Kilian Berger, Rosa von Praunheim und Kai Schumann bei der Premiere von "Rex Gildo - Der letzte Tanz" (©Filmfest München / Ronny Heine)

Kai Schumann [Interview]

Vielen ist Kai Schumann durch seine Rolle des „Dr. Mehdi Kaan“ in der erfolgreichen Arzt-Serie Doctor’s Diary bekannt. Doch der aus Sachsen stammende Schauspieler kann darüber hinaus eine recht umfangreiche Filmografie in TV und Kino vorweisen. In Rosa von Praunheims Dokufiction Rex Gildo – Der letzte Tanz (Kinostart 29. September 2022) spielt Kai Schumann den gealterten Schlagerstar, der jüngere Part wird von Kilian Berger übernommen. Der Film beschäftigt sich mit der bis zuletzt verleugneten Homosexualität des Sängers und zeichnet dessen Liebesbeziehung zu seinem deutlich älteren Manager Fred Miekley nach, der von Ben Becker gespielt wird. Wir sprachen bei der Premiere auf dem Filmfest München 2022 mit Kai Schumann über seine Bewunderung für Rex Gildo, über den Preis der Verleugnung und über den Druck, den die Gesellschaft nach wie vor auf Homosexuelle ausübt.

Wie sind Sie zu der Rolle gekommen? Gab es ein klassisches Casting?

Rosa hat mich persönlich angerufen und angefragt. Meine allererste Filmerfahrung habe ich ja mit ihm gemacht. Das war 1999 Der Einstein des Sex – das Leben und Werk des Dr. Magnus Hirschfeld. 20 Jahre später hat er mich wieder angerufen. Das ist großartig, nach so langer Zeit wieder zusammen zu arbeiten. Es gab kein übliches Casting. Wir haben geredet, ich habe das Drehbuch gelesen und dann hat er mir die Rolle angeboten.

Wie ist Rosa von Praunheim damals auf Sie gekommen? Waren Sie da schon am Theater?

Ich studierte damals noch an der Ernst-Busch-Schule, im dritten Studienjahr. Ich erinnere mich noch, dass mich Rosa zunächst zu jung für die Rolle hielt, die ein Altersspektrum von 18 bis 40 abdecken sollte. Nach zwei Monaten rief er wieder an und meinte, er habe es sich überlegt und ich solle die Rolle doch spielen. Da war ich in eine Theaterproduktion eingebunden und habe abgelehnt, weil ich keine Zeit hatte, mich auf die Rolle des Magnus Hirschfeld vorzubereiten. Aber er hat mich überredet und mir gesagt, ich solle mir nicht zu viele Gedanken machen, weil ich perfekt für die Rolle sei.

Wie erleben Sie ihn als Regisseur?

Er arbeitet sehr diszipliniert. Ich kenne kaum jemanden, der so viel Lebenszeit in seine Arbeit steckt. Seine Arbeit ist eben sein Leben. Wer dreht schon drei bis vier Filme pro Jahr, meist aus eigenen Mitteln oder mit minimaler Unterstützung von außen? Außerdem schreibt er noch Romane und malt Bilder, und das mit 80 Jahren. Er hat 150 Filme in seinem Leben gedreht. Welcher deutsche Regisseur kann das von sich sagen? In der deutschen Filmszene erhält er viel zu wenig Anerkennung. Seine Filmästhetik ist so besonders, das hat man sonst hierzulande kaum.

Ist damals mit Einstein des Sex eine Weiche für Ihre Filmkarriere gestellt worden?

Nein, danach habe ich erstmal lange Theater gespielt, in Tübingen, Stuttgart und Hamburg. Dann kam die Serie Doctor’s Diary, die mich quasi in die Fernsehwelt katapultiert hat. Aber Der Einstein des Sex war meine erste Berührung mit der Kamera. Rosa hat zu mir gesagt, ich müsse wie ein Medium sein. Das habe ich damals nicht verstanden, weil wir auf der Schauspielschule alles ganz stark analysiert und festgelegt haben. Jahre später habe ich verstanden, was Rosa meint. Deshalb war es umso schöner, noch einmal mit ihm zu arbeiten.

