Seitdem er sie mit 16 Jahren das erste Mal sehen durfte, ist Yves Zand (Mathieu Amalric) ein großer Fan der Chanson-Sängerin Barbara. Inzwischen ist er erwachsen geworden und hat Karriere als Regisseur gemacht. Doch seine Verehrung für die Künstlerin ist geblieben. Und so ist die Freude überwältigend, als er einen Film über sein großes Idol drehen darf. Die Besetzung ist schnell gefunden, Brigitte (Jeanne Balibar) soll die Diva verkörpern. Während diese sich immer mehr in ihre Rolle hineinversetzt und anfängt, die Sängerin bis ins kleinste Detail zu kopieren, hat Yves ganz eigene Vorstellungen davon. Dadurch kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden, wenn sie jeweils darum ringen, wie die richtige Barbara ist …
Ein Biopic, der keines ist
Als Schauspieler ist Mathieu Amalric natürlich ein Star, sowohl in der Heimat wie auch in der Fremden. In einer Reihe internationaler Produktionen hat der Franzose mitgespielt, darunter in so unterschiedlichen Werken wie James Bond 007: Ein Quantum Trost und The French Dispatch. Seine eigenen Regiearbeiten sind im Vergleich deutlich weniger bekannt. Dabei können auch die durchaus interessant sein, wie das Beispiel Barbara demonstriert. So handelt der Film zwar von dem Leben der gleichnamigen Sängerin, die mit gebürtigen Namen Monique Andrée Serf hieß und in Frankreich eine Art Nationalheldin war. Mit einer herkömmlichen Heldenverehrung, wie man es bei filmischen Biografien oft findet, hat das Werk aber nichts zu tun. So wenig, dass man sich darüber streiten kann, ob es sich überhaupt um ein Biopic handelt.
Der Clou bei der Geschichte ist, dass hier nicht versucht wird, vergleichbar zu La Vie en Rose, welches das Leben der Chanson-Sängerin Edith Piaf nacherzählte, chronologisch die einzelnen Abschnitte abzuarbeiten, von den Anfängen bis zum Ende. Stattdessen erzählt Amalric, der gemeinsam mit Philippe Di Folco das Drehbuch verfasst hat, wie jemand anderes ihr Leben verfilmt hat. Statt eines tatsächlichen Biopics über ein reales Leben gibt es hier also Einblicke in ein fiktives Biopic. Damit einher geht, dass wir über Barbara gar nicht so wahnsinnig viel erfahren, zumindest nicht direkt. Die Annäherung an das Phänomen ist das Thema, nicht das Phänomen als solches. Der Film gibt nicht Antworten vor, wie man es eigentlich in diesem Segment gewohnt ist, sondern befasst sich mehr mit Fragen.
Jenseits der Grenzen
Das wird für ein Publikum frustrierend sein, dass sich eben so Antworten erhofft. Gerade Fans von Barbara, die hier ihrem Idol nahe sein wollten, dürften verwirrt sein. Diese Verwirrung wird noch weiter gesteigert, indem Amalric immer wieder die Grenzen verschwimmen lässt zwischen Brigitte und Barbara, die hier von ein und derselben Frau gespielt werden. Ausgerechnet Jeanne Balibar, die Exfrau des Regisseurs, schlüpfte in diese Rolle und trägt dadurch dazu bei, dass der Film oft auch wie ein Meta-Kommentar wirkt. Wenn ein Regisseur einen Regisseur spielt, der einen Film über einen Film dreht, bleibt das nicht aus. Immer wieder darf das Publikum deshalb spekulieren, was hier gerade geschieht und auf welcher Ebene wir uns womit beschäftigen.
Es darf es aber auch bleiben lassen. Das Drama, welches auf den Filmfestspielen von Cannes 2017 Weltpremiere hatte, gibt den Zuschauern und Zuschauerinnen viel Stoff, mit dem es etwas anfangen kann, verweigert sich aber eindeutiger Aussagen. Es wird ja nicht einmal klar, was Barbara denn genau sein sollte. Das bedeutet nicht, dass der Film deswegen schlecht ist. Gerade weil er sich den Konventionen von Biopics verweigert und etwas ganz Eigenes versucht, ist er deutlich interessanter als ein Gros der Kollegen und Kolleginnen. Aber es ist schon recht anstrengend, hier vom Anfang bis zum Ende dranzubleiben, zumal man sich darüber streiten kann, ob sich der Aufwand gelohnt hat oder das am Ende nur eine verkünstelte Kopfgeburt ist, die sich in ihrer Andersartigkeit verrannt hat.
OT: „Barbara“
Land: Frankreich
Jahr: 2017
Regie: Mathieu Amalric
Drehbuch: Mathieu Amalric, Philippe Di Folco
Musik: Barbara
Kamera: Christophe Beaucarne
Besetzung: Jeanne Balibar, Vincent Peirani, Aurore Clément, Grégoire Colin, Fanny Imber, Pierre Michon, Mathieu Amalric
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
César | 2018 | Bester Film | Nominiert | |
Beste Regie | Mathieu Amalric | Nominiert | ||
Beste Hauptdarstellerin | Jeanne Balibar | Sieg | ||
Bestes Original-Drehbuch | Mathieu Amalric, Philippe Di Folco | Nominiert | ||
Beste Kamera | Christophe Beaucarne | Nominiert | ||
Bester Ton | Olivier Mauvezin, Nicolas Moreau, Stéphane Thiébaut | Sieg | ||
Bester Schnitt | François Gédigier | Nominiert | ||
Beste Kostüme | Pascaline Chavanne | Nominiert | ||
Bestes Szenenbild | Laurent Baude | Nominiert | ||
Prix Lumières | 2018 | Bester Film | Nominiert | |
Beste Regie | Mathieu Amalric | Nominiert | ||
Beste Hauptdarstellerin | Jeanne Balibar | Sieg | ||
Beste Kamera | Christophe Beaucarne | Sieg |
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