So richtig viel haben die zwei eigentlich nicht gemeinsam. Während Raymond (Ewan McGregor) ein solides Leben führt und daran interessiert ist, alles ordentlich abzuhaken, da ist Ray (Ethan Hawke) ein künstlerisch veranlagter Lebemann mit Suchtvergangenheit. Und doch haben sie denselben Vater. Als dieser verstirbt, hält sich die Trauer der zwei in Grenzen. Das Verhältnis zu ihm war nie gut gewesen, immer wieder hat er sie misshandelt oder in ihren Wünschen missachtet. Er war es auch, der den zwei Halbbrüdern denselben Vornamen gab, aus reiner Boshaftigkeit heraus. Dennoch machen sie sich auf den Weg zur Beerdigung, wo sie noch zahlreiche andere kennenlernen, die irgendwie Kontakt mit dem alten Mann hatten – darunter weitere Kinder des Womanizers …
Tod und Vergangenheitsbewältigung
Wenn ein Mensch stirbt, bedeutet das oft, dass sich Angehörige mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Zahlreiche Filme setzen auf das Szenario, dass die Hauptfigur nach dem Tod eines Familienmitglieds in die Heimat zurückkehrt und all das aufarbeiten muss, was jahrelang verschüttet wurde. Das ist bei dem Apple TV+ Film Raymond & Ray recht ähnlich. Allerdings steht hier kein Besuch der Heimat an. Außerdem ist die Beerdigung ein deutlich größerer Faktor als bei den anderen. Wo etwa Manchester by the Sea diese als Startpunkt nimmt für die Geschichte, spielt sich hier alles im Kontext der Beerdigung als solchen ab. Dort begegnen die beiden Halbbrüder ihren bislang unbekannten Verwandten oder auch Leuten, die anderweitig ihrem Vater nahestanden.
Durch diese lernen die zwei andere Facetten des Verstorbenen kennen. Er sei ganz anders gewesen, als sie das in Erinnerung haben. Das ist als Thema natürlich spannend, weil es eine Reihe von Fragen aufwirft. Hat sich der Mann in späteren Jahren verändert? Hatte er nur mit den beiden ein Problem? Stimmt ihre Erinnerung überhaupt? Eine wirkliche Antwort hat Regisseur und Drehbuchautor Rodrigo García (Four Good Days) in Raymond & Ray aber nicht zu bieten. Er belässt es bei der Verwunderung der zwei und diversen Dialogen, die aufzeigen, dass das Bild nicht eindeutig ist. Daraus hätte man auch einen Film machen können, der thematisiert, wie man einen anderen Menschen nie wirklich kennen kann und dass er mehr ist als das Bild, das wir von ihm haben. Gerade in Zeiten pauschaler Vorverurteilungen hätte das einen Film verdient.
Inhaltlich recht dünn
Garcia kann sich aber nicht dazu durchringen, eine solche Aussage zu treffen. Genauer gibt es bei ihm insgesamt keine nennenswerte Aussage, weder dazu noch zu anderen Punkten. Es reicht ja nicht einmal zu einer Charakterisierung der Figuren. So gibt es bei Raymond & Ray keine Entwicklung der beiden Protagonisten. Am Ende des Films hat der Film nicht mehr über sie erfahren als das, was von Anfang an klar ist. Trotz der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und den anderen Leuten gewinnen sie keine Erkenntnisse, nicht über sich, noch über den Toten. Die anderen, denen sie begegnen, versuchen das nicht einmal. Die sind nur da, als eine Art Hintergrunddeko, manchmal auch zur Belustigung oder als eine Art Spiegel. Eine eigene Geschichte haben sie nicht.
Dennoch: Die Tragikomödie, die auf dem Toronto International Film Festival 2022 Premiere feierte, hat ihre Momente. Hin und wieder wird es skurril, an anderen Stellen rührend. Außerdem sind da einige Überraschungen dabei, selbst wenn diese nicht den eigentlichen Ablauf der Handlung betreffen. Vor allem aber ist Raymond & Ray natürlich stark besetzt. Dabei ist es besonders Ethan Hawke (The Black Phone – Sprich nie mit Fremden), der das dünne Drehbuch durch seine bloße Präsenz massiv aufwertet und eine Emotionalität mitbringt, die sich aus der bloßen Beschreibung heraus nicht ergibt. Ewan McGregor (The Birthday Cake) kann damit zwar nicht ganz mithalten, ist aber doch überzeugend genug, damit das als Paarung funktioniert. Insgesamt ist der Film daher durchaus nett und etwas, das man sich an grauen Tagen anschauen kann. Es bleibt nur nicht so viel zurück, wie man angesichts des Themas und der Besetzung hat erwarten dürfen.
OT: „Raymond & Ray“
Land: USA
Jahr: 2022
Regie: Rodrigo García
Drehbuch: Rodrigo García
Musik: Jeff Beal
Kamera: Igor Jadue-Lillo
Besetzung: Ewan McGregor, Ethan Hawke, Maribel Verdú, Sophie Okonedo
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