In ihrem Job als Putzkraft in einem örtlichen Handwerkbetrieb erfährt Martha (Eline Schumacher) jeden Tag die Hölle am eigenen Leib. Was zunächst nur rüde Beschimpfungen waren, ist schon lange körperlichen Demütigungen gewichen. Während sie von einem der Gesellen nunmehr tagtäglich vergewaltigt und geschlagen wird und die anderen dabei tatenlos zusehen, verschließt sich die junge Frau immer mehr. Gegenüber ihren Bruder Felix (Benjamin Ramon) wagt sie es nicht, auch nur ein Wort über ihr Martyrium auf der Arbeit zu erwähnen, selbst wenn er mehr als deutlich seiner Schwester ansieht, dass etwas nicht stimmt. Die Beziehung zu ihrem Bruder ist für Martha, trotz der strengen Regeln, die sie gezwungen ist, seinetwegen zu befolgen, der einzige Halt in ihrem Leben. Eines Tages aber, mit der Hilfe ihres Bruders, bekommt auch sie ein Ventil für ihre Wut und ihre Sorgen. Felix ist nämlich ein Serienmörder, einer, der in die Fußstapfen seines Vaters, dem berüchtigten Schlächter von Mons, geschlüpft ist, und dessen blutiges Handwerk fortsetzt.
Wahre Verbrechen und Kunst
Zwischen 1996 und 1997 trieb ein Serienmörder, der in den Medien schon bald den Spitznamen „Der Schlächter von Mons“ genannt wurde, sein Unwesen trieb und trotz einer breit angelegten Ermittlung nicht gefasst werden konnte. Für den insgesamt vierten Spielfilm des Belgiers Karim Ouelhaj Megalomaniac fungiert der Fall als Fundament einer Geschichte, bei der es vor allem um Täter- und Opferrollen geht sowie deren Umkehrung. Der auf dem Fantasia International Film Festival als „Bester Film“ ausgezeichnete Horrorstreifen, der aktuell auf dem Fantasy Filmfest zu sehen ist, entführt seinen Zuschauer tief in die dunkle Welt seiner beiden Hauptfiguren, findet erschreckende Bilder und hinterlässt einen nachdenklichen Zuschauer nach dem Abspann.
Bedenkt man die Vorlage, die sich Ouelhaj für seine Geschichte ausgesucht hat, wäre es wohl ein Leichtes gewesen, einen True-Crime-Thriller zu machen, der sich an Vorbilder wie Das Schweigen der Lämmer anlehnt. Daran jedoch verschwendet der Regisseur und Drehbuchautor keinen Gedanken und interessiert sich vielmehr für das Innenleben jener durch die Morde traumatisierten Menschen und inwiefern jenes dunkles Erbe des Mörders in ihnen fortbesteht. Dafür finden Ouelhaj und Kameramann François Schmitt immer wieder düstere und faszinierende Bilder, die sich, wie der Filmemacher in Interviews bestätigt, an klassischer Kunst wie den Gemälden Henry Fuselis oder Eugène Delacroix’ orientieren. In Bezug auf eine Figur wie Martha wird der Zuschauer Zeuge, wie sie immer stärker von dem dunklen Sog mitgerissen wird, der die Welt ihres Bruders ausmacht, der wie ein Getriebener seinem blutigen Handwerk nachgeht.
Opfer und Täter
Abgesehen von der visuellen Komponente, die Faszination mit Verlangen vermischt, findet sich dieser bizarre Kontrast auch in den Darstellungen der Schauspieler wieder. Besonders Elina Schuhmacher beweist großen Mut in ihrer Rolle als Martha, mit deren Schmerz man mitleidet, doch deren Sehnsucht nach jenem Maß an Erfüllung, was ihr Bruder in seinen Morden findet, immer mehr schockiert. Die Entwicklung vom Opfer hin zum Täter nutzt Ouelhaj für Fragen über die Ursache dieser Veränderung, ob diese bereits in den Genen Marthas veranlagt ist oder in den patriarchalen Strukturen liegt, welche den Ursprung ihres eigenen Leidens bilden. In diesen Szenen weicht die Kamera nicht aus, sondern hält drauf und lässt dem Zuschauer keinerlei Rückzugsmöglichkeit, was eine Welt des Hässlichen zeigt, die erschreckenderweise immer mehr der unsrigen gleicht.
OT: „Megalomaniac“
Land: Belgien
Jahr: 2022
Regie: Karim Ouelhaj
Drehbuch: Karim Ouelhaj
Musik: Simon Fransquet, Gary Moonboots
Kamera: François Schmitt
Besetzung: Elina Schumacher, Wim Willaert, Benjamin Ramon, Pierre Nisse
Fantasia Film Festival 2022
Fantasy Filmfest 2022
SLASH 2022
Sitges 2022
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