Wenn man seinen Kindern keine Liebe schenkt, brüten sie irgendwann hässliche Vogelmonster aus, die Haustiere in der Nachbarschaft fressen. So oder so ähnlich zeigt es zumindest Hatching, indem Protagonistin Tinja (Siiri Solalinna) eben genau das passiert. Das Langfilm-Debüt der finnischen Regisseurin Hanna Bergholm mag zunächst etwas befremdlich klingen, entwickelt sich aber tolles Creature-Feature mit vielen satirischen und allegorischen Elementen. Wie sie auf das Konzept von externem Body-Horror kam, was schlechte Eltern in Kindern auslösen können, wie die Arbeit mit einem Animatronic für die Crew war und noch mehr, erzählt die Regisseurin im Interview anlässlich des Verkaufsstarts am 30. September 2022.
Du hast mit Hatching einen Film geschaffen, der Creature-Feature mit Body-Horror verbindet. Ich würde fast von externem Body-Horror sprechen wollen. Wie bist du darauf gekommen?
Den Ursprung hatte das bei unserem Drehbuchautoren Ilja Rautsi. Er hatte die recht grobe Idee, dass ein Junge einen Doppelgänger von sich ausbrütet. Das war alles, was er am Anfang wusste. Ich war sehr fasziniert von der Idee, wollte aber, dass es in dem Film um ein Mädchen geht. Aus dieser Doppelgänger-Idee hat sich dann nach und nach mehr entwickelt und wir haben gemeinsam die Figur Tinja ausgearbeitet. Wir haben uns für eine Figur entschieden, die von ihren Eltern nie so ganz akzeptiert wird und dann eine Kreatur ausbrütet, die all das Schlechte verkörpert, das ihre Eltern, vor allem ihre Mutter, in ihr sehen. Und je mehr Tinja anfängt, diese Kreatur zu lieben, sich um sie zu kümmern, entwickelt sich die Kreatur weiter und wird ihr immer ähnlicher, quasi zu ihrer Doppelgängerin. Doch jedes Mal, wenn ihre Mutter irgendetwas an ihr nicht akzeptiert, bricht die Fassade und das Monster kommt zum Vorschein. Akzeptanz vervollständigt. Nicht geliebt zu werden bricht dich.
Ist dir das Thema der Akzeptanz zwischen Kindern und Eltern am wichtigsten im Film?
Auch. Ich denke, die Beziehung zwischen Mutter und Tochter zeigt Akzeptanz in mehreren Dimensionen. Tinja, die nicht von ihrer Mutter akzeptiert wird, aber auch die Mutter selbst. Schließlich verspürt sie irgendwo einen großen Druck, ein perfektes Leben voller Erfolge als Mutter mit erfolgreicher Tochter auf Social Media zu präsentieren. Dort sucht sie selbst dann die Liebe und Akzeptanz ihrer Follower*innen. Zu einem gewissen Grad macht sie also dasselbe wie ihre Tochter.
Du hast schon erwähnt, dass es dir wichtig war, das Geschlecht der Hauptfigur zu ändern. Jetzt sprichst du von Erwartungen an eine Mutter. Geht es dir dabei auch um Geschlechterrollen?
Jein, ich habe die Hauptfigur geändert, weil ich das Gefühl habe, dass es zu wenig Geschichten über Mädchen und Frauen gibt. Trotzdem schwingt ein solches Thema immer mit. Das zeigt auch die Figur des Vaters gut. Denn wir haben hier eine Figur, die eben das deutlich passivere Elternteil ist. Und weil er sich nicht damit auseinandersetzt, seinen eigenen Ängsten und Konflikten nicht nachgeht, entzieht er sich auch jeder Verantwortung, mit denen seiner Mitmenschen umzugehen. Aber auch hier war meine Hauptmotivation nicht, eine Diskussion über Männlichkeit aufzumachen, sondern zu zeigen, dass er mit seinem Verhalten genauso schuldig am Missbefinden seiner Tochter wie seine Frau ist. Es gibt mehrere Arten schlechter Eltern und die gleichgültigen gehören genauso dazu wie die, die ihre Kinder nicht akzeptieren.
Der Film übt auch starke Kritik an der Selbstdarstellung der Familie über Social Media. Positionierst du dich grundsätzlich dagegen?
Das würde ich nicht sagen. Ich denke, es ist nur menschlich, das beste Bild von uns selbst präsentieren zu wollen, egal ob das ein simples Porträt ist oder die Art, wie wir Wäsche zusammenlegen. Sehr interessant finde ich aber, dass es auf Social Media nur eine Art von perfekter Glücklichkeit gibt. Und diese, etwas absurde, Vorstellung, die die Familie für sich kreiert hat, wollte ich aufzeigen. Alles ist Pastell, bloß keine starken Farben, bloß keine starken Emotionen, keine Schatten, weil man natürlich nichts zu verbergen hat, weiße Einfamilienhäuser, die alle gleich aussehen, überall sind Rosen, alles ist so sauber, dass es tot aussieht. Ich wollte die Fakeness davon rausstellen und in der Welt im Film abbilden.
