Cecilia (Aisha Dee) genießt die Aufmerksamkeit, die sie für ihre Videos erhält. Zahlreiche Menschen folgen ihr, wenn sie darin Tipps für ein ausgeglichenes Leben gibt. Das war nicht immer so. Tatsächlich wurde Cecilia als Kind immer wieder gehänselt und als Sissy verspottet. Eigentlich will sie deshalb auch gar nicht an früher denken, bis sie Emma (Hannah Barlow) wieder über den Weg läuft. Als Mädchen waren sie beste Freundinnen gewesen, bis es zu einem unschönen Vorfall kam. Als Cecilia von Emma zu einem Junggesellinnenabschied eingeladen wird, zögert sie dennoch nicht lange. Dummerweise ist aber auch Alex (Emily De Margheriti) bei der Feier dabei – jene, die sie als Kind gehänselt hat und die einen Keil zwischen die Freundinnen trieb …
Horror trifft Humor
Wir lernen fürs Leben wird über die Schulzeit immer mal wieder gesagt. Doch das trifft mehr auf das Drumherum zu, weniger auf die Lerninhalte. Wen wir damals kennenlernen und die Erfahrungen, die gemeinsam gemacht werden, bleiben einem oft ein Leben lang. Davon erzählt auch Sissy, wenn wir eine junge Frau kennenlernen, die viele Jahre später noch einmal auf ihre ehemalige Peinigerin trifft. Das weckt zwangsläufig viele unschöne Erfahrungen, wenn sie sich auf einmal mit dem auseinandersetzen muss, was damals geschehen ist. Gleichzeitig darf das Publikum gespannt sein, wie die Titelfigur darauf reagieren wird, umso mehr, da diese Begegnung aus dem Nichts kommt.
Daraus hätte man ein Drama machen können. Mobbing bietet sich schließlich immer dafür an, von dem Ernst des Lebens zu erzählen. Hannah Barlow und Kane Senes, die gemeinsam das Drehbuch schrieben und auch Regie führten, hatten jedoch eine andere Idee. Genauer haben sie mit Sissy einen Film gedreht, der Horror mit schwarzem Humor kombiniert. So ist vieles hier völlig überdreht, irgendwo zwischen albern und absurd. Das gilt sowohl für die Figuren wie auch für die Passagen, in denen es erstaunlich explizit zur Sache geht. Denn auch wenn der Titel eine Beleidigung für verweichlichte Leute sein soll, beim Film selbst sollte man schon einiges vertragen können. Da kann ein menschlicher Körper schon mal am Ende Matsch sein.
Ein Film ohne Grenzen
Der Film ist dabei eine Mischung aus Sick of Myself und Piggy, die ebenfalls auf dem Fantasy Filmfest 2022 zu sehen sind. Da trifft Selbstinszenierung auf Mobbingbrutalität, dazu gibt es eine Begegnung, die zunehmend eskaliert und blutig wird. Körperliche Verstümmelung und geistige Anregung gehen Hand in Hand, wenn man im Anschluss kräftig diskutieren kann. Gemeinsam ist den drei Filmen zudem, dass sie sich einer eindeutigen Kategorisierung verweigern und Grenzen verschwinden lassen. Das gilt auch für die Zeit, wenn Vergangenheit und Gegenwart miteinander verschwimmen und Cecilia so sehr in ihrem Kopf und einer Traumvorstellung gefangen ist, dass man manchmal gar nicht so genau sagen kann, was denn noch real ist und was nicht.
Das klingt eigentlich alles ganz gut. Im Vergleich zu den beiden genannten Kollegen ist Sissy dennoch nur zweite Wahl. So bewundernswert die Energie ist, mit dem das Filmschaffende-Duo hier an die Arbeit ging, sie führt irgendwie zu nichts. Auch der große Einsatz von Hauptdarstellerin Aisha Dee (Look Both Ways) wird nicht ganz belohnt. Faszinierend ist ihre Figur sicherlich, zumal sie Opfer und Täter in einem ist und man gar nicht ganz genau sagen kann, ob man sie nun anfeuern will. Dennoch bleibt das Gefühl, dass der Film noch deutlich mehr hätte sagen können und aus dem Thema nicht alles herausholt, was möglich gewesen wäre. Das macht dann schon Spaß, bleibt aber nicht in dem Maße in Erinnerung wie die besagten Vergleichstitel.
OT: „Sissy“
Land: Australien, USA
Jahr: 2022
Regie: Hannah Barlow, Kane Senes
Drehbuch: Hannah Barlow, Kane Senes
Musik: Kenneth Lampl
Kamera: Steve Arnold
Besetzung: Aisha Dee, Yerin Ha, Lucy Barrett, Hannah Barlow, Emily De Margheriti, Daniel Monks
SXSW 2022
Fantasia Film Festival 2022
Fantasy Filmfest 2022
SLASH 2022
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