Was heißt es, ein Medium zu sein?

Es bedeutet, sich durch und durch anzufüllen mit allem Wissen und allen Ideen, die man zu einer Figur hat. Und sich dann mit seinem Körper, seiner Emotion und seinem Geist komplett in den Dienst  des Films und des Regisseurs zu stellen. Man gibt das ganze Material hin, man verschwendet sich und liefert sich aus, ohne kontrollieren zu wollen, was man da zur Verfügung stellt.

Vermutlich sind Sie kein Rex-Gildo-Fan. Oder?

Ich war es nicht. Aber durch die Beschäftigung mit ihm habe ich angefangen, seine Lieder zu hören und seine Auftritte zu sehen. Dadurch habe ich ihn erstmal richtig kennengelernt. Als ich den Anruf bekam, war mein erster Gedanke, es gehe um Guildo Horn mit seinem Guildo hat euch lieb. Ich bin in der DDR aufgewachsen und hatte nicht auf dem Schirm, wer Rex Gildo wirklich ist, zumal ich einer späteren Generation angehöre. Nachdem ich ihn kenne, bewundere ich sein Können enorm. Er war definitiv ein großartiger Künstler.

Andere sagen, er war ein Schlagerfuzzi, der dem Eskapismus und der Verdrängung im Nachkriegsdeutschland der 1950er und 1960 er Jahre Vorschub geleistet hat.

Wenn man einen Künstler danach beurteilt, was er macht, kann man das so sehen. Wenn man aber darauf schaut, wie er es tut, ist es etwas anderes. Vielleicht mag man seine Musik nicht, aber wenn ich sehe, wie er sich bewegt und mit welcher absoluten Hingabe er performt und mit welcher Energie er auf der Bühne steht, dann ziehe ich davor meinen Hut.

Wie haben Sie sich der Rolle angenähert?

Ich habe alles aufgesogen, was ich irgendwie von ihm sehen konnte. Dazu viele Interviews und Bücher. Natürlich habe ich auch die Lieder geübt und mitgesungen. Trotzdem entschied ich mich dafür, keine Kopie zu spielen. Auch deshalb, weil es eine Dokufiction ist und es ganz viele Szenen gibt, wo ich direkt neben den echten Rex Gildo geschnitten werde. Selbst wenn ich noch so gut kopieren würde, würde es trotzdem wie eine Kopie wirken. Deswegen habe ich versucht, denjenigen Rex Gildo zu spielen, den wir alle nicht kennen. Also die Person, die auch Rex Gildo immer vor der Welt zu verheimlichen suchte. Wir alle werden darauf trainiert, in der Gesellschaft zu funktionieren. Deswegen fangen wir früh an, gewisse Anteile von uns zu verheimlichen. Wenn wir diese Anteile nicht in Einklang mit uns bringen, kommen sie als Dysfunktionalitäten zum Ausdruck, die nur unsere Liebsten kennen. Bei Rex Gildo ist das Verheimlichen ganz offensichtlich. Es fängt an mit seiner Glatze und geht bis zu seiner Sexualität, seiner Liebe, seinem Konsum von Alkohol und anderen Substanzen. Man sieht ihm an, dass etwas nicht stimmt. Aber er hat es nie zugegeben. Bis zum Schluss behauptete er beinhart, dass seine Haare echt seien. Mir tut es echt weh, wenn ich das sehe.

Die Rolle ist geteilt in den jungen und den älteren Rex Gildo, den Sie verkörpern. Wenn Sie auftreten, gerät die Figur immer stärker auf den absteigenden Ast. Wie haben Sie es geschafft, Gildos Kaputtheit ohne Klischees zu spielen?

Ich habe versucht, keinen Alkoholiker zu spielen, sondern einen Menschen, bei dem die Dissonanz zwischen seinem Inneren und der Welt draußen immer größer wird. Der Kampf, die Welt immer weiter wegzudrücken, um sich zu beschützen, aber sich dadurch auch immer mehr zu verlieren – das hat mich am meisten interessiert. Bei ihm geht das so weit, dass er anfängt, mit den Toten zu sprechen. Ich glaube, sein Leben in den letzten Jahren war extrem schmerzerfüllt. Das geht mir auch jetzt noch nah, wenn ich darüber spreche. Es ist echt schwer, ein Leben in Selbstverleugnung zu führen.

