Freaks Out
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Freaks Out

„Freaks Out“ // Deutschland-Start: 23. Juni 2023 (DVD/Blu-ray)

Inhalt / Kritik

Italien 1943: Das Deutsche Reich besetzt Italien nach deren Kriegsausscheiden. Für Minderheiten und soziale Außenseiter*innen wird die Zeit noch härter. Vier von ihnen sind der insektenflüsternde Albino Cencio (Pietro Castellitto), der magnetische Zwerg Mario (Giancarlo Martini), der Wolfsmensch Fulvio (Claudio Santamaria) und die elektrisch aufgeladene Matilde (Aurora Giovinazzo). Die vier genießen ihre Zeit im Zirkus, wo sie ihre Kräfte nutzen, um die Menschen zu begeistern. Doch die Stimmung wandelt sich abrupt und eine wilde Odyssee durch Italien beginnt, als der Zirkusdirektor verschwindet. Die Lage spitzt sich noch weiter zu, nachdem die vier einem fanatischen SS-Offizier (Franz Rogowski) begegnen, der auf der Suche nach Menschen mit Superkräften ist.

Unverbrauchtes Setting

Wie die Zusammenfassung schon vermuten lässt, hat Freaks Out ein sehr besonderes Setting, dass sich irgendwo zwischen X-Men und Greatest Showman im Zweiten Weltkrieg einordnen lässt. Das mag zunächst völlig abwegig klingen, funktioniert aber gerade am Anfang des Films unfassbar gut und wirkt sehr frisch und unverbraucht. Seine größte Stärke findet Freaks Out in dem, was er audiovisuell hergibt. Gerade Kostüme und Set-Design stechen mit einer beeindruckenden Liebe zum Detail heraus, die dem ganzen Film eine gewisse Magie verleiten.

Auch Kamera und Musik tragen ihren Teil dazu bei und sind oftmals in ihrer Dynamik und Stimmung stets sehr passend und unterstützend zum Geschehen. Außerdem erwähnenswert ist das tolle Schauspiel, das die Beteiligten an den Tag legen. Gerade Franz Rogowski ist hier hervorzuheben, der sich an der Grenze zum Over-Acting bewegt, seiner Figur aber immer wieder auch dezente Momente einräumt.

Vertane Chancen

Trotz dieser vielen tollen Aspekte ist Freaks Out aber vor allem ein Film, der durch seine verpassten Möglichkeiten auffällt. Am dringendsten zu nennen, ist sicherlich das Konzept des Films. Denn mit dem wirklich spannenden Setting wird leider einfach viel zu wenig gemacht. Vielmehr entwickelt sich Freaks Out über seine mit 141 Minuten etwas überlange Laufzeit immer mehr zu einem generischen Action-Adventure, das die Besonderheit seines Szenarios und seiner Figuren immer redundanter werden lässt und damit in gewisser Weise seinen Charme und sein Charisma verliert.

Was zunächst als interessante Charakterstudie startet, wird zu einer teils sehr schemenhaften Heldenreise, mit Elementen, die es schon zuhauf anderswo zu sehen gab. Parallel geraten die Figuren immer mehr aus dem Fokus und werden auf einen Charakterzug reduziert, der dem Vorantreiben der Handlung dient. Das gilt für die Protagonist*innen, trifft aber besonders stark auf den Antagonisten Franz zu, der eigentlich nur noch als generischer wahnsinniger Nazi in Erscheinung tritt.

Diese Entwicklung im Film ist in zweierlei Hinsicht furchtbar schade. Zum einen reduziert sich nämlich der Unterhaltungsfaktor deutlich, dass alles sehr berechenbar wird und wie erwähnt seinen Charme verliert. Zum anderen sorgt das aber auch dafür, dass der Film sich seine anfangs aufgenommenen Diskurse völlig vergisst, ihnen teilweise sogar entgegenarbeitet.

Einzigartigkeit und Andersartigkeit

Am offensichtlichsten ist dabei das Thema gesellschaftlicher Außenseiter*innen. Dass ein Film, der Freaks Out heißt, etwas über Andersartigkeit und den gesellschaftlichen Umgang damit erzählt, sollte nur wenig überraschend sein. Und immerhin ist das auch ein sehr spannendes Thema mit vielen möglichen Fragestellungen. Im Setting von Freaks Out werden aber vor allem zwei ersichtlich: Hat der Wunsch nach individuellen Unterschieden in der Gesellschaft Grenzen? und Wann wird positive Einzigartigkeit zu negativer Andersartigkeit?

So bietet die Ideologie des Nationalsozialismus ein spannendes Extrem, das zeigt, wie eben nicht mit diesen Fragestellungen umzugehen ist. Entscheidend ist aber auch, dass sich in der normalen Gesellschaft dieselben Züge wiederfinden lassen. Momente, in denen Einzigartigkeit kollektiv und systematisch als Distinktionsmerkmal und gesellschaftliches Ausschlusskriterium verwendet wird. Momente, in denen Einzigartigkeit eben zu Andersartigkeit wird. Und Freaks Out schafft es vor allem, in seinem ersten Drittel diese Strukturen sehr treffend in der Alltagsgesellschaft dazustellen und zugleich sehr nuanciert deren Parallelen zum Extrem der Naziideologie zu zeigen. Zu zeigen, dass Andersartigkeit und Abartigkeit nicht weit auseinanderliegen.

Maßgeblich dafür ist die Figur von Antagonist Franz, der bei all seiner Menschenverachtung trotzdem eine gewisse Bewunderung für die vier Hauptfiguren besitzt. Genau wie auch das Publikum, das zwar jubelnd im Zirkus sitzt, den auftretenden Personen aber gleichzeitig außerhalb der Manege erschrocken aus dem Weg geht und sie niemals als gleichwertige Menschen in der Gesellschaft akzeptiert. Dieser tolle Ansatz rückt aber, wie erwähnt, im Laufe des Films immer weiter in den Hintergrund. Das liegt neben der Reduzierung der Tiefe der Hauptfiguren, was übrigens fast schon ähnlich stigmatisierend wie die teils ersichtlichen Strukturen im Film ist, vor allem an der Verwendung der Figur Franz. Denn dieser wird gerade am Ende immer wahnsinniger und stark von den anderen Nazis abgegrenzt. In gewisser Weise wird er als ideologiefreier Einzeltäter dargestellt, womit sich der Film eben sämtliche strukturellen Beobachtungen wieder einreißt.

Credits

OT: „Freaks Out“
Land: Italien, Belgien
Jahr: 2021
Regie: Gabriele Mainetti
Drehbuch: Gabriele Mainetti, Nicola Guaglianone
Musik: Gabriele Mainetti, Michele Braga
Kamera: Michele D’Attanasio
Besetzung: Claudio Santamaria, Aurora Giovinazzo, Pietro Castellitto, Giancarlo Martini, Giorgio Tirabassi, Franz Rogowski

Bilder

Trailer

Filmfeste

Venedig 2021
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Fantasy Filmfest 2022

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Freaks Out
Fazit
„Freaks Out“ ist ein Film, der großartig anfängt, dann aber stark nachlässt. Das tolle Setting, die frischen Ideen und interessanten Beobachtungen des Films müssen am Ende immer mehr einem generischen Action-Adventure Platz machen, das aufgrund seiner Schemenhaftigkeit nicht mal wirklich Spaß macht. Auch die tolle Optik kann nur bedingt darüber hinwegtrösten.
Leserwertung16 Bewertungen
5.3
6
von 10