Auch wenn die Position der Ortsbürgermeisterin im beschaulichen Neustadt-Linden nur ehrenamtlich ist und sie nichts dafür bekommt, ist Claudia Voss (Anna Schudt) doch mit ganzem Herzen dabei. Darunter leiden zuweilen ihr Mann Peter (Felix Klare) und ihre Tochter Leonie (Jule Hermann), wenn sie mal wieder kaum Zeit für ihre Familie hat. Insgesamt stehen sie aber hinter ihr. Das ändert sich, als eines Tages ein Heim für Geflüchtete dort entstehen soll. Obwohl sie die Entscheidung nicht selbst getroffen hat, sondern wie alle anderen vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, wird sie für diese Entwicklung verantwortlich gemacht. Vor allem Veith Landauer (Alexander Beyer) lässt keine Gelegenheit ungenutzt, um gegen das kommende Heim zu hetzen und seine Mitmenschen aufzustacheln – wodurch Familie Voss mehr und mehr zur Zielscheibe wird …
Der übliche rechte Hass
Auch wenn der Zeitpunkt natürlich reiner Zufall ist, der Sendetermin lange geplant war: Es ist schon auf erschreckende Weise passend, dass das TV-Drama Die Bürgermeisterin ausgerechnet dann im ZDF läuft, wenige Tage nachdem eine Unterkunft für ukrainische Flüchtlinge in Brand gesteckt wurde. Damit steht der Anschlag in einer langen und unrühmlichen Tradition, immer mal wieder wurden in Deutschland vergleichbare Verbrechen begangen. Der Film nimmt dabei keinen Bezug auf einen konkreten Vorfall, auch wenn man das vielleicht meinen könnte. Stattdessen soll hier dieses Themengebiet ganz grundsätzlich abgearbeitet werden, stellvertretend für Phänomene, wie sie hierzulande immer wieder zu beobachten sind.
Zumindest auf der Gegenseite begnügt sich das Drehbuch dann auch mit Stereotypen. Es gibt die üblichen rechten Parolen über kulturelle Entfremdung und angebliche Sorgen um Sicherheit, während selbst unverhohlen zu Gewalt aufgerufen wird. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, was Menschen zu solchen Ansichten verleitet, findet nicht wirklich statt. Dafür bleibt Die Bürgermeisterin dann doch zu sehr an der Oberfläche. Immerhin: Alexander Beyer (Persischstunden), der sein Gesicht für die rechte Sache hergibt, spielt den rassistischen Hetzer mit erschreckendem Ernst und wird zum Vorzeigefeindbild einer toleranten Gesellschaft. Schade ist es dennoch, dass wir wenig von dem Menschen hinter dem Hass erfahren. An einer Stelle gibt es einen kurzen Blick auf sein eigenes Leben und einen zurückliegenden Vorfall, der aber sofort wieder zu den Akten gelegt wird.
Oberflächlich, aber wichtig
Letzten Endes ist Die Bürgermeisterin aber ohnehin nur zum Teil eine Mahnung vor rechter Gewalt und Hasspredigern. Wichtiger ist es Drehbuchautor Magnus Vattrodt (Die Wannseekonferenz), die Auswirkungen auf die Protagonistin und ihre Familie aufzuzeigen. Wie geht ein Mensch damit um, dem plötzlich der blanke Blass entgegenschlägt, ohne selbst etwas dafür getan zu haben? Zwar wird sie zu einer Befürworterin des Heims. Das ergibt sich jedoch mehr aus der Situation: Je mehr andere dagegen hetzen, umso mehr will sie sich dafür einsetzen. Umso mehr provoziert sie aber auch ihre Gegner, die jeden Anlass dankbar aufnehmen, ihre Themen in die Welt zu schreien und die Entwicklung zu eskalieren. Denn es bleibt nicht bei Worten, irgendwann folgen Taten.
Das Drama, das auf dem Filmfest Hamburg 2022 Premiere feierte, nimmt auf diese Weise im weiteren Verlauf immer mehr Merkmale eines Thrillers auf. Das Publikum soll mitzittern und ganz gespannt sein, wie sehr sich das alles noch intensiviert, ob es zu tatsächlicher Gewalt kommt und welche Seite am Ende „gewinnt“. Man kann an der Stelle geteilter Meinung sein, ob leicht reißerisches Unterhaltungsfernsehen das richtige Mittel ist, um das Thema zu behandeln. Wichtig ist es aber: Die Bürgermeisterin zeigt anhand des Flüchtlingsheims, unter welchem Druck Menschen des öffentlichen Lebens stehen und wie sehr ein lautstarker Teil der Bevölkerung zu Terror bereit ist. Anstatt wie so oft in Filmen mit dem Finger auf die da oben zu deuten und Korruption oder sonstige Verfehlungen in der Politik anzuprangern, wird hier die Perspektive gewechselt und gezeigt, wie ein engagierter Mensch, der anderen helfen will, vom Mob bedrängt wird. Mehr als einmal geht das mit der Frage einher, ob sich der persönliche Einsatz überhaupt lohnt in einer Welt, in der Hass zunehmend zelebriert wird.
OT: „Die Bürgermeisterin“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Christiane Balthasar
Drehbuch: Magnus Vattrodt
Musik: Johannes Kobilke
Kamera: Hannes Hubach
Besetzung: Anna Schudt, Felix Klare, Jule Hermann, Alexander Beyer, Uwe Preuss
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