Zu falschen Zeit am falschen Ort: Als der junge Geschäftsmann Karim (Fahd Larhzaoui) gerade bei seinem Freund Kofi (Emmanuel Boafo) ist, steht plötzlich sein Vater Abbas (Slimane Dazi), der als Postbote arbeitet, vor der Tür. Pikant ist, dass dieser wie auch der Rest von Karims Familie nichts von seiner Homosexualität weiß. Vielleicht ist es höchste Zeit, dies zu ändern. Nur wie? Schließlich ist seine aus Marokko stammende, nun in den Niederlanden lebende Familie sehr konservativ und religiös. Dass der eigene Sohn schwul sein soll, wird da kaum auf Gegenliebe stoßen. Tatsächlich gestaltet sich der Versuch, mit Abbas und dessen Frau Fatima (Lubna Azabal) zu reden, ziemlich schwierig …
Das schwierige Coming-out
Auch wenn es natürlich große Fortschritte gegeben hat im Hinblick auf die Akzeptanz von Homosexualität, je nach Kontext kann so ein Outing immer noch ziemlich schwierig sein. Dass beispielsweise zahlreiche deutsche Künstler und Künstlerinnen sich genötigt sahen, in einer gemeinsamen Aktion namens #ActOut ihre Sexualität öffentlich zu machen, zeigt, dass es noch immer Nachholbedarf gibt. Noch schlimmer sieht es bekanntlich beim Sport aus, eine der großen Tabu-Bastionen. Aber auch der kulturelle Hintergrund kann dafür sorgen, dass man trotz allem nicht dazu stehen kann, wer man eigentlich ist. El Houb – The Love erzählt von einem solchen Fall, wenn ein niederländisch-marokkanischer Mann erst deutlich im Erwachsenenalter angekommen das heikle Thema anspricht. Und das nicht einmal ganz freiwillig.
So etwas kann selbst schnell ein wenig heikel werden. Das Risiko, mit Klischees zu arbeiten und einen Kulturkreis pauschal als rückständig zu porträtieren, ist auf jeden Fall da. Doch Regisseur und Co-Autor Shariff Nasr, der hiermit sein Spielfilmdebüt vorlegt, geht es nicht darum, einfach nur Kritik zu üben und Vorwürfe zu teilen. Genauso wenig handelt es sich bei El Houb – The Love um eines dieser rührseligen Versöhnungsdramen, die ganz tief im Kitsch waten und das Publikum grob zu manipulieren versuchen. Er geht da differenzierter vor, sowohl was die Figuren wie auch die Verhältnisse untereinander betrifft. Stattdessen versucht er, das chaotische Gefühlsleben seines Protagonisten aufzudröseln und aufzuzeigen, wie die gesamte Familie von Erfahrungen beeinflusst wird.
Zwischen Gegenwart und Vergangenheit
Zu diesem Zweck findet Nasr ein recht ungewöhnliches Mittel. So flüchtet Karim, kurz nach dem wenig erfolgreichen Aufeinandertreffen mit seinen Eltern, in die Vorratskammer. Während Coming-outs im Englischen die Kurzform für „to come out of the closet“ ist, macht dieser Protagonist quasi das Gegenteil. Er öffnet sich, indem er sich einschließt. Klingt komisch, ist es an manchen Stellen auch. An anderen ist es dafür umso bewegender. Die Zeit in der Kammer wird für ihn eine, in der er Gespräche mit seiner Familie führt, dann eben durch die Tür hindurch. Es sind aber auch in gewisser Hinsicht Selbstgespräche, wenn er an früher zurückdenkt und er sich seiner Vergangenheit bewusst wird. El Houb – The Love setzt dabei massiv auf Flashbacks: Es tauchen Szenen aus dem Erwachsenenalter wie auch aus seiner Kindheit auf, in denen Shad Issa die Rolle des Karim spielt.
Anstatt dabei chronologisch vorzugehen und damit die Lebensgeschichte eines schwulen Mannes vom Anfang bis zum Coming-out zu begleiten, springt das niederländische Drama wild durch die Zeit. Das macht El Houb – The Love zuweilen etwas anstrengend bis verwirrend. Aber es passt doch gut zu einem Film, bei dem es maßgeblich darum geht, Klarheit in ein Leben zu bringen, das sich im Verborgenen abspielte und von Unsicherheiten geprägt war. Nach und nach kommen auf diese Weise neue Facetten zum Vorschein, einzelne Momente schieben sich in den Vordergrund. Das ist kunstvoll umgesetzt, wenn die Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit fließend sind und der Eröffnungsfilm vom Queer Film Festival München 2022 immer wieder ins Traumartige bis Surreale abgleitet. Die Geschichte von Karim ist dabei gleichzeitig die einer Versöhnung wie einer Abnabelung, die Aufforderung zu einer Auseinandersetzung, mit anderen – und vor allem auch mit sich selbst. Und dafür ist man dann doch nie zu alt.
OT: „El Houb“
Land: Niederlande
Jahr: 2022
Regie: Shariff Nasr
Drehbuch: Philip Delmaar, Shariff Nasr
Musik: Sara Barone
Kamera: Joris Kerbosch
Besetzung: Fahd Larhzaoui, Lubna Azabal, Slimane Dazi, Sabri Saddik, Walid Benmbarek, Shad Issa, Emmanuel Boafo
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