Der erfahrene und leicht soziopathisch wirkende Detektiv Hae-joon (Park Hae-il) wird damit beauftragt, den Tod eines Mannes auf einem Berggipfel zu untersuchen. Relativ schnell gerät Seo-rae (Tang Wei), die Witwe des Verstorbenen, in den Fokus der Ermittlungen. Was zunächst wie ein simpler Fall wirkt, wird durch die Involvierung Seo-raes immer mehr zu einer Angelegenheit, die den Bereich Hae-joons Ermittlungskompetenz weit überschreitet und sein ganzes Leben ins Wanken bringt. Und auch andersrum scheint der Ermittler einen einzigartigen Eindruck hinterlassen zu haben.
Virtuos
Nach sechs Jahren ist es endlich wieder so weit. Park Chan-Wook präsentiert einen neuen Kinofilm. Mit Die Taschendiebin brillierte der koreanische Ausnahmeregisseur zuletzt auf allen Ebenen. Sowohl die Inszenierung als auch die Art des Storytellings waren dabei in ihrer Verspieltheit und Detailverliebtheit fast beispiellos. Entsprechend hoch ist auch die Erwartungshaltung für seinen neuen Film Die Frau im Nebel. Kann der an die Qualität voriger Werke Parks anschließen? Die kurze Antwort: Ja.
Auch in Die Frau im Nebel zeigt Park seine ganze Klasse. Man darf sogar durchaus darüber reden, ob Die Frau im Nebel nicht inszenatorisch betrachtet vielleicht sein bester Film ist. Das, was hier geboten wird, ist absolut atemberaubend. Das fängt rein ästhetisch an, trägt sich aber narrativ weiter. Egal ob die Farben, die Bildausschnitte, die Winkel oder etwas ganz Anderes. Es gibt nichts, das in diesem Film deplatziert wirkt. Jedes noch so winzigste Detail hat seinen Sinn. Alle dieser Details aufzuzählen, ist schlicht unmöglich, zu den absoluten Highlights gehören aber Dinge wie der Wechsel zwischen Stand- und Handkamera im selben Dialog, um auf Unsicherheit oder Lügen von Personen hinzuweisen. Aber auch sonstige Kamerabewegungen, die allgemeinen Bildkompositionen oder die Wahl vom Fokus lassen sich einfach nur als beeindruckend präzise und quasi fehlerfrei bezeichnen.
Ein Film voller Details
Und auch das Drehbuch steht dem kaum nach. Denn dieselbe Detailversessenheit, die die Inszenierung ausstrahlt, findet sich eben auch im Dialog und im Plot wieder. Es gibt den gesamten Film durch viele kleine Details, die erwähnt und später nochmal aufgegriffen werden, was nicht nur das aufmerksame Schauen unfassbar belohnt, sondern den Film auch vollständig abrundet. So schafft Die Frau im Nebel es, trotz seiner komplexen und für westliche Sehgewohnheiten etwas ungewöhnlichen Erzählstruktur, die mit vielen Zeitsprüngen und Rückblicken arbeitet sowie neue Sub-Plots aufmacht, bevor ältere abgeschlossen sind, keine Handlungsstränge ins Leere laufen zu lassen. Und das liegt zu großem Teil eben daran, dass der Film immer wieder viele wichtige Details verstreut und diese dann restlos zusammenführt und aufklärt. Dazu sei natürlich gesagt, dass Die Frau im Nebel kein Film ist, den man mit ausgeschaltetem Gehirn schauen sollte. Und das gilt, obwohl er stets gut schafft, auf Details hinzuweisen, die eben eine besondere Wichtigkeit tragen.
Dass das gelingt, ist sicherlich auch dem brillanten Erzähltempo zu verdanken. Der Film weiß ganz genau, wann er schnell und wann langsam zu sein hat, um die meiste Spannung, Emotion oder auch den größten Lacher davon zu tragen. Ein beiläufiges Resultat davon ist übrigens, dass sich Die Frau im Nebel fast vollständig einer möglichen Genreeinteilung entzieht. Elemente aus Drama, Thriller, Krimi, Romanze und Komödie werden derart nahtlos ineinander überführt, dass sich der Film eben nicht so anfühlt, als wolle er ein bestimmtes Genre bedienen, sondern wie eine Bühne der fast endlosen Möglichkeiten.
Mehr als nur ein koreanischer Sherlock Holmes
Und diese Bühne tut vor allem seinen Figuren gut. Denn im Kern ist Die Frau im Nebele ein Film, der seine Handlung um die Beziehung seiner Figuren baut und nicht andersherum. Was sich zunächst nach simplem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Ermittler und Nemesis anhören mag, entwickelt sich aber zu deutlich mehr und schafft eine wirklich besondere Filmstruktur. Der Film ist dann lustig, wenn den Figuren lustige Dinge passieren. Genauso ist er dann emotional, wenn den Figuren emotionale Dinge passieren. Die Figuren werden nicht genutzt, um zu einem gewissen Szenenziel zu gelangen. Die Szenen werden genutzt, um zu einer gewissen Figurenentwicklung zu kommen.
Das führt dazu, dass Die Frau im Nebel auch nicht ein großes Thema hat, das sich in den Vordergrund spielt, sondern vielen verschiedenen Themen Platz gibt, die allesamt vom Motiv Obsession getragen werden. Insofern ist die akribische Detailarbeit des Films also auch auf allegorischer Ebene sehr schön zu beobachten. Thematisch lässt sich aber nur sagen, dass eine Vielzahl menschlicher Verhaltensmuster und die gesellschaftlichen Strukturen dahinter porträtiert werden. Ob Verführung, Sexualität, sexuelle und geschlechtliche Identität, Machtverhältnisse, Manipulation oder noch viele weitere, praktisch alles findet hier seinen Platz.
Versteckte Strukturen
Die Frau im Nebel wirkt an manchen Stellen wie fünf Filme auch einmal, ohne jedoch zu überfrachtet zu sein. Ein Grund, warum das so gut gelingt, dürfte wohl auch sein, dass in diesem fast schon allumfassenden Konzept dann vereinzelt eben doch auch Tropen und bekannte Muster zum Einsatz kommen. Das ist auch der Grund dafür, dass Die Frau im Nebeldas Publikum beim Schauen nicht ganz so schonungslos durch die Manege zieht wie in Die Taschendiebin. Gewissen Strukturen, gerade vom Film Noir, lassen sich deutlich erkennen.
Insbesondere natürlich die Figurenkonstellation Ermittler und Femme Fatal ist, wenngleich die Rollen hier einen durchaus frischen Anstrich bekommen haben, nun mal nicht völlig neu zu gestalten. Das als großes Problem zu bezeichnen, ist übertrieben, neben all seiner sonstigen Brillanz fällt es aber schon auf, dass Die Frau im Nebel nicht ganz so clever ist bzw. vermutlich auch gar nicht sein kann wie Die Taschendiebin.
OT: „헤어질 결심 (Haeojil gyeolsim)“
AT: „Decision to Leave“
Land: Südkorea
Jahr: 2022
Regie: Chan-wook Park
Drehbuch: Chan-wook Park, Seo-kyung Chung
Musik: Young-wuk Cho
Kamera: Ji-yong Kim
Besetzung: Wei Tang, Hae-il Park, Jung-hyun Lee, Yong-woo Park, Seung-mok Yoo, Kyung-pyo Go
Cannes 2022
Toronto International Film Festival 2022
Filmfest Oldenburg 2022
Filmfestival Cologne 2022
Around the World in 14 Films 2022
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