Alice Schwarzer
© Cristina Perincioli / Derflinger Film / Mizzistock / Bettina_Flitner

Alice Schwarzer

„Alice Schwarzer“ // Deutschland-Start: 15. September 2022 (Kino)

Inhalt / Kritik

Sie gehört ohne Zweifel zu den bekanntesten Verlegerinnen Deutschlands. Aber auch zu den kontroversesten: Alice Schwarzer wurde als Vorreiterin des Feminismus zu einer Reizfigur für viele Menschen und war Mittelpunkt zahlreicher Diskussionen. Teils weil sie den verkrusteten Strukturen einer patriarchischen Gesellschaft den Kampf angesagt hatte, was naturgemäß bei vielen Männern nicht auf Gegenliebe stieß. Teils aber auch weil sie den Streit offensichtlich genoss und weniger Interesse an einer wirklichen Auseinandersetzung hatte. Ihr ging es um die Verbreitung ihrer Position, nicht um die Suche nach einer Position. Kompromissfähigkeit ist keine Eigenschaft, die man mit der Publizistin verbinden würde. Demut ebenso wenig. Das zeigt auch der Film Alice Schwarzer, der ein wenig hinter die Kulissen blickt und die Ikone zu Wort kommen lässt. Genauer kombiniert Regisseurin Sabine Derflinger (Tatort: Angezählt) in ihrem Dokumentarfilm Archivaufnahmen, die Schwarzer etwa bei Fernsehaufzeichnungen zeigten, mit aktuelleren Interviews.

Keine inhaltliche Auseinandersetzung

Der Fokus liegt dabei stark auf ihr selbst. Andere Stimmen sind kaum zu hören, sieht man einmal von ihrem direkten Umfeld ab. Die haben natürlich nur Positives zu berichten, man bestätigt sich hier gegenseitig. Wie so oft bei biografischen Dokumentarfilmen, bei denen eine berühmte Persönlichkeit porträtiert wird, fehlt es an einer kritischen Distanz zum Thema. Fehlt es an Gegenpositionen, die eine wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung mit Schwarzers Überzeugungen ermöglichen. Nur selten lässt der Film eine tatsächliche Diskussion zu, etwa bei den besagten Fernsehaufzeichnungen. Selbst beim berühmten Fall Kachelmann, wo sich die Publizistin einseitig zur Anklägerin bekannte, behält sie sich das letzte Wort vor. Selbstkritik? Gibt es nicht.

Der Film macht dann auch einen Bogen um thematische Minenfelder, die dieser Heiligsprechung zuwiderlaufen könnten. Der Skandal um ihre Steuerhinterziehung wird völlig verschwiegen. Auch ihre problematischen Einstellungen zur Transsexualität finden keine Erwähnung. Dafür gibt es einiges zu ihrer Einstellung zum Islam zu hören, genauer zur Kopftuchdebatte, die ihr den Vorwurf des Rassismus eingebracht hat. Das ist dann auch einer der spannendsten Abschnitte in dem Film, wenn sie dem Individuum das Recht auf das Kopftuch zuspricht, das öffentliche Zeigen aber verurteilt. Zu gern hätte man an der Stelle gehört, was die junge Frau im Kopftuch zu sagen hat, mit der sie sich in einer Szene darauf einigt, im Kontakt zu bleiben.

Interessante historische Komponente

Allgemein wäre es schön gewesen, junge Feministinnen der Gegenwart zu hören und inwiefern sie mit den Thesen der Vorreiterin übereinstimmen. Ist Schwarzer heute noch relevant und eine progressive Stimme bei dem Kampf um Gleichberechtigung? Oder ist sie doch nur selbst ein Machtmensch, der an überholten Positionen festhält? Aber diese Art Film wollte Derflinger offensichtlich nicht drehen. Ihr geht es um die Würdigung einer Frau, die wie kaum eine andere den Kampf geführt hat und dabei gerade in den Anfangsjahren viele Impulse geliefert hat. Interessant ist dabei beispielsweise der Verweis auf historische Feministinnen, die schon lange vor ihr auf ihre Weise für Verbesserungen eintraten, später aber in Vergessenheit geraten sind. Leider ist auch der Part recht kurz, es bleibt bei einigen Schlagzeilen und eingeblendeten Blättern.

Dennoch: Für Momente wie diese lohnt es sich, den Dokumentarfilm, der unter anderem auf dem DOK.fest München 2022 lief, anzuschauen. Gerade die lange zeitliche Spanne, die Alice Schwarzer abdeckt, von den Anfängen bis heute, ermöglicht einen Blick auf die verschiedensten Wandel in der Gesellschaft und in den Medien. Auch die thematische Bandbreite, von Familie-Beruf-Doppelbelastung über Prostitution bis zu Pornografie und sexualisierten Darstellungen, machen das Werk sehenswert. Man darf nur eben nicht erwarten, dass dieses verschiedene Perspektiven einnimmt im Sinne eines neutralen Journalismus, sondern in erster Linie eine Verneigung vor einer Frau darstellt, die einen bedeutenden Anteil am deutschen Feminismus hatte und dabei vieles angestoßen hat, was heute als selbstverständlich gilt.

Credits

OT: „Alice Schwarzer“
Land: Deutschland, Österreich
Jahr: 2022
Regie: Sabine Derflinger
Drehbuch: Sabine Derflinger
Musik: Gerald Schuller
Kamera: Christine A. Maier, Isabelle Casez

Bilder

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Alice Schwarzer
fazit
„Alice Schwarzer“ porträtiert die gleichermaßen berühmte wie kontroverse Publizistin, die maßgeblich feministische Debatten in Deutschland mitgeprägt hat. Wie bei so vielen anderen biografischen Dokumentarfilmen fehlt jedoch die kritische Distanz. So gibt es keine Gegenstimmen, welche eine inhaltliche Auseinandersetzung erlauben würden. Die Breite der Themen sowie die historische Komponente machen den Film dennoch sehenswert.
Leserwertung9 Bewertungen
3.3