Als eine Person des öffentlichen Lebens ist es immer ein Spagat zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen zu unterscheiden. Besonders in der Musikszene ist dieses Konzept bisweilen besonders heikel und entscheidet darüber, ob ein Auftritt oder ein Album, eine Karriere besiegeln könnte. Dabei erscheint die viel größere Hürde zu sein, so etwas wie Authentizität zu erhalten, wenn man auf einmal in allen Charts vertreten ist und sich eine Single oder ein Album besonders gut verkauft. Es gibt unzählige Beispiele von Bands oder Musikern, denen dieser Sprung nicht besonders gut bekommen ist, die auf einmal zum Mainstream zählten und daher auf einmal ihre Fans verloren haben. Anders ist es, wenn auf einmal das Private in jenes Bild einbricht, was man von einem Künstler hat, und diese für viele zerstört, wie man ebenfalls anhand vieler Beispiele sehen kann. Besonders im Mainstream sind solche Bilder oder Images wichtig, ist für ein Management oder eben ein Plattenlabel wichtig, dass man in eine bestimmte Form hineinpasst und damit ein bestimmtes Publikum anspricht, welches wiederum jene Platten kauft und auf die Konzerte eines Künstlers geht. Einen eigenen Kopf zu haben, wie es sprichwörtlich heißt, ist von daher eher von Nachteil, wie man fast jedes Jahr bei den vielen Castingshows sehen kann, da man dort auch immer nach jenem „Star“ sucht, der auf der einen Seite authentisch, aber anderseits auch wieder in der Lage ist, eine Vielzahl von Geschmäckern zu bedienen.
Angesichts dieser Idee ist es immer wieder interessant zu sehen, wenn ein Künstler oder eine Künstlerin von der Norm abweicht, was bei der irischen Sängerin Sinéad O’Connor nicht nur der Fall ist, sondern in gewisser Weise ihre gesamte Karriere ausmacht. Als sie ihre Karriere als Musiker Ende der 1980er begann und sich in Sachen Mode nichts vorschreiben lassen wollte und wenig später durch ihren kahl rasierten Schädel jedwedes Schönheitsideal unterwanderte, konzentrierten sich die Medien in erster Linie auf diese Aspekte und weniger auf ihre Musik. In ihrer Dokumentation Nothing Compares, benannt nach O’Connors bekanntestem Hit Nothing Compares 2 U, erzählt Regisseurin Kathryn Ferguson vom Leben und Schaffen der irischen Musikerin. Anhand vieler Archivaufnahmen, Interviews, Auszügen aus Musikvideos und viel anderem Material entwirft sie das Porträt einer Künstlerin, die ihrer Zeit voraus war und in vielen Aspekten dies nach wie vor noch ist. Darüber hinaus wirft der Film einen Blick auf O’Connors Leben nach jenem Eklat bei einer Aufnahme der NBC-Show Saturday Night Live, während der sie ein Foto des damaligen Papstes Johannes Paul II. vor laufender Kamera zerriss, wobei die Regisseurin im Zusammenhang mit der vorherigen Lebensgeschichte der Musikerin dies in einen weiten Kontext setzt. Die Dokumentation, die auf dem diesjährigen Sheffield Docfest zu sehen ist, wird damit auch zu einem Film über die öffentliche Meinung und wie eine entsprechende (einseitige) Berichterstattung über eine Karriere wie auch ein Menschenleben entscheiden kann.
Gegen alle Regeln und Vorgaben
In 97 Minuten präsentiert Ferguson das Porträt einer Künstlerin und Frau, die sich gegen jegliche Vorgaben wehrte, seien es jene ihres ersten Managers oder später die der Medien und des Publikums, die nicht damit klarkamen, dass sie sich ihren Mund nicht verbieten lassen wollte. Neben den Hintergründen zu ihren Songs, ihren Ursprüngen in ihrer Heimat Irland sowie ihren Umgang mit jenem Skandal 1992 sind es vor allem die Statements der Sängerin, für die sie noch nie wirklich Worte brauchte. Wie viele ihrer Kollegen und Mitstreiter berichten, war es der Kontrast zwischen dem kahlen Schädel, der Anfang der 1990er eine gewisse Aggressivität suggerierte, und O’Connors intensiven Augen, die mehr zu sagen wussten, als man dachte. Die Auftritte der Sängerin wie auch die Musikvideos, natürlich vor allem jenes zu Nothing Compares 2 U, entfalten ihre Wirkung gerade deswegen. Es ist eine sensible, verletzliche Seele, die aber auf jeden Fall gehört werden will, und dabei Dinge ausspricht, die ihr, wie auch dem Zuschauer oder -hörer in der Seele wehtun.
Letztlich zeigt Nothing Compares anhand des bereits erwähnten Materials das Bild einer Frau, die durch die Kindheit, ihre Beziehung zur Mutter sowie der streng religiösen Erziehung, die sie bereits früh mit Dingen wie Missbrauch und Gewalt konfrontierte, geprägt haben. O’Connor wird als eine Kämpferin gezeigt, deren Stimme repräsentativ für viele wurde und aussprach, was viele nicht wagten zu erwähnen, was sie immer wieder zu einer Persona non grata machte. Leider hört die Dokumentation hier auch auf und ignoriert das spätere Leben und Schaffen O’Connors, was durch einen kurzen Livemitschnitt sowie einige Texttafeln zumindest der Vollständigkeit halber erwähnt wird. Ihre etwas aktuelleren Positionen zu Themen wie Religion, dem Brexit oder psychische Krankheiten wären genauso lohnenswert gewesen für eine solche Dokumentation.
OT: „Nothing Compares“
Land: UK, Irland
Jahr: 2022
Regie: Kathryn Ferguson
Drehbuch: Eleanor Emptage, Kathryn Ferguson, Miachael Mallie
Musik: Irene Buckley, Linda Buckley
Kamera: Luke Jacobs
Sundance Film Festival 2022
Tribeca Film Festival 2022
Sheffield Docfest 2022
Zurich Film Festival 2022
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