Annabelle Martinelli (Natalia Wörner) hat sich als Anwältin im Bereich Sexualstrafrecht einen Namen gemacht und in diesem Zusammenhang bereits mehrere mutmaßliche Vergewaltiger vor Gericht verteidigt. Ihre neueste Klientin ist die Schuhverkäuferin Doreen Markowitz (Nurit Hirschfeld), die seit Jahren schon von ihrem Ehemann Leon (David Schütter) misshandelt wird. Als Martinelli anordnet, dass sie unter Polizeischutz zu einem Frauenhaus gebracht werden soll, müssen Victory Acheampong (Oceana Mahlmann) und Branko Dragovic (Slavko Popadic) feststellen, dass es sich bei dem Beschuldigten ebenfalls um einen Polizisten handelt. Und als wäre das nicht schon kompliziert genug, übernimmt ausgerechnet Martinellis ehemaliger Chef John Quante (Fritz Karl) die Verteidigung des Polizisten …
Kampf für Missbrauchsopfer
Bald drei Jahre ist es her, dass Natalia Wörner in Wahrheit oder Lüge das erste Mal als Anwältin Annabelle Martinelli auftrat. Damals musste die Anwältin, teils gegen ihren Willen, mutmaßliche Vergewaltiger verteidigen, was für sie ein großes moralisches Dilemma bedeutete. Es führte auch zu privaten Verwerfungen, da eines der Opfer eine Freundin war. Da blieben zahlreiche Diskussionen nicht aus, sowohl innerhalb des Films wie auch im Anschluss. Bei Die Macht der Frauen, dem zweiten Teil der Reihe, kann man sich diese sparen. Dieses Mal steht Martinelli auf der „richtigen“ Seite und kann sich darauf konzentrieren, die Opfer zu vertreten und zu Gerechtigkeit zu verhelfen. Das mag juristisch schwieriger sein, im Hinblick auf die Moral ist es aber ein Selbstläufer.
Für das Publikum bedeutet es, dass es sich nicht mit schwierigen Fragen befassen muss. Es reicht die Männer zu hassen. Regisseur und Drehbuchautor Lars Becker (Alles auf Rot) hat auch offensichtlich keine Ambitionen, bei den Beschuldigten irgendwelche Nuancen einzubauen. Ob Markowitz, der Politiker Ramy Khalifa (Mohamed Achour), der seine Frau Zora (Sabrina Amali) schlägt, oder ein Zuhälter, der Film beschränkt sich darauf, die schlechtesten Seiten von ihnen zu zeigen. Das Maß der Gewalt mag sich unterscheiden, ansonsten macht es sich Die Macht der Frauen bei der Beschreibung der Figuren ziemlich einfach. Wobei auch bei den weiblichen Charakteren nicht viel in die Figurenzeichnung investiert wurde, das bleibt alles schon sehr schematisch.
Reißerisch und oberflächlich
Widerhaken und Ambivalenzen sind selten. An einer Stelle geht es bei einem Gespräch zwischen Markowitz und Quante wieder um die Frage, ob Verbrecher verteidigt werden sollten. Außerdem ist da die wiederkehrende Nebenhandlung um die Reaktion innerhalb der Polizei, wenn Markowitz seinen Kollegen unter Druck setzt. Vergleichbar zum umstrittenen Am Ende der Worte beschreibt auch Die Macht der Frauen, wie innerhalb der Polizei vertuscht wird. Als Thema ist das sicherlich wichtig und stellt die Frage, ob das System gut genug aufgestellt ist, um mit verbrecherischen Gesetzeshütern umgehen zu können. Leider beschränkt sich Becker aber auch hier auf Klischees und reduziert die Figuren auf Stereotypen und Funktionen, womit die Diskussion schon im Keim erstickt wird.
Insgesamt irritiert das Drama, das auf dem Filmfest Hamburg 2022 Premiere feierte, durch seine sehr reißerische Art und Weise. So werden im weiteren Verlauf noch überraschende Wendungen eingebaut, dazu eine dramatische Zuspitzung, die völlig aus dem Nichts kommt. Die Macht der Frauen rühmt sich damit, unverblümt den Alltag von Opfern häuslicher Gewalt zeigen zu wollen. Hätte der Film sich auf diesen Part konzentriert, hätte er ein wertvoller Beitrag zu dem wichtigen Thema sein können. So aber wird der Film diesem Thema nicht gerecht. Trotz eines prominenten Ensembles, das viele Male schauspielerische Klasse bewiesen hat, überzeugt das Endergebnis nicht, verschenkt leichtfertig das Potenzial, welches der Film hatte.
OT: „Die Macht der Frauen“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Lars Becker
Drehbuch: Lars Becker
Musik: Hinrich Dageför, Stefan Wulff
Kamera: Alexander Sachs
Besetzung: Natalia Wörner, Nurit Hirschfeld, Fritz Karl, David Schütter, Sabrina Amali, Oceana Mahlmann, Slavko Popadic, Mira Elisa Goeres, Antonia Bill, Mohamed Achour
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