See How They Run nimmt uns mit ins London der frühen 1950er: Das Theaterstück Die Mausefalle von Agatha Christie ist zu einem Phänomen geworden, alle wollen sie sehen, wer darin den Mord begangen hat. Da geschieht ein richtiger Mord. Ausgerechnet der Regisseur, der das Stück fürs Kino verfilmen sollte, wird heimtückisch getötet. An Verdächtigen mangelt es nicht, ein Polizeiduo soll den Fall möglichst schnell aufklären. Regisseur Tom George hat mit seinem Regiedebüt einerseits einen klassischen Krimi vorgelegt, verbindet diesen aber mit sehr viel Humor und Meta-Kommentaren auf das Genre. Wir haben uns zum Kinostart am 27. Oktober 2022 mit dem britischen Filmemacher über die Arbeit an der Krimikomödie, den Erfolg der Vorlage und schwierige Balancen unterhalten.
Könntest du uns etwas zu der Entstehungsgeschichte von See How They Run erzählen? Wie bist du zu dem Projekt gekommen?
Ich hatte gerade die Komödie-Serie This Country für die BBC gedreht, als mir Searchlight das Drehbuch zuschickte. Mark Chappell hatte zu dem Zeitpunkt bereits zwei oder drei Fassungen davon geschrieben. Ich liebte die Version, die man mir zuschickte, auch wenn es einige Verbesserungen oder Änderungen gab, dir mir beim Lesen vorschwebten. Das betraf zum Beispiel die Tonalität, die für mich auf naturalistischen komödiantischen Darstellungen basieren sollte und damit in einem Kontrast zu der überhöht aufgezeigten Welt stehen würde. Außerdem freute ich mich auf die Herausforderung, einen Film zu drehen, der sowohl Komödie als auch Krimi sein würde.
Der Hintergrund eurer Geschichte ist das Theaterstück Die Mausefalle von Agatha Christie, das schon in den 1950ern populär war und bis zum Ausbruch von Corona ununterbrochen aufgeführt wurde. Hast du eine Erklärung, warum ausgerechnet dieses Krimistück so erfolgreich wurde? Inzwischen müssten doch alle wissen, wer der Killer ist.
Eine wirkliche Erklärung dafür habe ich nicht. Tatsächlich war Agatha Christie selbst davon überrascht. Sie ging eigentlich davon aus, dass es vielleicht zehn Monate lang aufgeführt würde. Selbst als es von Anfang an erfolgreich war, hatte niemand erwartet, dass es Jahre lang so weitergehen würde. Von Jahrzehnten ganz zu schweigen, der Weltrekord für die längste kontinuierliche Aufführung lag damals bei ein paar Jahren. Was Die Mausefalle zu einem solchen Phänomen gemacht hat, weiß ich wie gesagt selbst nicht. Allgemein waren die Geschichten von Christie schon clever konstruierte Puzzles, die immer noch viel Spaß machen. Bei uns in England vergeht kein Jahr, in dem nicht irgendeins ihrer Bücher neu verfilmt wird. Ich denke, dass diese klassischen Whodunit-Krimis allgemein so beliebt sind, weil wir das Gefühl haben, dass wir die Hauptfigur sind und einen Fall lösen müssen. Außerdem sind einem diese Art Geschichten sehr vertraut. Wir wissen zumindest im Groben, was uns erwartet. Gleichzeitig bedeutet das, dass es irgendetwas geben muss, das diesen Krimi auszeichnet. Wie kann dieser noch frisch sein, wenn gefühlt schon jede Geschichte einmal erzählt wurde? Jeder war schon einmal der Killer. Das war auch ein Grund, warum mich See How They Run gereizt hat. Der Film ist einerseits ein Whodunit-Krimi, ist gleichzeitig aber auch ein Film über Whodunit-Krimis.
Hast du Die Mausefalle denn im Theater gesehen?
