Nach dem Verlust ihrer Mutter versteckt sich die 16-jährige Claudia (Markella Kavenagh) in dem abgelegenen Haus auf dem Land. Nichtsahnend steht plötzlich die gleichaltrige Grace (Maiah Stewardson) in ihrem Garten. Während Claudia noch mit dem Schock, Trauer und Schuldgefühlen zu kämpfen hat, sucht Grace einen Ort, an dem sie akzeptiert wird und den sie zu Hause nennen kann, weg von den Eltern, die sich nicht für sie interessieren. Zwischen den ungleichen Mädchen entwickelt sich eine fürsorgliche und liebevolle Freundschaft, in der die zwei schon bald Gefühle füreinander entdecken …
Träumerisch-romantisches Coming-of-Age-Drama
Céline Sciamma, die französische Regisseurin, die aus (und mit) weiblicher Perspektive Geschichten über versteckte Persönlichkeiten, Außenseiter, die Entdeckung von Sexualität und Geschlecht im Zuge des Erwachsenwerdens sowie von den ganz besonderen Momenten erzählt, die fernab von Alltag und Routine die Bedeutung von zwischenmenschlichen Bindungen veranschaulichen. Und Luca Guadagnino, der italienische Regisseur, der mit visueller Schönheit und auf sehr persönliche wie menschliche Weise Begehren, Identität und Intimität erkundet. Mein erster Sommer lässt sich vielleicht deshalb am besten als eine Mischung aus Sciammas Petite Maman und Guadagninos Call Me by Your Name beschreiben. Die australische Regisseurin und Drehbuchautorin Katie Found vereint darin Eigenschaften beider Filmemacher für ein sonniges, zärtliches und träumerisch-romantisches Coming-of-Age-Drama und liefert ein starkes wie sensibles Filmdebüt ab.
„Sie ist nicht von dieser Welt“, hören wir Claudia über Grace sagen. Das quirlige, besonnene Mädchen mit den großen bunten Ohrringen, Armreifen und dem rosa Tüllrock, das plötzlich in der Welt von Claudia auftaucht, ist allerdings nicht das Einzige, das so andersartig und fast märchenhaft erscheint. Vielmehr ist es die Inszenierung des Films, wo das warme Glühen der Sonnenstrahlen, die durch die Vorhänge oder das Blätterdach brechen, die dem Stück Land, auf dem Claudia das Haus ihrer Mutter bewohnt, einen ganz eigenen Zauber verleiht und umgeben von schweren Eisentoren einen behüteten, fantastischen und einzigartigen Ort erschafft. Einen verträumten, fast schon verwunschenen Ort, wo sich zwei Außenseiterinnen begegnen, die nur dort die Farben des Lebens und die Unbeschwertheit der Liebe für sich entdecken können.
Erinnerungen an den Schmerz
Umspielt von sanften und beruhigenden Pianoklängen balanciert Mein erster Sommer das Trauma aus Tod und Verlust gekonnt mit dem Erwachen der Lebensgeister, wo die allgegenwärtige Farbe Gelb langsam ihren verknüpften Schrecken verliert und zaghaft neue Hoffnung, Glück und Begeisterung weckt. Dabei geht Regisseurin Found sehr sensibel vor und porträtiert die Nachwirkungen des einschneidenden Erlebnisses mit viel Fingerspitzengefühl. Immer wieder gibt es Momente, in denen Claudia erstarrt und sie mit tiefer Trauer und Schuldgefühlen an den Augenblick zurückdenkt, wo das Wasser ihre Mutter in dem leuchtend gelben Kleid in die Tiefe reißt.
Während zunächst das Echo der mütterlichen Stimme durch das Haus zu hören ist und daraufhin Erinnerungen lebendig werden, wird das Aufeinandertreffen und die sehnlichst vermisste Berührung zu einem Augenblick, der für wenige Sekunden an Shutter Island erinnert. Denn ähnlich wie Leonardo DiCaprios Figur reißt das Trauma Claudia schockartig aus der schönen Gedankenwelt und streut Bilder der Angst, des Schmerzes. Das Mädchen hat jedoch Glück im Unglück und findet in Grace jemanden, der sie beruhigen, zurückholen und erden kann.
Zwischen Idyll und harter Realität
Eine Freundschaft entwickelt sich in der die sich beiden gegenseitig Halt geben können und Grace endlich auch einen Ort findet, wo sie sie selbst sein kann, akzeptiert und gemocht wird. Ihre beiden Hauptdarstellerinnen Markella Kavenagh und Maiah Stewardson bringen dabei eine wunderbare Chemie mit, um die beiden Teenager in ihren unterschiedlichen Vergangenheiten und Erlebnissen, aber gleichen Sehnsüchten und Wünschen zu porträtieren. Ab der ersten Minute bekommt man das Gefühl, dass sich die beiden schon ewig kennen, fast als wären sie füreinander bestimmt. In ihrem gemeinsam erschaffenen Idyll mit einem scheinbar unerschöpflichen Vorrat an Süßigkeiten, lässt sich so wunderbar die Zeit und harte Realität vergessen, die jedoch immer wieder in Form von zwei Polizisten, die zum Tod von Claudias Mutter ermitteln, in die Welt einzubrechen drohen.
Und gerade als das Zimmer umdekoriert, die Bettlaken mit Pflaumensaft neu gefärbt sind und die beiden Gefühle füreinander und ihre Körper miteinander entdecken, werden die Befürchtungen wahr und die einstige Sicherheit in der Zurückgezogenheit gerät aus den Fugen. Hier wird Mein erster Sommer dann fast zu abrupt enden. Der einzige Wermutstropfen der bezaubernden, sonnendurchfluteten und einfühlsamen Geschichte. Denn man hätte einfach gern noch mehr Zeit mit den Mädchen verbracht, die das erste Mal Sorglosigkeit und Liebe erleben und das Leben beginnen zu genießen.
OT: „My first summer“
Land: Australien
Jahr: 2020
Regie: Katie Found
Drehbuch: Katie Found
Musik: Kyle Morton
Kamera: Matthew Chuang
Besetzung: Markella Kavenagh, Maiah Stewardson, Arthur Angel, Steve Mouzakis, Katherine Tonkin, Edwina Wren, Harvey Zielinski
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