Das Kino der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland ist eines, welches vor allem durch seinen Eskapismus bekannt ist. Nur wenige Filmemacher zeigten, wie die Realität vieler Menschen aussah, zeigten die zerstörten Gebäude und Straßen oder den Kampf ums Überleben, sondern gingen viel lieber in die Berge oder andere Landschaften, und erzählten Geschichten von solch naiver Einfalt, dass man diese auch problemlos noch in den 1930er oder 1940er Jahren hätte drehen können. Jedoch fehlte nicht nur der Bezug zum Leben, sondern es fehlten auch jene Bilder und Geschichten, die das deutsche Kino vor der Nazi-Zeit ausgemacht hatten und welche eng mit Namen wie Fritz Lang oder Friedrich Wilhelm Murnau verbunden sind. Teilweise hat das deutsche Kino diese Diskrepanz bis heute nicht aufgeholt, wenn man sich bestimmte Blockbuster ansieht, jedoch knüpfte eine kleine Schar von Regisseuren in den späten 1960er Jahren an diese Tradition durchaus an, wie die Filmkritikerin Lotte Eisner unter anderem attestierte. Für sie waren es nicht zuletzt Filme wie Lebenszeichen des jungen Werner Herzog, die sie davon überzeugten, dass es so etwas wie Hoffnung für den deutschen Film geben kann.
Mittlerweile ist Werner Herzog nicht mehr als der Regisseur von Filmen wie Fitzcarraldo oder Aguirre – Der Zorn Gottes bekannt, sondern ist zu so etwas wie einer mythischen Figur geworden, die ihre Spuren nicht nur in der Filmgeschichte hinterlassen hat. In seiner Dokumentation Werner Herzog – Radical Dreamer, die Ende Oktober 2022 in den deutschen Kinos anläuft, widmet sich Regisseur Thomas von Steinaecker dem Künstler, dem Mythos und dem Menschen Werner Herzog gleichermaßen, womit er ein Porträt schafft, das interessanterweise Herzog in die Nähe jener Figuren bringt, die im Zentrum vieler seiner Spielfilme und Dokumentation stehen. Nicht nur Weggefährten wie seine Frau Lena Herzog oder Regiekollege Wim Wenders wurden für den Film interviewt, auch Schauspieler und Filmemacher wie Chloe Zhao, Christian Bale, Nicole Kidman oder Joshua Oppenheimer erzählen von ihrer Arbeit mit Herzog oder welchen Einfluss er auf ihre Karrieren hatte.
Seelenlandschaften
Als Werner Herzog in die Küche des Hauses blickt, in dem er als Kind mit seinen beiden Brüdern und der Mutter wohnte, will er diesen Ort der Erinnerung nicht betreten und einem Vorschlag seiner Frau folgend, entscheidet er sich einen nahen Wasserfall aufzusuchen, der für ihn als junger Mensch einen Rückzugsort bildete. Es sei eine „Seelenlandschaft“, wie er lächelnd sag, und eigentlich eine Landschaft, die er schon immer in seinen Filmen abbilden würde, ähnlich den Bergen, aus denen sich die Soldaten kämpfen zu Anfang von Aguirre – Der Zorn Gottes oder eben der Traum einer Oper, den der Held in Fitzcarraldo träumt. Selbst in seinen Dokumentarfilmen wie Die Höhle der vergessenen Träume sieht der Zuschauer eine solche Landschaft, die sich in den Höhlenwänden abspielt und einen Blick in eine längst vergangene Zeit offenbart. Neben den Aussagen seiner Weggefährten sind es vor allem solche Momente, die wenig sind in Werner Herzog – Radical Dreamer, die aber mehr über diesen Menschen sagen, der in Hollywood seinen eigenen Mythos begründet hat und für viele Künstler, besonders Filmschaffende, bis heute einer jener Filmemacher ist, deren Werke nach wie vor eine ungeheure Kraft haben, der man sich nicht entziehen kann.
Solche Augenblicke sind es, die den Reiz der Dokumentation für den Betrachter ausmachen, außerhalb der bereits bekannten Geschichten, beispielsweise der erneuten Rekapitulation der Eskapaden eines Klaus Kinski am Set von Fitzcarraldo oder Cobra Verde. Interessant sind auch die Kapitel über den Neubeginn in der Traumfabrik, die Dokumentationen Herzogs, die eine logische Folge aus den Spielfilmen bilden und letztlich der Mythos an sich, der neben Auftritten in The Mandalorian auch in Serien wie The Simpsons vertreten ist, immer wieder mit dem ihm eigenen Sprachduktus, der ihn für viele ikonisch gemacht hat.
OT: „Werner Herzog – Radical Dreamer“
Land: Deutschland, USA
Jahr: 2022
Regie: Thomas von Steinaecker
Musik: Philip Stegers
Kamera: Henning Brümmer
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