Tinja kümmert sich sehr liebevoll um die Kreatur. Entdeckt sie die Mutter, die ihr fehlt, in sich selbst?
Ja, ich glaube schon. Sie ist auf der Suche, jemanden zu lieben und von jemandem geliebt zu werden. Sie benimmt sich, wie sie es sich von ihrer Mutter wünschen würde. Sie akzeptiert die Kreatur, obwohl die schleimig, hässlich, eigentlich total eklig ist und sich nicht richtig bewegen. Sie erwartet nicht, dass die Kreatur eine perfekte Turnerin ist. Sie liebt bedingungslos.
Tinja und die Kreatur werden sich immer ähnlicher. Sehen wir, gerade wenn man das Ende berücksichtigt, wie Tinja ihre kindliche Unschuld ablegt und mit der Pubertät immer weniger den Vorstellungen ihrer Mutter entspricht?
Der Aspekt Pubertät war uns auch für das Design der Kreatur wichtig. Ich habe den Art Directors gesagt, dass das Monster wie ein stinkender Teenager ist, mit zu langen Gliedmaßen, völlig schief, mitten im Wachstum. Ich habe auch auf Bilder von anorektischen Mädchen verwiesen, weil auch Essstörung und Unsicherheit mit dem eigenen Körper, den eigenen Fähigkeiten und schlicht dem Platz auf der Welt Nebenthemen des Films sind. Außerdem haben die meisten Pubertierenden eine schwierige Beziehung zu ihren Eltern und sind ständig wütend auf sie, obwohl sie eigentlich nur geliebt werden wollen. Der Film enthält also auf jeden Fall eine Metapher für das Älterwerden und auch gegen sich selbst kämpfen.
Du hast das Design der Kreatur schon angesprochen, erzähl doch noch ein bisschen mehr dazu. Ihr habt ja mit einem Animatronic gearbeitet. Wie war das?
Mir war sehr früh klar, dass ich ein Animatronic und kein CGI benutzen wollte, weil die Kreatur eine richtige physische Präsenz haben sollte. Ich habe also ganz einfach geguckt, wer der beste Animatronic Designer der Welt ist und Google spuckte mir den Namen Gustav Hoegen aus. Gustav hat unter anderem schon für Star Wars, Jurassic World und Prometheus Animatronics gemacht. Also habe ich ihn kontaktiert, woraufhin er und sein Team unsere Puppe gemacht und beim Dreh gesteuert haben. Dafür haben jedes Mal fünf Leute um die Puppe herumgestanden und einzelne Körperteile mit Leinen gesteuert, während Gustav die Gesichtsausdrücke und Finger ferngesteuert hat. Das war alles sehr herausfordernd, weil alles so präzise sein muss und die 5 Leute, die die Puppe steuern, perfekt synchron arbeiten müssen. Wir haben sehr viele Takes gebraucht, bis es wirklich echt aussah. Allerdings war das eine wirklich tolle Erfahrung und die Zusammenarbeit mit Gustavs Team hat super funktioniert. Außerdem sahen unsere Aufnahmen beim Editing sehr lustig aus, weil ja jedes Mal eine Menge Leute zu sehen waren, die bei der Puppe stehen und ausufernde Bewegungen machen, um sie zu steuern.
War es auch eine Herausforderung, einen Horrorfilm mit einem Kind als Hauptdarstellerin zu drehen?
Das würde ich nicht sagen. Wir haben Siiri aus über 1200 Mädchen bei Vorsprechen in ganz Finnland ausgewählt. Sie ist zu dem Zeitpunkt gerade zwölf geworden und hat vorher noch nie etwas gespielt, aber sie ist ein richtiges Naturtalent, insofern gab es da keine Probleme. Das wichtigste war für mich aber, dass sich die Kinder beim Dreh sicher fühlen, weil der natürlich ein sehr schweres Thema behandelt und eigentlich überhaupt nicht für Kinder geeignet ist. Deshalb habe ich viel Wert darauf gelegt, dass ihnen stets klar ist, dass sie nur spielen. Wir haben lange geprobt, ich glaube, das hat ihnen geholfen, alles richtig einordnen zu können. Außerdem haben wir auch neben dem Dreh als Crew und Cast viel zusammen unternommen. Wir haben zum Beispiel gebacken oder lustige Videos gedreht, in denen wir alle, inklusive mir selbst, Monster spielen. Es war insgesamt sehr schön, mit allen zusammenzuarbeiten.
Was erwartet uns als Nächstes von dir?
Zurzeit arbeite ich an einem weiteren Drehbuch mit Ilja Rautsi, dass in eine ähnliche Richtung geht. Eine junge Mutter bekommt darin das Gefühl, dass ihr Kind nicht menschlich ist, weil es unfassbar anstrengend und fordernd ist und beispielsweise beim Stillen Blut aus ihren Brüsten saugt. Wir wollen die schwierigen Emotionen der Mutterschaft rund um Selbstzweifel, Erschöpfung und Wut auf das Kind behandeln und versuchen wieder Elemente aus Drama, Body-Horror und Fantasy zu verbinden.
Das klingt auf jeden Fall vielversprechend. Vielen Dank für das Interview.
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