Tatsächlich nein. Ich wollte sie sehen und hatte auch schon fest geplant hinzugehen. Aber dann kam genau zu der Zeit die Pandemie dazwischen und alle Theater mussten geschlossen werden. Zuerst war ich ziemlich enttäuscht deswegen. Im Nachhinein war es aber vielleicht sogar besser. Du musst bei jedem Werk, das in irgendeiner Form auf ein anderes Werk verweist, immer aufpassen, dass du es nicht übertreibst. Hast du zu viele Anspielungen drin, riskierst du immer, ein Publikum zu verprellen, das das Original nicht kennt, weil es dann die Befürchtung hat, etwas nicht zu verstehen. Dass es zum Beispiel die Witze nicht versteht. Da vermutlich die meisten, die ins Kino gehen, Die Mausefalle nicht gesehen haben, war es von Vorteil, wenn ich quasi auf ihrer Seite bin.
Du hast schon gemeint, dass es so viele Krimis gibt, dass es etwas braucht, um noch frisch zu sein. Deine Figur beginnt in dem Film auch mit der Aussage, dass Whodunits alle nach demselben Prinzip funktionieren. Und doch muss es einen Unterschied geben, sonst wären manche nicht populärer als andere. Was ist deiner Meinung nach das Geheimnis eines guten Krimis?
Die naheliegende Antwort wäre, dass es damit zusammenhängt, wie komplex und einfallsreich das Rätsel ist, das allem zugrunde liegt. Aber ich glaube gar nicht mal, dass das so entscheidend ist. Natürlich willst du herausfinden, wer es gewesen ist und wie er oder sie es getan hat. Es heißt ja nicht grundlos Whodunit. Aber ich glaube, dass es die Figuren sind, welche letztendlich entscheidend sind. Gerade in der Phase, in der noch alles offen ist und niemand weiß, wer es getan hat. Die Phase ist auch die spannendste, weil alle so unter Druck stehen. Der Ermittler muss den Fall lösen. Die anderen stehen unter Verdacht, was für sie eine große Belastung darstellt. Vielleicht wird es auch einen weiteren Mord geben. Dieser Druck ist immer eine dankbare Voraussetzung beim Erzählen einer Geschichte, egal ob es nun eine dramatische oder eine humorvolle Geschichte ist. Denn unter diesem Druck wird bei den Figuren deutlich, wer sie in Wirklichkeit sind.
Hast du beim Lesen des Drehbuchs gewusst, wer der oder die Mörderin ist?
Nein, tatsächlich habe ich das nicht. Wobei es auch so ist, dass in der Drehbuchfassung, die ich am Anfang gelesen habe, diese Person seltener auftaucht als in dem fertigen Film. Das war auch einer der Punkte, bei denen ich das Gefühl hatte, dass wir noch etwas ändern müssen, als Mark und ich uns daran gesetzt habe, das Drehbuch zu überarbeiten. Du musst bei einer solchen Geschichte die Balance finden, dass die Figur gleichzeitig sichtbar und versteckt ist. Wenn du sie zu sehr an den Rand schiebst, kann das dazu führen, dass das Publikum misstrauisch wird und die Figur allein deshalb schon verdächtigt. Noch schlimmer ist es aber, wenn die Figur in der Geschichte so wenig auftaucht, dass am Ende niemand weiß, wer das sein soll. Das Publikum will schließlich das Gefühl haben, dass es selbst den Fall hätte lösen können. Sonst fühlt es sich schnell betrogen.
Wie schwierig war es, die richtige Balance aus einem klassischen Krimi und einer Komödie zu finden? Ihr arbeitet mit einigen Meta-Kommentaren, durch die der Film leicht eine Parodie hätte werden können.
Das stimmt. Ich mochte das an der ersten Fassung, dass da zwar die ganzen Referenzen und Metageschichten drin sind, die Geschichte aber insgesamt noch als Krimi funktioniert, ohne sich über das Genre lustig zu machen. Sobald ein Film zu einer Parodie wird, sind die Einsätze nicht mehr hoch. Wenn ein Film zu komisch ist, riskierst du immer, dass es um nichts mehr geht. Das gilt auch für Horrorkomödien oder Actionkomödien: Du musst als Zuschauer trotz allem das Gefühl haben, dass es um eine ernste Sache geht und eine wirkliche Gefahr da ist. Obwohl Mark da von Anfang an eine gute Balance hatte, haben wir den kompletten Dreh und auch während der Postproduktion immer wieder feilen müssen. Das war eine der größten Herausforderungen für uns.
