Helga (Ulrike Willenbacher) sitzt tief im Loch, und das ganz wörtlich. Beim Versuch, eine Spinne zu vertreiben, stürzt die 62-Jährige vom Hocker und kracht durch die Holzabdeckung des Heizungsschachts vor dem bodentiefen Fenster ihres luxuriösen Einfamilienhauses. Hilfe ist nicht in Sicht, wenn man so abgeschirmt wohnt. Helga muss mit gebrochenem Fuß die ganze Nacht durchstehen, bis am Morgen Putzfrau Isabella (Gabriela Muskala) den Staubsauger ins Wohnzimmer rollt und zu Tode erschrickt. Auch nach dem Krankenhausaufenthalt bleibt es einsam um die vornehme Lady aus der oberen Mittelklasse. Ex-Ehemann Franz (Ueli Jäggi) stellt lediglich eine Krücke vor die Tür, Tochter Miriam (Franziska Machens) hat keine Zeit und die Putzfrau fährt in Urlaub, will aber Ersatz besorgen. Und so steht eines Morgens der auch nicht mehr ganz junge Putzmann Ryszard (Zbigniew Zamachowski) vor der Tür. Er versteht kein Deutsch, sie kann kein Englisch. Und von den äußerst genauen Ordnungsregeln der besseren Leute hat der unbeholfene Pole ebenfalls wenig Ahnung. Was soll das werden? Auf jeden Fall eine Komödie mit Screwball-Potenzial.
Ein Kontrollfreak
Um Helgas Persönlichkeit besser zu verstehen, hilft es, noch einmal zur Szene nach dem Sturz zurück zu blenden. Die geschundene Frau sitzt noch im Loch, aber die Putzfrau ist schon da und kann ihr das klingelnde Telefon reichen. Freundin Rita (Doris Buchrucker) ist dran. Schon wieder muss sie den gemeinsamen Konzertbesuch absagen. „Und wie geht‘s dir?“, erkundigt sie sich. „Alles gut“, antwortet Helga mit aufgeräumter, gefasster Stimme. Kein Wort von dem Sturz, keine Träne über den schmerzenden, feststeckenden Fuß, und erst recht kein trauriger Unterton über die missliche Lage, in die sie vor zwei Jahren geriet, als der Ehemann, ein angesehener Mediziner, sie sitzenließ zugunsten der Empfangsdame seiner Praxis. Helga ist gewohnt, ihr Leben unter Kontrolle zu halten, vom perfekten Zustand ihres Eigenheims bis zur adretten Erscheinung auf dem gesellschaftlichen Parkett und bei regelmäßigen Kartenspiel-Treffen mit der hinterhältigen Brigitte (Imogen Kogge) und zwei weiteren Freundinnen.
Aus Sicht einer jungen, emanzipierten, berufstätigen Frau wäre es leicht, sich über jemand Altmodischen wie Helga lustig zu machen. Aber darin erschöpft sich der leise Humor von Regisseurin Mareille Klein (Jahrgang 1979) keineswegs. Sie fühlt sich in den Charakter ihrer weiblichen Protagonistin ein, überzeichnet sie nicht zur Karikatur, sondern will verstehen, wie sie in die Sackgasse geraten ist. Ein derart verständnisvoller Blick, den Da kommt noch was mit Kleins Debüt Dinky Sinky (2016) teilt, konterkariert aber nicht die ironische Satire auf ein gesellschaftliches Milieu, das sich zu Unrecht für etwas Besseres hält. Unter dem Deckmantel angeblicher Weltoffenheit legt die Regisseurin die Unterwäsche eines Spießertums frei, das genauso rassistisch denkt wie deren Elterngeneration in den 1950ern, nur dass die darübergelegten Schleier inzwischen feiner gewebt sind, fast bis zur Blickdichte. Da merkt man, dass Mareille Klein vor ihrem Filmstudium als Journalistin arbeitete und zeitgleich Soziologie sowie Ethnologie studierte.
Kuriose Einlage
Am deutlichsten zeigt sich die mit feinem Strich aufgetragene Milieuzeichnung bei einem famosen Auftritt von Michael Wittenborn, der eigentlich nur eine Nebenfigur spielt. Auf einer Geburtstagsfeier schwadroniert er wortreich von seiner jüngsten Kreuzfahrt mit den Hurtigrouten, einem eimaligen Naturerlebnis, wo man natürlich nur auf Englisch miteinander parliert habe, angesichts der erlesenen internationalen Reisegesellschaft. Sagt’s und setzt dem verdutzten Putzmann Ryszard, der wie erwähnt nur Englisch versteht, ein hörenswertes Kauderwelsch aus brockenweisem Schulenglisch und 80 Prozent Deutsch vor. In diesem Moment explodiert die fremdenfeindliche Borniertheit der vermeintlich besseren Gesellschaft, die als leiser Grundton sonst unter der Decke brodelt, plötzlich wie ein Vulkan.
Die alten und neuen Klassengegensätze spielen also eine Rolle in einer Beziehungskomödie, die nur mit herausragenden Schauspielern funktionieren kann. Ulrike Willenbacher arbeitet seit 40 Jahren in München am Theater, zunächst an den Kammerspielen und später am Residenztheater. Ihre erste Kinohauptrolle in Da kommt noch was zog schnell weitere Engagements nach sich, etwa in der Komödie Alle wollen geliebt werden von Katharina Woll, die im Oktober startet. Zbigniew Zamachowski hingen ist ein alter Hase vor der Filmkamera und in seinem Heimatland einer der beliebtesten Schauspieler überhaupt. Schon bei Krzysztof Kieślowski spielte er eindrückliche Rollen, etwa in Drei Farben: Weiß (1994). Zusammen bilden sie ein wunderbar konträres, aber auch für Überraschungen gutes Paar, dem die sommerhellen, aufgeräumten Bilder von Kameramann Patrick Orth viel Raum zur Entfaltung lassen.
OT: „Monday um 10“
Land: Deutschland, Schweiz
Jahr: 2021
Regie: Mareille Klein
Drehbuch: Mareille Klein
Kamera: Patrick Orth
Besetzung: Ulrike Willenbacher, Zbigniew Zamachowski, Imogen Kogge, Franziska Machens, Ueli Jäggi, Gabriela Muskala, Ulli Maier, Michael Wittenborn
Wer mehr über Da kommt noch was erfahren möchte: Wir haben uns zum Kinostart der Tragikomödie ein Interview mit Regisseurin Mareille Klein geführt.
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)