Warum musste ihr Vater auch so weit rausziehen? Als Cami (Jordan Hayes) am Flughafen ankommt, ist es bereits so spät, dass sie den erstbesten Fahrer nehmen muss, den sie finden kann. Und dieser Fahrer ist Spencer (Max Topplin). Ihre Begeisterung über ihn hält sich in Grenzen. So nervt er sie schnell mit seinem Dauergeplapper, obwohl sie eigentlich nur ihre Ruhe haben will. Außerdem ist er irgendwie unheimlich. Aber eine große Wahl hat sie nicht. Bald hat sie ohnehin ein ganz anderes Problem, als sich die zwei auf dem Weg zu ihrem Vater hoffnungslos verfahren. Nicht nur dass sie keine Ahnung haben, wie sie aus dem Wald wieder herausfinden sollen. Sie merken zudem schnell, dass sie nicht alleine sind …
Endstation Wald
So ein Wald kann eigentlich eine ganz schöne Sache sein, mit der Natur, der Ruhe, den Tieren. Außer man schaut sich einen Horrorfilm an. Denn die sehen in diesem Setting vor allem die unheimlichen Aspekte: Man verliert schnell die Orientierung, der Ort ist oft eher dunkel, aufgrund der Übersichtlichkeit kann überall etwas auf dich lauern. Außerdem ist man meist weit entfernt von der rettenden Zivilisation, weshalb dunkle Mächte mehr oder weniger ungestört schalten und walten können. Kein Wunder also, dass gefühlt jeder dritte Genrevertreter in einem Wald spielt. In The Blair Witch Project war dieser sogar der Antagonist, auch in Tanz der Teufel mischten die Bäume kräftig mit. Zuletzt nutzten etwa Ditched oder Wicked Witches die spezielle Atmosphäre von Wäldern, um ihre Geschichten zu erzählen.
Wenn in The Toll Man eine nächtliche Fahrt durch einen Wald geht, weiß das geneigte Publikum daher von vornherein: Das kann nicht gut ausgehen! Wobei schon vorher klar ist, dass da etwas Unheimliches droht. Im Gegensatz zu anderen Horrorfilmen sind sich die Figuren hier durchaus bewusst, dass die Welt da draußen mit Gefahren verbunden ist. Vor allem Cami begegnet ihrem Fahrer mit einer gesunden Portion Misstrauen. Sie blockt auch jeden Versuch des Unbekannten ab, sie näher kennenzulernen, wobei offenbleibt, ob dies nun Ausdruck ihrer Persönlichkeit ist oder der Uhrzeit geschuldet. Schließlich ist es bereits spät in der Nacht. Da sinkt die Empfänglichkeit für Smalltalk. So oder so, der Film setzt von Anfang an auf Reibungen – eine wichtige Voraussetzung für die später einsetzende Geschichte.
Gute Idee zu wenig genutzt
Regisseur und Drehbuchautor Michael Nader, der zuvor eine Reihe von Kurzfilmen gedreht hatte, lässt sich dabei viel Zeit, bis er die Katze aus dem Sack lässt. Der Titel seines Spielfilm-Debüts wie auch die offizielle Inhaltsbeschreibung verraten leider relativ viel vorab. Bei der Geschichte hingegen bleibt es sehr lange offen, was genau eigentlich los ist. Zuvor setzt The Toll Man im Gegenteil vor allem auf eine Mystery-Atmosphäre. Zusammen mit den beiden Figuren soll das Publikum rätseln, was es mit den eigenartigen Erfahrungen auf sich hat, welche sie bei der nächtlichen Fahrt machen. Klar ist nur, dass da irgendetwas in dem Wald lebt und nicht vorhat, die Eindringlinge ohne Weiteres gehen zu lassen. Dass da noch irgendein Unglück folgen muss.
Die eigentliche Auflösung hinterlässt gemischte Gefühle. Eigentlich hat die Geschichte jede Menge Potenzial, um die ohnehin schon vorherrschenden Spannungen auf die Spitze zu treiben. Nader nutzt das aber zu wenig aus und flüchtet sich stattdessen in ein recht billiges Finale, welches es sich schon sehr einfach macht. Es ist nicht einmal sonderlich konsequent. Das ist schade, weil der Film damit nicht nur unter den Möglichkeiten bleibt. Er hatte zuvor außerdem eine sehr schöne Atmosphäre. Doch trotz der kleinen Mängel und ungenutzten Chancen ist The Toll Man ein solider kleiner Indie-Horror geworden. Außerdem ist der Film ein vielversprechendes Debüt für den Nachwuchsregisseur.
OT: „The Toll“
Land: Kanada
Jahr: 2020
Regie: Michael Nader
Drehbuch: Michael Nader
Musik: Torin Borrowdale
Kamera: Jordan Kennington
Besetzung: Jordan Hayes, Max Topplin
SXSW 2020
Sitges 2020
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