback war sehr hilfreich und es wurde eine super Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Sie sind Schauspielerin und stehen weiterhin regelmäßig vor der Kamera. Inwiefern hilft das bei der Arbeit mit den Schauspielerinnen und Schauspielern?
Ich weiß und verstehe, dass jeder Schauspieler etwas anderes braucht, um seine beste Performance abzuliefern. In meiner Arbeit mit Regisseuren habe ich oft erlebt, dass sie nur eine Art haben, Leuten Anweisungen zu geben. Ich glaube, das ist falsch. Man braucht ein Gefühl dafür, wann es jemandem gut geht und wann weniger gut. Braucht jemand mehr Anleitung oder mehr Zurückhaltung? Das habe ich über die Jahre viel beobachtet an den unterschiedlichsten Sets. Das hilft mir jetzt total.
In Over & Out stehen Sie vor und hinter der Kamera. Wie hat das funktioniert, wenn Sie gespielt haben? Wer stand dann hinter der Kamera? Ihre Figur Steffi ist ja eine der der Hauptrollen.
Wenn ich spielte, stand keiner hinter der Kamera außer dem Kameramann. Ich brauche keinen, der Co-Regie führt, das mache ich schon selber. Wenn ich in der Szene bin, habe ich ein sehr gutes Gefühl dafür, ob sie funktioniert. Wenn man sich da hineinbegibt und es knallt emotional, dann spürt man das einfach. Ich finde sogar, dass man es besser spürt, als wenn man außen steht. Natürlich checkt man, ob der Bildrahmen und das Licht stimmen. Aber beim emotionalen Kern des Zusammenspiels verlasse ich mich auf mein Gefühl. In den zwei, drei Momenten des Zweifels fragte ich meine Kolleginnen Jessica und Petra: Hast du mir das gerade geglaubt? Die haben ja auch ein Gefühl dafür. Ich fand das eine wunderschöne Zusammenarbeit.
Heißt das, Regie ist überbewertet?
Gar nicht. Ich führe sehr viel Regie und gebe viele Anweisungen. Gerade wenn es um die Dialoge geht, bin ich detailversessen. Ich höre sehr auf die Tonalität und die Zwischentöne. Aber ich sehe und höre eben während des Spiels, was noch fehlt oder was sogar on Top ist, was also von meinen Mitspielerinnen zusätzlich kommt. Regie ist sehr, sehr wichtig. Zum einen, um eine Vision umzusetzen. Zum anderen findet Regie ja nicht nur während des eigentlichen Drehens statt, sondern man muss vorher sehr viel mit dem Szenenbildner und dem Kameramann und der Maskenbildnerin besprechen. Gerade das Maskenbild war hier auch sehr wichtig. Wir sind ja drei Frauen, die ständig Veränderungen durchmachen, von Sonnenbrand bis Tattoo. Das ist der Wahnsinn.
Gab es Überlegungen, die Figur der Steffi, die Sie spielen, mit jemand anderem zu besetzen?
Was mir von Anfang an klar war, war, dass ich spiele. Aber es stand noch nicht von Beginn fest, welche Figur ich übernehme. Erst nach dem Abschluss des Drehbuchs habe ich mich entschieden, dass ich in die Rolle der Steffi schlüpfe.
Hängt das damit zusammen, dass Ihre Spiellust so groß ist?
Ja, definitiv. Und ich denke, es gibt genügend Männer, die das so machen, vor und hinter der Kamera zu stehen. Warum also nicht auch wir Frauen?
Ich empfinde den Film bei allem Humor und bei aller Tragik auch als eine kleine Abhandlung über Freundschaften, ohne dass das groß in den Vordergrund gestellt wird. Haben Sie über dieses Thema auch zusätzlich recherchiert oder stammt das alles aus eigenen Erfahrungen?
Es sind eigene Erfahrungen. Ich habe viele Freundinnen von früher, die mir sehr wichtig sind. Am Anfang zieht man an einem Strang und hat viele gemeinsame Interessen. Später entwickelt man sich zwangsläufig auseinander und jeder will auch seine Grenzen abstecken und eigene Entscheidungen treffen, die vielleicht nicht jeder gefallen. Wenn man älter wird, steht man voreinander und jede weiß, es gibt gute und schlechte Sachen im Leben. Dann kommt es darauf an, ob man ehrlich sein und zugeben kann, wenn Dinge nicht gut laufen. Wenn man das schafft und sich eingesteht, dass man eine Entscheidung am Anfang richtig gut fand und dass sie trotzdem in die Hose ging, können Freundschaften noch einmal einen richtigen Aufwind bekommen. Wenn man es nicht hinkriegt, irgendwann nackt voreinander zu stehen, wie das auch im Film passiert, dann geht es nach meiner Erfahrung auseinander. Das fand ich spannend, zu erzählen, und auch dem Publikum Mut zu machen, auf seine Freunde zuzugehen und zu fragen: Geht’s dir gut oder läuft vielleicht etwas schief? Ich hoffe, dass der Film so etwas in den Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauer anschiebt.
Was ist bei Frauenfreundschaften anders als bei Männerfreundschaften?
Grundverschieden sind sie nicht. Nach dem, was mir Leute spiegeln, die den Film schon gesehen haben, können auch Männerfreundschaften so verlaufen, wie es im Film gezeigt wird. Bei Frauen ist allerdings immer noch ein entscheidender Punkt die Kinder-Entscheidung. Die Entscheidung für oder gegen Kinder wird bei uns Frauen irgendwann getroffen, meist spätestens um die 40, und ist dann eben final. Das kann manchmal trennen, weil sich die Leben dann sehr auseinander entwickeln können, wenn man nicht aktiv dran bleibt. Das scheint bei Männern oft anders.
In letzter Zeit sind mehrere deutsche Komödien herausgekommen, die nicht nur eine Frau in der Hauptrolle haben, sondern drei oder vier. Ist das Zufall oder ein Trend?
Das scheint ein Trend zu sein. Viele hatten ein zeitgeistiges Gespür. Die Verleiher haben gesagt, wir brauchen mal ein paar Frauen. Das ist gut. Ich finde es spannend, dass es jetzt drei ganz unterschiedliche Filme gibt mit mehreren Frauen. Mal schauen, wie viel da noch hinterher kommt.
Gibt es ein neues Projekt und können Sie schon etwas darüber verraten?
Es gibt etwas, aber ich kann noch nichts darüber verraten. Ich mache mir ja meine Notizen und deshalb liegt immer etwas in der Schublade. Wenn der Kinostart von Over & Out war, werde ich mich an den Schreibtisch setzen und dann sprechen wir uns hoffentlich in vier Jahren wieder.
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