John Lithgow ist ein US-amerikanischer Schauspieler, der in zahlreichen Filmen, Serien sowie TV-Produktionen mitgespielt hat. Zu seinen bekanntesten Projekten zählen George Roy Hills Garp und wie er die Welt sah (1981), Brian De Palmas Mein Bruder Kain (1991), Renny Harlins Cliffhanger – Nur die Starken überleben (1993) und Christopher Nolans Interstellar (2014), um nur einige Beispiele zu nennen. Zuletzt war Lithgow in der Neuverfilmung des Stephen King-Romans Friedhof der Kuscheltiere zu sehen sowie Jay Roachs Bombshell – Das Ende des Schweigens. Neben seiner Karriere vor der Kamera ist Lithgow zudem ein gefragter Theaterschauspieler, der bereits in unzähligen Produktionen mitgespielt hat und über seine Erfahrungen als Darsteller, seine Karriere und seine Philosophie bereits mehrere Bücher verfasst hat, unter anderem seine Memoiren Drama: An Actor’s Education. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von Kinderbüchern gemacht.
In der für den US-amerikanischen Sender FX produzierten Serie The Old Man spielt John Lithgow die Rolle des Harold Harper, des stellvertretenden Direktors im Bereich Gegenspionage fürs FBI, der gezwungen ist, einen seiner ehemaligen Freunde, der als eine Bedrohung für die nationale Sicherheit gesehen wird, zu jagen. In Deutschland, wie auch im Rest Europas, wird die Serie auf Disney+ zu sehen sein.
Anlässlich des Sendestarts von The Old Man am 28. September 2022 spricht Lithgow im Interview über seine Rolle in der Serie, die Wichtigkeit von Film versus TV und welche Geschichte jemand wie Harold Harper zu erzählen hat.
The Old Man ist eine Serie, die sich durch ihre Mischung von Action und Drama auszeichnet. Was spielst du eigentlich lieber?
Ich finde es interessant, zwischen diesen beiden Genres zu springen und immer etwas Neues auszuprobieren. Das ist zum einen für mich als Darsteller sehr interessant, aber andererseits auch für den Zuschauer. Es geht darum, den Zuschauer zu überraschen, wobei es eigentlich sekundär ist, ob man nun in einer Komödie, einem Drama oder einem Horrorfilm mitspielt. Mir ist diese Vielfalt wichtig.
Da The Old Man auf einem Roman des Autors Thomas Perry beruht, wollte ich dich fragen, ob es für dich als Darsteller deine Arbeit erleichtert, wenn sich jemand, in diesem Falle der Schriftsteller, mit dem Charakter befasst hat? Generell, gab es für dich irgendwelche Anknüpfungspunkte bei einer Figur wie Harold Harper?
Perrys Vorlage ist schon sehr gut und zeigt Harper als eine Figur mit sehr viel Potenzial, was Jonathan Steinberg, einer der Autoren der Serie, ebenso sieht und ihn zu einer Rolle gemacht hat, die sehr viel komplexer geworden ist, speziell in ihrer Beziehung zu der Figur des Dan Chase, gespielt von Jeff Bridges. Das soll jetzt kein Qualitätsurteil über den Roman sein, aber der Roman in sich ist abgeschlossen, wohingegen man bei einer Serie natürlich immer daran denken muss, wie man diese Figur noch weiter definieren kann, gerade weil eine Serie sehr viel mehr erzählt und potenziell über mehrere Staffeln eine Geschichte erzählt.
Als wir Harper begegnen, ist er ein gebrochener, trauernder Mann, der den Tod seines Sohnes und seiner Schwiegertochter zu beklagen hat, und sich nun, gemeinsam mit seiner ebenfalls trauernden Gattin, um ihren Enkel kümmern muss. Inmitten dieser sehr emotionalen Situation erreicht ihn dann ein Anruf, in dem ihm mitgeteilt wird, dass er von nun an Teil einer gefährlichen Operation ist, bei der es um ein Kapitel seiner Biografie geht, von dem er eigentlich vermutet hatte, es endlich hinter sich zu haben.
Nachdem ich diese Szene das erste Mal gelesen hatte, sagte ich zu Jonathan, dass dies eine sehr hohe Verantwortung für mich als Darsteller sei, denn ich müsse gleichzeitig sehr viele Dramen und Emotionen balancieren. Gleichzeitig aber arbeitet Harper in einem Berufsfeld, welches sich dadurch auszeichnet, dass er keinerlei Gefühle zeigen darf und demonstrieren muss, dass er alles unter Kontrolle hat. Das kreiert eine unglaubliche Spannung für die Figur, welche sich zugleich auf die ganze Serie ausweitet.
The Old Man ist abermals ein Beispiel dafür, dass TV-Produktionen in Sachen Attraktivität im Vergleich zum Film sehr aufgeholt haben. Was hältst du von diesem Wechsel?
