Als Beamtin des United States Census Bureau ist die Aufgabe von Simin (Sheila Vand) und ihren Kollegen nicht nur allgemeine Daten über die Bevölkerung zu erheben, sondern auch sehr spezielle, seit neuestem die Träume. In ihrer Laufbahn hat die aus dem Iran stammende Beamtin ein Talent für diese ungewöhnliche Facette ihrer Arbeit entwickelt und bereits viele Berichte über Träume aufgezeichnet, welche sie an ihre Behörde weitergeleitet hat. Von ihrer Vorgesetzten erhält sie daher einen Spezialauftrag, der sie als Erstes zu einer Gemeinde von ehemaligen IS-Angehörigen führt, die mitten in der Wüste eine kleine Kommune gegründet haben. Zu ihrem Schutz wird Alan (Matt Dillon), ein Mitarbeiter der Justizbehörde, abgestellt. Die Aufgabe erweist sich als schwierig und letztlich nicht durchführbar für Simin, wird sie doch durch ihren Besuch mit der Biografie ihrer Familie konfrontiert, was ihr sehr zu schaffen macht. Um sich abzulenken, stürzt sie sich wieder in ihre Arbeit, jedoch bleibt die Erinnerung an ihren Besuch lange an ihr haften und lässt sie nach ihren eigenen Träumen suchen.
Auf ihrer Arbeit begleitet sie mittlerweile nicht mehr länger nur Alan, sondern auch Mark (William Moseley), ein junger Mann, der sie bei ihrem Besuch bei seiner Mutter kennenlernte und schwört, sich in sie verliebt zu haben, ohne dass seine Gefühle jedoch erwidert werden. Weitaus beunruhigender werden aber für die die Traumberichte der Menschen, die sie trifft und immer dringender wird auch die Frage, was ihre Arbeitgeber eigentlich mit dem Aufnehmen von Träumen erreichen wollen. Eines Tages jedoch überkommt Simin eine dunkle Vorahnung, was ihre Arbeit angeht.
Ein schwieriges Verhältnis zur Wahlheimat
Auch wenn die iranische Künstlerin und Regisseurin Shirin Neshat (Women Without Men) die USA als ihre Wahlheimat bezeichnet, beschreibt sie ihr Verhältnis zu diesem Land als zwiespältig. Schätzte sie einst die Freiheit, die das Land ihr und ihrer Familie bot, zeigt sich heute eine tiefe Kluft in der Bevölkerung und eine zunehmende Radikalisierung, die nicht erst mit Donald Trump begann. In Land of Dreams erzählt sie eine Geschichte, die gleichzeitig eine persönlich gefärbte Bestandsaufnahme der USA, ihrer Kultur und Werte ist, insbesondere aber ihres Gründungsmythos, dem amerikanischen Traum.
Bei ihrem zweiten Besuch bei einer Familie kommt es zu einem interessanten Austausch, der auf die Herangehensweise Neshats auf den Punkt bringt. Kurz nachdem sich Simin vorgestellt hat und ihre Absicht kundgetan hat, wird dies quittiert mit der Bemerkung, wie weit es mit einem Land gekommen sei, in dem jetzt schon die Einwanderer, noch dazu eine Iranerin, Aufgaben einer Regierungsbehörde übernehmen. Tatsächlich weicht Simin von dieser Landschaft und diesen Menschen ab, jedoch anders, als es diese Bemerkung vermuten lässt. Durch das Nacherzählen und Nachstellen der Berichte, die sie hört, scheint sie einen Versuch zu starten, sich die Träume anzueignen, also so etwas wie eine Assimilation oder Integration zu erreichen, die nicht nur über die Sprache und gewisse Verhaltensweisen geht. Neshat, die Simin als ihr „alter ego“ bezeichnet, erzählt von den Erfolgen und Niederlagen bei diesem Prozess, der mitten hineinführt in dieses Land der Träume, die, je weiter die Reise der Protagonistin geht, eher wie Neurosen oder Albträume wirken.
Problematische Träumereien
Auch die Landschaften, die Land of Dreams ausmachen, sind Traumlandschaften. Irgendwo zwischen den Werbelandschaften einer Zigarettenreklame und dem futuristischen Gebäude einer Behörde sind es Extreme, die zwischen Fortschritt und Nostalgie schwanken. Sheila Vands Simin ist eine Wanderin zwischen diesen Welten, geprägt von der traumatischen Erinnerung an ihre Familienbiografie und der Möglichkeit einer Eingliederung in diese Kultur, die zugleich eigen und doch wiederum fremd ist. Ihre Wegbegleiter, gespielt von Matt Dillon und William Moseley, sind Aspekte dieser Traumlandschaft, solche, die sich in ihr verlieren scheinen oder solche, welche diese Welt zu umarmen scheinen. Diese Fremdheit zeigt Neshat auch von ihrer dunklen Seite, wenn ihrer Heldin Phänomene wie Xenophobie und Rassismus begegnen.
Berücksichtigt man die Themen von Land of Dreams sowie die Herangehensweise der Regisseurin als Künstlerin, ist es wahrscheinlich nicht verwunderlich, dass viele Einstellungen und Montagen wie eine Installation wirken. Neshat legt ihren Film auf Konfrontation und Irritation an, was an vielen Stellen wahrscheinlich erreicht werden wird, aber sich an vielen Stellen sich wiederholt oder übers Ziel hinausschießt.
OT: „Land of Dreams“
Land: USA, Katar, Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Shirin Neshat, Shoja Azari
Drehbuch: Shoja Azari, Jean-Claude Carrière
Musik: Michael Brook
Kamera: Ghasem Ebrahimian
Besetzung: Sheila Vand, Matt Dillon, Wiliam Moseley, Isabella Rossellini, Robin Bartlett, Anna Gunn, Christopher McDonald
Wer mehr über den Film erfahren möchte: Wir haben uns mit Regisseurin Shirin Neshat über Land of Dreams unterhalten und sprechen im Interview unter anderem über Erinnerungen, Heimat und Kunst.
Venedig 2021
Filmfest Hamburg 2021
Tribeca 2022
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