Juan Romero (Elyas M’Barek) ist mit Leib und Seele Reporter, reist ständig um die Welt auf der Jagd nach der neuesten Geschichte – sehr zum Leidwesen seiner Frau Anne (Marie Burchard) und den gemeinsamen Töchtern, die gern mehr von dem Familienvater hätten. Als er für einen großen Artikel zum Thema Flucht mit dem Shootingstar Lars Bogenius (Jonas Nay) zusammenarbeiten soll, hält sich die Begeisterung eher in Grenzen. Lieber hätte er die Story allein mit seinem bewährten Fotografen Milo (Michael Ostrowski) umgesetzt. Aber er fügt sich, zu wichtig ist ihm der Auftrag für Die Chronik, das größte journalistische Magazin Europas. Doch je mehr er sich mit der Sache beschäftigt, umso seltsamer kommt ihm die Arbeit seines Kollegen vor. In den Texten von Bogenius findet er eine Reihe von Punkten, die so nicht stimmen können. Fest entschlossen, dem Rätsel auf die Spur zu gehen, scheut er vor nichts zurück und bringt damit bald den ganzen Verlag gegen sich auf …
Der wahre Fall der Lügenpresse
Seit einigen Jahren schon kämpft der Journalismus, besonders der im Print-Bereich, gegen die eigene Bedeutungslosigkeit an. Die Werbeeinnahmen sinken kontinuierlich, bei der Auflage ist Stagnation schon ein Gewinn. Hinzu kommt das Imageproblem, wenn die Medien als elitär verschrien sind. Von den wiederkehrenden Beschimpfungen als Lügenpresse ganz zu schweigen. Während letzterer Vorwurf oft aus einer Ecke kommt, die einfach nur alles ablehnt, was nicht dem eigenen Weltbild entspricht, wurde der Fall Claas Relotius zu einem tatsächlichen Skandal. Zahlreiche Reportagen, die dem Journalisten Ruhm und Anerkennung einbrachten, waren manipuliert, zum Teil sogar völlig erlogen. Eine Ohrfeige für eine Branche, die ohnehin ums Überleben kämpft. Aber eben auch eine Geschichte, die so unglaublich ist, das sie erzählt werden muss.
Dieser Ansicht war zumindest Michael Bully Herbig. Zwar ist Tausend Zeilen keine direkte Wiedergabe der Ereignisse, sondern – was nicht einer gewissen Ironie entbehrt – eine zum Zweck der Unterhaltung fiktionalisierte Fassung. Aber es dürften trotzdem die meisten wissen, dass hinter Bogenius eigentlich Relotius steckt und das renommierte Magazin im Original der Spiegel war. Dass der Film selbst immer am Rand zwischen Fakten und Fiktion wandelt, ist in dem Zusammenhang natürlich passend. Herbig nutzt das jedoch kaum, um über dieses Verhältnis ernsthaft nachzudenken. Zwischendurch kommt zwar schon mal etwas, das es sich weiter zu vertiefen lohnte, etwa die Frage, ob Journalismus überhaupt unabhängig sein kann und welche Kompromisse gestattet sind im Überlebenskampf. Richtig weit schreitet diese Diskussion aber nicht voran.
Zwischen Mediensatire und Familiendrama
Stattdessen geht es in erster Linie darum, dass das Publikum Spaß damit haben soll, wie hier auf absurde Weise geflunkert wird. Das Motto: „Ihr werdet nicht glauben, was ihr gleich zu sehen bekommt!“ Tatsächlich ist es gerade die Dreistigkeit, mit der Bogenius die Wahrheit verfälscht oder komplett neu erfindet, welche für den größten Unterhaltungsfaktor sorgt. Wenn wir live dabei sind, wie eine Geschichte aus dem Nichts entsteht, dann darf man staunen oder lachen, vielleicht beides auf einmal. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil Jonas Nay (Deutschland 83) dies mit eiserner Mine und größtmöglichem Ernst durchzieht. Überhaupt hat das Ensemble bei Tausend Zeilen maßgeblichen Anteil daran, dass das hier ganz vergnüglich ist. Nahezu alle treten in überzogenen Rollen auf, die einer Karikatur schon recht nahe sind. Bis auf M’Barek, der wie immer der Gute sein wollte und deshalb nur eine David-gegen-Goliath-Variation seiner bisherigen Rollen spielt.
Diese tonale Diskrepanz findet sich auch in dem Film selbst wieder. Herbig kombiniert hier eine Mediensatire, die gern mal die vierte Wand durchbricht, mit etwas Familiendrama, wenn der große Einsatz von Romero das eigene Glück zu zerstören droht. Das ist als Thema durchaus legitim, auch in der Hinsicht wird der „Wert“ von Wahrheit hinterfragt. Es führt aber dazu, dass der Film unschlüssig bleibt und nie den Biss anderer Satiren entwickelt. Da war France, das vor einigen Monaten in eine ähnliche Richtung ging, doch konsequenter. Aber auch die Light-Variante der Journalismus-Groteske kann sich sehen lassen. Selbst wenn Tausend Zeilen nicht solche Wellen Schlagen wird wie die zugrundeliegende Geschichte, ist die Komödie doch unterhaltsames Mainstream-Kino, bei dem über vieles nachgedacht werden kann – aber nicht unbedingt muss.
OT: „Tausend Zeilen“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Michael Bully Herbig
Drehbuch: Hermann Florin
Musik: Ralf Wengenmayr
Kamera: Torsten Breuer
Besetzung: Elyas M’Barek, Jonas Nay, Michael Ostrowski, Michael Maertens, Jörg Hartmann, Marie Burchard, Sara Fazilat
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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Deutscher Filmpreis | 2023 | Beste Musik | Ralf Wengenmayr | Nominiert |
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