Die Übung der Polizisten hat etwas Spielerisches. Synchron bewegen sie die Plastikgewehre, ihre Schritte gleichen einem Tanz. Aber der Afghanistan-Einsatz ist bitter ernst. Eine Bombe schlägt ein, pinkfarbener Rauch steigt auf, nur Ausbilderin Saskia Harder (Valery Tscheplanowa) überlebt. Zurück in Deutschland, schickt man die körperlich unversehrte Kripo-Beamtin in einen vermeintlich leichten Einsatz. Sie soll die Herkunft einer Moorleiche in der niedersächsischen Provinz aufklären. In der Kleinstadt trifft die Polizistin auf schräge Gestalten: einen schnell überforderten, leicht trotteligen Dorfsheriff (Andreas Döhler), einen in sich versponnenen Großgrundbesitzer (Felix Römer) und eine resolute, aber schweigsame Moormeisterin (Ursula Werner). Zunächst weist die Spur der Leiche auf zwei Mädchen, die vor Jahren spurlos verschwunden waren. Aber dann kommen noch ganz andere Leichen ans Licht.
Wie ein Tatort
Die Inhaltsangabe von Mareike Wegeners Spielfilmdebüt klingt schwer nach Tatort oder einer anderen Krimiserie. Tatsächlich hat Valery Tscheplanowa, die der Ermittlerin Saskia Harder Körper und Stimme leiht, 2018 schon einmal in einem Tatort mitgespielt, allerdings nicht als Kommissarin, sondern als Verdächtige. Warum also sollte sie vier Jahre später nicht die Rolle wechseln und das Pistolenhalfter umschnallen? Wenig spricht dagegen in der ersten halben Stunde des Films, nicht einmal der mysteriöse, knallfarbene Nebel, der immer dann ins Bild sickert, wenn die von bösen Träumen und Erinnerungen geplagte Polizistin in Stress gerät. Na klar: posttraumatische Belastungsstörung. Das kennt man doch von den Einsatzkräften, die in Afghanistan waren.
Aber der Nebel hat eine weitere Funktion neben der buchstäblichen. Er deutet darauf hin, dass der Film neben der realistischen Ebene des Kriminalfalls eine weitere, surreale Ebene bespielt. Hier geht es um Symbole, Metaphern, essayhafte Meditationen über unbewältigte Vergangenheiten, sowohl individuell wie gesellschaftlich. Nicht nur Saskia Harder, sondern ganz Deutschland scheint in einem Wiederholungszwang gefangen. Das Echo von Krieg und Schuld der Nazi-Zeit hallt heute noch nach, siehe Afghanistan. Und auch auf eine dritte Ebene sollte sich das Publikum gefasst machen: Das Genre des Krimis soll nicht nur die Spannung halten und das Handlungsgerüst aufstellen, an dem sich der Film entlanghangeln wird. Das Tatort-Gucken wird zugleich ironisiert, verspottet und als liebste Sonntagabendbeschäftigung der Deutschen auf die Schippe genommen. Allerdings nicht so, dass man es auf den ersten Blick merkt.
Etwas anderes allerdings macht Regisseurin Mareike Wegener, die auch für Drehbuch und Montage verantwortlich zeichnet, unmissverständlich klar. Das titelgebende Echo sollte man nicht unterschätzen. Deshalb lässt sie den schrulligen Großgrundbesitzer den Mythos der Nymphe Echo aus der griechischen Mythologie erzählen. Sie wurde der Sage nach von der Göttin Hera ihrer Sprache beraubt. Nur die jeweils zuletzt an sie gerichteten Worte konnte sie noch wiederholen, selbst als sie in Einsamkeit gestorben war und ihre Knochen zu Stein wurden. Das papageienhafte Nachplappern (ein Tier dieser Gattung kommt im Film ebenfalls vor) ist ihr Schicksal, der selbstbestimmte Ausdruck bleibt ihr verwehrt. Ein solches Feststecken im Immergleichen betrifft sämtliche Figuren des Films, er erstreckt sich sogar auf das Moor, das die Vergangenheit konserviert.
Magie des Moores
Sogar die Filmsprache scheint zur Wiederholung verdammt wie eine hängen gebliebene Schallplatte. Doch das betrifft nur das Genre, das Echo ebenso zitiert wie überwindet. Sonst wäre der Film wohl kaum in der Berlinale-Reihe „Perspektive Deutsches Kino“ gelandet. Ästhetisch bietet der Film keinesfalls Konfektionsware, sondern ausgefeilte Bilder und gut durchdachte Einstellungen einer meist statischen Kamera. Sie erzeugen einen Thrill, der auf der Tonspur durch beunruhigende Geräusche verstärkt wird. Die Magie des Moores fängt Kamerafrau Sabine Panossian in suggestiven Panoramen ein. Sie spiegeln zum einen das Freiheitsversprechen unberührter Natur als starken Kontrast zu den beklemmenden Innenräumen. Zum anderen schaffen sie Raum für zwangslos flottierende Assoziationen, die sich um Mythen, psychoanalytische Theorien und die ganz konkrete deutsche Geschichte ranken mögen.
Doch die eigenwillige Kombination von gängigen Genre-Elementen mit Gedankenspielen des Essayfilms wirkt an vielen Stellen konstruiert und aufgesetzt. Indem der Film den Zuschauer an der Nase herumführt und ihm mal einen Polizeifilm, mal einen Mystery-Thriller, mal ein Psychodrama vorgaukelt, schlägt er ein paar Haken zu viel. Die vielen falschen Fährten bereiten irgendwann nicht mehr das Vergnügen eines Labyrinths, sondern ermüden und langweilen auf die Dauer. Außerdem verblasst die Kraft der Anspielungen und Metaphern, sobald man das zentrale Echo-Motiv einmal verstanden hat.
OT: „Echo“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Mareike Wegener
Drehbuch: Mareike Wegener
Musik: Thom Kubli
Kamera: Sabine Panossian
Besetzung: Valery Tscheplanowa, Ursula Werner, Andreas Döhler, Felix Römer, Oskar Keymer
Wer nach dem Film neugierig geworden ist: Wir konnten ein Interview mit Regisseurin und Drehbuchautorin Mareike Wegener führen und haben uns mit ihr über Echo gesprochen.
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