Regisseurin Mareille Klein ist so etwas wie ein Liebling der Filmkritik. Schon zwei Mal erhielt sie den FIPRESICI-Preis, also die Auszeichnung des internationalen Filmkritikerverbandes, beim Filmfest München. Zuerst 2016 für ihr Spielfilmdebüt Dinky Sinky, der auch den „Förderpreis Neues Deutsches Kino“ im Bereich Drehbuch erhielt. Und dann sechs Jahre später für ihren zweiten Film Da kommt noch was. Die Komödie dreht sich um Helga (Ulrike Willenbacher), eine Frau jenseits der 60, die vor zwei Jahren von ihrem Mann verlassen wurde und immer noch tief in der Krise steckt. Als ihre Putzfrau Urlaub macht, schickt sie eine Vertretung. Zu Helgas Verblüffung steht dann aber keine weibliche Haushaltshilfe vor der Tür, sondern Ryszard (Zbigniew Zamachowski), ein polnischer Putzmann, der kaum ein Wort Deutsch spricht. Weil Helga kein Englisch kann, ist die Beziehung zu Beginn von viel Verdruss und Missverständnissen geprägt. Aber auch ohne Worte lernt Helga irgendwann die einfühlsamen und verständnisvollen Seiten von Ryszard kennen. Sie verliebt sich, was in ihrem sozialen Umfeld einen mittleren Tumult auslöst. Zum Kinostart am 29. September 2022 sprachen wir mit Mareille Klein über Verlassenwerden, Fremdenfeindlichkeit und die Liebe zu einem Menschen aus einem „unmöglichen“ Milieu.
Sie erzählen von einer Frau, die etwa eine Generation älter ist als Sie. Wie ist es Ihnen gelungen, diese Figur zu schaffen, mit allen ihren Aspekten und Feinheiten?
Für mich war das Wichtige an der Figur, dass sie mit über 60, nach einem langen Eheleben, noch einmal komplett auf sich allein gestellt ist und irgendwie mit dieser Herausforderung umgehen muss. Ich fand es toll, über das Ende einer Ehe gerade in dieser Generation zu erzählen. Denn ich glaube, dass es in meiner Generation sehr oft vorkommt, dass man sich trennt oder dass man verlassen wird. In dieser Generation war das anders. Die Ehe hatte einen größeren Wert als heute. Sie war etwas, das es zu erhalten galt. Das macht es für die Figur Helga noch schwieriger als für jüngere Menschen, damit umzugehen und das auch für sich selber aufzuarbeiten. Sie ist auf sich selbst zurückgeworfen und muss sich mit ihrem Leben auseinandersetzen, ihrem Umfeld, eigentlich mit allem.
Sie glaubt auch nicht, dass sie eine zweite Chance bekommen könnte, oder?
Das spielt eine große Rolle und das kann ich auch in meinem Alter nachvollziehen. Ich glaube, man denkt nach jedem Verlassenwerden, dass es ein Riesenglück wäre, sich nochmal zu verlieben.
War zuerst die Figur da oder erst die Story?
Das kam ungefähr gleichzeitig und war miteinander verwoben. Ich wollte etwas über eine Frau über 60 erzählen, die als einzige in ihrem Freundeskreis komplett auf sich allein gestellt ist, und sich zu allem Übel auch noch in ihren polnischen Putzmann verliebt. In der Filmgeschichte gibt es Vorbilder für diese Konstellation des Milieubruchs. Man findet sie bei Angst essen Seele auf von Rainer Werner Fassbinder und bei All that Heaven allows von Douglas Sirk. In allen Fällen ist die Liebe eine Herausforderung, nicht nur für das Milieu, sondern vor allem für die Person selber. Ich fand es spannend zu erzählen, wie es ist, seine eigenen inneren Widerstände zu überwinden.
Mir hat die Milieustudie genauso gut gefallen wie die Charakterstudie. Woher kennen Sie dieses Milieu einer sich aufgeklärt gebenden, aber doch total spießigen und fremdenfeindlichen oberen Mittelschicht?
Ich bin mir nicht sicher, ob es sich um die obere Mittelschicht handelt. Aber auf alle Fälle geht es um die westdeutsche Mittelschicht. Ich glaube allerdings, dass man den Film in jedem Milieu hätte erzählen können und dass man immer eine Form der Diskriminierung von Fremden gefunden hätte. Ich habe den Film von Ende 2016 bis 2018 geschrieben. Damals war Pegida sehr präsent. Mir war wichtig, zu erzählen, dass Diskriminierung nicht den ostdeutschen Pegida-Leuten vorbehalten ist. Man findet das Ausgrenzen von Fremden überall und es scheint aus irgendeinem Grund im Menschsein verankert zu sein. Nach der Öffnung der Mauer sind viele Polen nach Deutschland gekommen und haben hier gearbeitet. Bis heute ist es so, dass jeder „seinen“ Polen hat. Das findet man nicht nur in dieser Altersklasse. Auch Leute, die so alt sind wie ich, sprechen von „ihren“ Polen. Solche Sätze, die auch im Film fallen, dass man jemandem „seinen“ Polen leihen kann, sind allgegenwärtig und werden nicht in böser Absicht gesagt.
Hat Ihr genauer Blick auf ein bestimmtes Milieu etwas mit Ihrem Studium der Soziologie und Ethnologie zu tun?
Ich habe das nicht zu Ende studiert, weil ich dann auf die Filmhochschule gegangen bin. Dort habe ich Dokumentarfilm studiert und auch zuvor schon Dokumentationen als Fernsehsehjournalistin gemacht. Da lernt man, zu beobachten. Ich glaube, das spielt eine größere Rolle als das Soziologiestudium. Der dokumentarische Blick beeinflusst wahrscheinlich immer noch die Art, wie ich erzähle.
