Truckerin Sally (Juliette Binoche) ist viel auf den Highways Nordamerikas unterwegs, in Gedanken aber oft bei ihrem Bruder Dennis (Frank Grillo). Der soll bald aus dem Gefängnis entlassen werden. Bevor sie ihn aber abholen kann, muss sie noch einen letzten Auftrag ausführen – um seine Sicherheit vor einer Gang zu gewährleisten, hat sie neben ihren normalen Lieferungen bereits einige Male den Drogenkurier gespielt. Nun gilt es allerdings keine verbotenen Substanzen zu transportieren, sondern ein Mädchen, die etwa zwölfjährige Leila (Hala Finley). Widerwillig und nur aus Liebe zu ihrem Bruder fährt sie mit der „Ware“ zum vereinbarten Treffpunkt, wo Leila sich jedoch die Schrotflinte aus dem Führerhaus packt und den Empfänger (Jim Dougherty) über den Haufen schießt. Panisch flieht Sally mit ihr und überlegt, wie sie aus der Sache wieder rauskommen kann. Kurz darauf ermitteln FBI-Berater Gerick (Morgan Freeman) und Special Agent Finley Sterling (Cameron Monaghan) in dem Mordfall, wodurch sie schon bald auf die Spur der flüchtigen Truckerin stoßen …
Visuell und schauspielerisch überzeugend
Die Stärken von Paradise Highway sind nicht wegzudiskutieren. Wenn der Film sich mit Sally auf Achse begibt, wenn sie ihren Truck kontrolliert oder Leila über die geheimen Tricks und Tücken des Truckerlebens informiert, aber auch wenn sie ihren überdimensionierten fahrbaren Untersatz inmitten anderer Metallungetüme auf einem der dafür vorgesehenen Rastplätzen parkt, präsentiert Paradise Highway sich zeitweise als stimmungsvolles Roadmovie. Nicht nur hier fängt Kameramann John Christian Rosenlund ansprechende Bilder ein, generell ist der gesamte Streifen visuell kompetent festgehalten. Die beiden Hauptpaarungen erhalten jeweils ihre eigene Bildsprache. Ruhig und präzise ist die Kameraführung um die ermittelnden Cops herum, leicht verwackelt und händisch bei den flüchtenden Damen. Auch weiß der Film sich entsprechende Farbgebung zunutze zu machen, um ihn auf diese Weise mitzuerzählen. Nachdem Morgan Freeman in Vanquish – Überleben hat seinen Preis noch den Eindruck erweckte, dass ihm mittlerweile alles egal sei, scheint er sich für Paradise Highway wieder daran erinnert zu haben, dass er ein talentierter Schauspieler ist. Während der Cast insgesamt überzeugend ist, sticht die junge Hala Finley besonders hervor.
Schwächen im Drehbuch
Leider kommen mit all diesen positiven Punkten auch Probleme mit ins Haus. Vor allem mit den erwähnten Roadmovie-Szenen gibt Paradise Highway einen Ausblick darauf, was hätte sein können. Debütregisseurin und -autorin Anna Gutto scheint in die Welt der Truckerinnen eintauchen zu wollen, bleibt dann aber lediglich auf dem Sprungbrett stehen geblieben und schaut sich das Ganze nur aus der Distanz an. Stattdessen wird wie in Memory – Sein letzter Auftrag das Thema Menschenhandel mit reingezwängt, wodurch der Film trotz einer viel zu langen Laufzeit von fast zwei Stunden keine Möglichkeit hat, beiden Themenkomplexen ausführlich genug gerecht zu werden. Das Schauspiel mag insgesamt ja überzeugend sein, Binoche und Grillo funktionieren als Geschwister allerdings bestenfalls bedingt, nicht zuletzt ihrer unterschiedlichen Herkunft und individuellen Akzente wegen. Darüber hinaus wirken die jeweiligen Hintergrundgeschichten der verschiedenen Charaktere oft einfach nur alibimäßig angeheftet. Wir müssen nicht die Vergangenheit von jeder Figur kennen, stattdessen hätten die wenigen relevanten im Fokus stehen und detailreicher ausgebaut werden sollen.
Gutto wollte wohl unbedingt einen Twist am Ende haben. Der ist nur leider bereits im ersten Akt absehbar, in einer Weise zumal, welche zumindest die Hoffnung nährt, mit der Vermutung falsch zu liegen, wodurch der Zuschauer gleich doppelt enttäuscht wird. Auch sonst weist das Drehbuch viele Schwächen auf, seien es Ungenauigkeiten, Plotconveniences oder Plotholes. Außerdem scheint irgendetwas mit Freemans Händen passiert zu sein, jedenfalls ist das die naheliegendste Erklärung dafür, dass er sie fast durchgehend auffällig unauffällig zu verstecken versucht, was vielleicht nicht in die Gesamtwertung des Films einfließt, aber dennoch leicht zu irritieren weiß.
OT: „Paradise Highway“
Land: USA
Jahr: 2022
Regie: Anna Gutto
Drehbuch: Anna Gutto
Musik: Anné Kulonen
Kamera: John Christian Rosenlund
Besetzung: Juliette Binoche, Morgan Freeman, Frank Grillo, Hala Finley, Cameron Monaghan, Christiane Seidel, Veronica Ferres, Desiree Wood, Dianne McNair-Smith, Walker Babington
Locarno Film Festival 2022
Filmfest Oldenburg 2022
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