Auf der einen Seite ist dies sehr interessant, denn dadurch, dass Netflix, Amazon Prime und Hulu, sowie viele andere Streaming-Dienste, so viel Content brauchen, kam und kommt es zu einer Flut vieler, sehr vielversprechender Talente in diese Branche. Die Kehrseite ist freilich, dass die Nachfrage eben sehr groß ist und nicht so viel Talent auf dem Markt ist, um diese zu bedienen, was wiederum zur Folge hat, dass viele der Serien oder Filme auf Streamingdiensten einfach nicht gut ist.
Dann kam natürlich die Pandemie und der Lockdown, sodass auf einmal viele Menschen nicht mehr ins Kino gehen konnte und sich sehr an die Dienstleistungen der Streamingdienste gewöhnt haben. Dies hat die gerade beschriebene Entwicklung nur beschleunigt, sodass selbst Schauspieler wie Jeff Bridges in einer Serie mitspielen. De facto gibt es in der US-amerikanischen Filmindustrie so gut wie keinen Darsteller mehr, der nicht schon einmal in einer Produktion von Netflix oder Amazon mitgespielt hätte. Zumindest fällt mir gerade keiner ein.
Diese Entwicklung hat für einen Darsteller viele Vorteile, denn zum einen hat man ungeheures Talent vor und hinter der Kamera versammelt und zum anderen sind diese Firmen mittlerweile Profis, wenn es darum geht, ihre Inhalte zu vermarkten. Dazu hat sich das Publikum wohl daran gewöhnt, nicht mehr nur für die Dauer von 90 Minuten einer Geschichte beizuwohnen oder mit einer Figur mitzufiebern, sondern will eher Geschichten haben, die sich über einen langen Zeitraum erstrecken, was abermals gut ist für uns Schauspieler.
Im Verlauf deiner Karriere hast du bereits sehr viele unvergessliche Figuren gespielt, die dem Zuschauer schon nach wenigen Minuten nicht mehr aus dem Gedächtnis gehen. Gab es eigentlich auch schon einmal den Fall, dass du von einer Figur nicht loskamst oder nicht von ihr loskommen wolltest?
Mir macht es einfach Spaß zu schauspielern, unabhängig vom Genre oder vom Medium. Ob ich auf der Bühne stehe oder vor der Kamera agiere, liebe ich es einfach, wenn mein Spiel eine Reaktion beim Publikum auslöst, von Weinen, Schreien zum lauten Loslachen. Auch beim Publikum bin ich nicht wählerisch, denn es hat genauso seinen Reiz vor einer Gruppe Kinder aufzutreten und aus einem Buch vorzulesen oder vor einem erwachsenen Publikum ein Shakespeare-Stück zu spielen.
Das einzige, was ich nicht mag, ist es, wenn ich schlechtes Material bekomme als Schauspieler und versuchen muss, die Fehler in einer Geschichte oder eine Figur auszubügeln. Glücklicherweise musste ich dies bei The Old Man nicht tun.
In deinem Buch Drama: An Actor’s Education schreibst du im Vorwort, dass Schauspielern in gewisser Weise eine Art Geschichtenerzählen ist. Welche Geschichte willst oder wolltest du mit Harold Harper erzählen und welche Geschichte hat er dir erzählt?
Danke für die Erwähnung meines Buches und diese tolle Frage. Wenn man als Schauspieler ein neues Projekt beginnt und sich mit seiner Figur auseinandersetzt, geht es mir meist darum, die Geschichte dieses Charakters zu verstehen, an welcher Stelle diese Figur an einer bestimmten Stelle ist und wo sie überhaupt hinwill. Als ich das erste Mal das Drehbuch las, hatte ich gleich ein Gefühl für die Figur Harold Harper, der gleich zu Anfang die wahrscheinlich größte Tragödie seines Lebens durchmacht. Darüber hinaus muss er auch diesen Einsatz leiten, bei dem einiges auf dem Spiel steht und welcher ihn mit einem Menschen zusammenbringt, mit dem ihn vor 30 Jahren eine Freundschaft verband, die durch ein katastrophales Ereignis zerbrach.
Die Geschichte Harolds erinnerte mich an vielen Stellen an jene Nachrichten von Spionen oder Terrorismus, die wir alle kennen, wobei noch hinzu kommt, dass diese Person diese enorme emotionale Last zu tragen hat, von der ich bereits sprach. Darüber hinaus wird Harolds Story in gewisser Weise gespiegelt in der von Dan Chase, sodass sich diese beiden Handlungsstränge immer mehr annähern. Das ist wirklich toll, das zu verfolgen und als Schauspieler ein Teil davon zu sein. Ich will zeigen, wie gewisse Momente und Ereignisse eine Figur wie Harold verändern, sodass es für den Zuschauer ebenso interessant ist, diesen Charakter kennenzulernen wie für mich.
Vielen Dank für das tolle Gespräch.
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