Es gibt gewisse Tabus in diesem Milieu, die nur indirekt zur Sprache kommen. Das eine Tabu ist, dass Männer putzen. Allein schon die Vorstellung davon sorgt für schallendes Gelächter. Wie sind Sie auf die Idee mit dem Putzmann gekommen?
Ich glaube, in der Generation der Figur Helga gibt es viele Männer, die noch nie eine Toilette geputzt haben. Helga ist misstrauisch, weil sie Ryszard anfangs nicht zutraut, ordentlich putzen zu können. Dieses Misstrauen teilt sie mit ihrem Milieu und ihrer Altersgruppe, aber es ist eben auch ein Misstrauen, das tief in ihr selber steckt. Außerdem muss man sagen, dass das Putzen als Erwerbstätigkeit bei den Eltern dieser Generation und dieses Milieus vielleicht noch vorkam. Meine Großmutter zum Beispiel hat noch geputzt, während meine Eltern soziale Aufsteiger sind. Auch Brigitte Mira, die in Angst essen Seele auf eine Putzfrau spielt, war eine Inspiration für das Thema des Putzens.
Das zweite Tabu ist die skeptische Haltung gegenüber Ausländern, zu der man sich aber nicht offen bekennt. Ich empfinde den Auftritt von Michael Wittenborn, der diese versteckte Fremdenfeindlichkeit in einem wahren Kabinettstückchen ans Licht bringt, als einen der Höhepunkte des Films. Wie viel von dieser Szene kann man ins Drehbuch schreiben und was muss man am Set erarbeiten?
Es ist eine große Herausforderung, die Szene so zu schreiben, dass er die Sachen, die er da sagt, vielleicht nicht böse meint, aber seine Worte im Endeffekt doch böse sind. Die Art und Weise, wie Michael Wittenborn das spielt, und die große Lust, die er an dieser ambivalenten Figur hat, das bringt er als Schauspieler mit. Schon in Dinky Sinky spielte er einen vergleichbar seltsamen Typen, und ich wollte ihn unbedingt wieder dabei haben. Er hatte in dem Sommer, in dem wir gedreht haben, nur eine Woche Zeit, und wir haben den ganzen Drehplan um ihn herum gebaut. Ich finde, das war es absolut wert.
Ulrike Willenbacher, die nun die Hauptrolle der Helga übernimmt, spielte schon in ihrem Erstling Dinky Sinky mit, in einer Nebenrolle als Mutter der Protagonistin. Aber vorher hat sie fast ihr ganzes Berufsleben nur Theater gemacht. Kann man sagen, dass Sie sie für den Film entdeckt haben?
Vielleicht kann man sagen, dass meine Casterin Franziska Aigner und ich sie entdeckt haben. Ulrike Willenbacher hat im Alter von 20 Jahren mal bei einem Film mitgewirkt, aber seitdem machte sie nur Theater. Für Dinky Sinky hatte Franziska Aigner sie von Anfang an auf die Vorschlagsliste gesetzt, weil sie sie aus dem Theater kannte. Aber es ist sehr schwierig, Schauspieler beim Film unterzubringen, die nie Film gemacht haben. Deshalb haben wir erst lange woanders gesucht, bevor wir ein Casting mit ihr gemacht haben. In dem Moment war sofort klar, dass wir sie haben wollen. Sie war so lustig und so nuanciert und so auf den Punkt und so unverwechselbar. Sie kann liebenswert sein, aber auch mit großen Witz ihre Härte ausspielen. Beim Schreiben von Da kommt noch was hatte ich sie bereits im Kopf, als ich die Figur der Helga entwickelte.
Der Darsteller des Ryszard, Zbigniew Zamachowski, ist in Polen ein großer Star und hinterließ bereits 1994 in Krzysztof Kieślowskis Drei Farben Weiß einen nachhaltigen Eindruck. Aber im deutschen Kino ist er weniger präsent. Wie sind Sie auf ihn gekommen?
Ich habe schon während des Schreibens erstmal alleine nach einem polnischen Schauspieler gesucht. Zum Beispiel beim polnischen Filmfest in Berlin, wo ich aber niemand geeigneten gesehen habe. Ich weiß nicht mehr, wie Zbigniew dann ins Spiel kam. Aber als ich ihn gesehen hatte, fanden wir alle, auch die Casterin Franziska Aigner und der Produzent Thomas Wöbke, dass er super passt. Aber es war ganz schwierig, an Zbigniew ran zu kommen. Es gab damals keine Schauspielagenturen wie in Deutschland und wir haben eigens eine polnische Casterin engagiert.
Woher nehmen Sie ihren feinen Humor? Gibt es Vorbilder oder nehmen Sie das allein aus sich selber?
Vielleicht beides. Auf alle Fälle gibt es Vorbilder, die mir gezeigt haben, dass man überhaupt seinen eigenen Humor in einen Film stecken kann. Ich liebe zum Beispiel viele Filme von Woody Allen. Und ich mag auch Loriot.
Arbeiten Sie schon an einem neuen Film und möchten Sie schon etwas verraten?
Ich kann vielleicht sagen, dass es um eine verstorbene Kölsche Komikerin geht und dass es ein Drama, gepaart mit Humor, werden soll. Dabei arbeite ich wieder mit der Produktionsfirma „BerghausWöbke“ zusammen, die auch meinen aktuellen Film produziert hat.
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