Es wird ein guter Tag, davon ist Nathalie (Audrey Fleurot) überzeugt. Endlich hat die Autorin, die schon seit Langem mit einer Schreibblockade zu kämpfen hat, ihre Muse wiedergefunden und kann es kaum erwarten, weiter an der Geschichte zu arbeiten. Außerdem ist Weihnachten, der Besuch der Familie steht an. Während ihr Mann Marc (Cédric Kahn) zum Flughafen fährt, um dort seine Eltern abzuholen, will Nathalie noch schnell für Ordnung sorgen. Doch dieses Hochgefühl hält nicht lange an. Zum einen wird das Schneetreiben immer schlimmer, weshalb Marc nicht zurückkommt. Zum anderen kriselt es wieder kräftig zwischen ihr und Tochter Alice (Lily Taieb). Und dann wären da noch die eigenartigen Anrufe und das Gefühl, dass die beiden nicht allein im Haus sind …
Eingesperrt in einem eingeschneiten Haus
Kein Setting dürfte ähnlich beliebt bei Thrillern und Horrorfilmen sein als das des abgelegenen Hauses. Denn wenn dort etwas Unheimliches geschieht, was bei diesen Genres quasi Teil des Auftrags ist, dann sind die Protagonisten und Protagonistinnen mehr oder weniger hilflos dieser Gefahr ausgeliefert. Der Weg zur Rettung ist zu weit, alternativ auch zu beschwerlich, weshalb es erst einmal kein Entkommen gibt. Immer wieder gern gesehen ist in diesem Zusammenhang der Schauplatz eines eingeschneiten Hauses. Ob nun der Krimiklasser Die Mausefalle von Agatha Christie oder die Familieneskalation in The Lodge, der Ort ist integraler Bestandteil der Geschichte und ein wesentliches Mittel bei der Erzeugung von Spannung. Das ist bei der arte-Serie Der innere Winter nicht anders, wenn eine Frau und ihre Tochter über Weihnachten in ihrem Zuhause eingeschneit sind.
Regisseur und Co-Autor Cyril Mennegun weiß dieses Setting auch gut zu nutzen. Immer wieder hören wir den Wind heulen oder sehen die Schneemassen da draußen, durch die Mutter und Tochter von der Außenwelt abgeschnitten sind. Doch die eigentliche Bedrohung ist eine andere, wenn – diesen Eindruck hat Nathalie zumindest – außer ihnen noch eine Person in dem Haus ist. Oder vielleicht doch nicht? Der innere Winter lässt es offen, was von diesen Beobachtungen nun real ist und was vielleicht doch eine Halluzination. Schließlich ist da noch Alice, die keine dieser Beobachtungen teilt. Das Publikum kann und soll an dieser Stelle sehr viel selbst spekulieren. Möglich, dass sich die Mutter das alles nur einbildet. Genauso ist es aber auch möglich, dass die Tochter hinter allem steckt, schließlich ist das Verhältnis der beiden angespannt. Oder es gibt doch eben eine dritte Person, die es aus welchen Gründen auch immer auf sie abgesehen hat.
Der stete Blick zurück
Das besagte Verhältnis ist dabei nicht nur ein Mittel zum Zweck, wie es so oft in Thrillern der Fall ist. Vielmehr ist damit eine Vorgeschichte verbunden, die ganz zentral ist für das Verständnis der beiden Figuren. Zumindest soll es das sein. Leider stellt sich das aber auch als ein Schwachpunkt heraus. Die Adaption des Romans Mind of Winter von Laura Kasischke (Wie ein weißer Vogel im Schneesturm) verbringt so viel Zeit damit, immer wieder auf die Anfänge zu verweisen, als Alice noch ein Baby war, dass die Handlung dadurch regelmäßig ins Stocken gerät. Nachdem Der innere Winter so vielversprechend begonnen hat, schleichen sich spätestens zur Hälfte immer wieder Längen ein. Wir erfahren zwar ein bisschen mehr über die Vergangenheit. Doch das geht auf Kosten der Gegenwart, bei der dann fast gar nichts mehr vorangeht und zudem zu oft auf Wiederholungen gesetzt wird.
Leider wird auch die Auflösung den hohen Erwartungen, welche die Serie anfangs weckt, nicht gerecht. Wer definitive Antworten braucht, der könnte hier frustriert abschalten, wenn die zunehmende zum Teil surreale Eskalation keinen richtigen Schlusspunkt findet. Insgesamt ist die Mischung aus Psychodrama, Mystery und Thriller zwar schon solide, zumal Audrey Fleurot (Der Basar des Schicksals) die Rolle der langsam wahnsinnig werdenden Mutter gut verkörpert. Mit einer Laufzeit von gerade mal zwei Stunden hat Der innere Winter zudem gerade mal Spielfilmlänge, weshalb man sich das gut am Rutsch anschauen kann. Das erhoffte Genrehighlight ist die Romanadaption aber nicht, da hätte dann schon noch mehr aus dem Szenario gemacht werden müssen.
OT: „Esprit d’hiver“
Land: Frankreich
Jahr: 2021
Regie: Cyril Mennegun
Drehbuch: Cyril Mennegun, Florence Vignon
Vorlage: Laura Kasischke
Musik: Evgueni Galperine, Sacha Galperine
Kamera: Thomas Letellier
Besetzung: Audrey Fleurot, Cédric Kahn, Lily Taieb
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