Nach objektiven Kriterien gab es nicht so viele Gründe für sein Unglück. Er hatte genug Geld verdient. Hätte er nicht aufhören oder kürzer treten können, um sein Leben mehr zu genießen?

Ich selbst bin heterosexuell. Aber ich glaube, wir unterschätzen, wie extrem gefährlich und gewalttätig das gesellschaftliche System gegenüber homosexuellen Menschen in den 1950ern und 1960ern war und immer noch ist. Das hat mir neulich der Film Große Freiheit von Sebastian Meise wieder bewusst gemacht. Teilweise wird das sogar wieder stärker, abgesehen von intellektuellen Blasen in Metropolen. Rex Gildo war ein Performer, er wollte den Erfolg, das kann man ihm nicht verdenken. Und er wusste, wenn seine Homosexualität herauskommt, ist das alles vorbei. Außerdem war die Gesellschaft so feindselig, dass auch ein normales Leben in der Homosexualität nicht möglich war in dieser Zeit. Wenn ich mir vorstelle, dass ich mit meiner Liebsten nicht auf der Straße sein könnte, dass ich ins Gefängnis kommen könnte, wenn ich mit einer Frau schlafe, dann bekomme ich eine ungefähre Ahnung davon, wie enorm dieser Druck ist, dem Rex Gildo und alle anderen Homosexuellen ausgesetzt waren.

Hätte ein Outing ihm geholfen, als es möglich wurde durch die Schwulenbewegung?

Davon bin ich überzeugt. Rosa hat mir berichtet, dass die Menschen, die er geoutet hat und für die das im ersten Moment schlimm war, im Nachhinein dankbar sind. Dass die sich seitdem frei fühlen. Stellen Sie sich vor, wie Hape Kerkelings oder Alfred Bioleks Leben verlaufen wären, wenn sie sich immer hätten verstecken müssen.

Haben Sie Hoffnung, dass der Film dazu beitragen kann, die Angst vor dem Outing zu nehmen, etwa in Branchen, wo das noch sehr tabu ist, wie im Fußball?

Wir müssten aufhören, über Sexualität im Sinne einer Markierung zu reden. Man sagt ja nicht, das ist der Kai Schumann und der ist heterosexuell. Aber bei jemandem, der homosexuell ist, egal ob Frau oder Mann, sagt man es immer dazu. Es ist absurd, dass die Gesellschaft immer noch darüber redet. In der Filmbranche ist es weiterhin extrem. Schauspieler, die als Frauenschwarm aufgebaut sind, outen sich nicht. Warum kann ich nicht für einen Schwulen schwärmen? Das sollten wir im Jahr 2022 hinter uns lassen.

In welchen Rollen wird man sie demnächst sonst sehen?

Ich spiele im Fernsehfilm Laufen von Rainer Kaufmann mit, dessen Ausstrahlungstermin noch nicht feststeht und der wahrscheinlich erst im nächsten Jahr gezeigt wird. Darüber hinaus gibt es Projekte, über die ich noch nichts Konkretes erzählen darf.

Zur Person
Kai Schumann wurde 1976 in Dresden geboren. Seine Mutter war DDR-Bürgerin. Sein Vater, den er nie kennenlernte, stammte aus Syrien und kam als Student in die DDR. Bereits in der Theater-AG seines Gymnasiums machte er erste Erfahrungen als Schauspieler. Von 1995 bis 1997 studierte er an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Danach folgten Engagements an großen deutschen Bühnen. Seine erste Filmrolle spielte Kai Schumann 1999 in Rosa von Praunheims Der Einstein des Sex. Der Durchbruch als Fernsehschauspieler gelang ihm 2008 mit der Serie Doctor’s Diary. Von 2009 bis 2013 verkörperte er im Leipziger Tatort die Rolle des Rechtsmediziners Dr. Johannes Reichau. Zwischen 2013 und 2021 ermittelte er in der ZDF-Fernsehserie Heldt als gleichnamiger Kriminaloberkommissar.



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