Eine weitere Herausforderung muss doch auch gewesen sein, einen Film zu drehen, da See How They Run dein Spielfilmdebüt ist. Wie war die Erfahrung für dich?
Es war eine zweischneidige Erfahrung für mich. Grundsätzlich habe ich es geliebt. Dich ein Jahr lang nur mit einer Geschichte zu beschäftigen, war großartig. Du hast für vieles deutlich mehr Zeit als bei einer Serie, wo du ständig unter Zeitdruck stehst. Gerade beim Prozess des Schneidens hast du viel mehr Möglichkeiten. Gleichzeitig ist es nicht einfach, immer einen frischen Blick zu behalten, wenn du dich so lange mit einer Sache beschäftigst. Du bist dann irgendwann so drin, dass es schwer ist, ihn noch aus der Sicht des Publikums zu betrachten. Insgesamt war es aber eine schöne Erfahrung und ich hoffe, noch weitere drehen zu können. Eigentlich will ich beides weiterhin machen, also Filme und Serien. Letztendlich hängt es auch immer von der Geschichte ab: Manche sind mehr für ein serielles Erzählen geeignet, manche mehr für Filme.
Du hast bei deinem ersten Spielfilm mit Agatha Christie und Die Mausefalle nicht nur eine englische Ikone zum Thema, sondern auch mit zahlreichen Stars zusammengearbeitet. War das für ein Debüt nicht etwas einschüchternd?
Absolut! Vor allem das Ensemble ist unglaublich. Ich kann immer noch nicht fassen, welche Schauspieler und Schauspielerinnen wir bekommen konnten, was dann aber auch für mich zeigt, wie gut Marks Drehbuch war. Ich habe versucht, das alles zu verdrängen und mich ganz auf die Arbeit zu konzentrieren, also das, was ich kontrollieren kann. Wenn ich darüber nachgedacht hätte, mit wem ich da arbeite und welche Erwartungen damit einhergehen, wäre ich vermutlich wie gelähmt gewesen. Am Ende habe ich mich einfach an das Drehbuch gehalten und gleichzeitig geschaut, wie wir es zusammen mit dem Ensemble umsetzen können. Mir war es wichtig, den Schauspielern Raum zu lassen und auch Improvisation zu ermöglichen.
Die Geschichte des Films spielt in den 1950ern, also doch ein bisschen vor deiner Zeit. Wie schwierig war es für dich, derart in die Vergangenheit zu reisen?
Das war für mich wahrscheinlich die größere Herausforderung als der Wechsel von Fernsehen zu Film, da ich vorher noch keine Geschichte in einem historischen Setting erzählt hatte. Das war mit viel Detailarbeit verbunden, bei der ich mich auf das Fachwissen der einzelnen Abteilungen verlassen musste, vor allem beim Szenenbild, den Kostümen und den Frisuren. Mir war wichtig, dass wir das London der Nachkriegsjahre nicht so zeigen, wie es bei den meisten dieser Historiendramen der Fall ist, vor allem bei britischen Produktionen. Die sind oft von Nostalgie geprägt und voller Sepia-Töne. Dabei war die Welt damals genauso bunt wie unsere von heute. Ich wollte ein London porträtieren, das in der damaligen Zeit angesiedelt ist, aber gleichzeitig sehr aktuell wirkt. Der Film ist für ein Publikum, das weiß, dass Die Mausefalle auch Jahrzehnte später noch gezeigt wird. Es soll sich hier zu Hause fühlen und etwas sehen, das ihm vertraut ist, und doch irgendwie anders. Ein Historienfilm und ein Krimi, wie wir sie kennen, und gleichzeitig wieder nicht.
Vielen Dank für das Gespräch!
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