Graduation Bacalaureat

Graduation

Graduation Bacalaureat
„Graduation“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Anfang der 90er Jahre kehrten Romeo (Adrien Titieni) und seine Frau Magda (Lia Bugnar) nach Rumänien zurück, in der Hoffnung, in ihrer Heimat etwas zu verändern. Jahre später ist die Ernüchterung im Alltag der beiden mehr als ersichtlich, denn während Magda am Rande einer Depression ist, versucht Romeo als Arzt sich in einem aus Vetternwirtschaft und Korruption bestehenden System zu behaupten. Ihr Ziel ist es nun, ihre Tochter Eliza (Maria Drăguş) dieses Leben zu ersparen und es ihr zu ermöglichen, im Ausland sich ein Leben aufzubauen und Karriere zu machen. Ein Stipendium für die Universität in Cambridge hat sie schon und es fehlen nur noch wenige Tests für ihren Abschluss, doch dann kommt sie in Kontakt mit jener Welt, vor der sie ihre Eltern schützen wollen. Auf dem Weg zur Schule wird sie von einem unbekannten Mann attackiert und kann durch heftige Gegenwehr schlimmere Verletzungen verhindern und den Täter in die Flucht schlagen. Nach dem Ereignis versucht Magda, ihrer Tochter beizustehen, während Romeo nur noch bestärkt in seinem Wunsch ist, Eliza die harte Welt ihrer Heimat zu ersparen.

Doch schon am nächsten Tag steht der entscheidende Test an und ob sie es schafft, ein Studium in England, wie es Romeo will, zu beginnen, hängt davon ab, mit welchem Notendurchschnitt sie abschneidet. Durch seine Beziehungen will der Arzt erreichen, dass man seiner Tochter mildernde Umstände gewährt und letztlich sogar bei ihrem Test nicht so genau hinschaut, doch dafür muss er sich auf einen Handel einlassen. Parallel läuft die Polizeiuntersuchung zu der versuchten Vergewaltigung Elizas, was die junge Frau noch zusätzlich belastet und bei der Romeo gezwungen ist, das Bild, das er von seiner Tochter bislang hatte, zu korrigieren.

Ein zerbrochenes Fenster

Das moderne osteuropäische Kino hat spätestens seit Filmen wie Cristian Mungius 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage eine neue Stimme bekommen, die einen oft ernüchternden und kritischen Blick auf soziale und politische Probleme hat. In Interviews zu seinen Projekten betont Mungiu, dass es sich dabei keineswegs um Geschichten, Figuren und Themen handelt, die lediglich für seine Heimat Rumänien relevant sind, sondern die auf Dilemmata anspielen, die viele Menschen in ähnlichen Situation erleben. In Graduation, für den Mungiu mit dem Regiepreis auf den Internationalen Filmfestspielen in Cannes ausgezeichnet wurde, blickt er auf Aspekte wie Korruption und Vetternwirtschaft, wobei ein sehr zeitgemäßes Generationenporträt entsteht.

Die Handlung beginnt mit einem zerbrochenen Fenster oder vielmehr einem Steinwurf. Verwirrt und noch ein wenig verschlafen macht sich Romeo auf die Suche nach dem Täter oder den Tätern in der Nachbarschaft, ohne jedoch Erfolg zu haben, sodass ihm nichts weiter übrig bleibt, als die Scherben aufzukehren, später eine Pappe vor die zerstörte Scheibe zu kleben und seine Frau zu beruhigen, die mit Kopfschmerzen zu Hause bleibt und sich fragt, wer eigentlich so etwas tun kann. Es sind nicht die einzigen beunruhigenden Ereignisse, die in Graduation zu bestätigen scheinen, was für jemanden wie Romeo schon länger keine Neuigkeit mehr ist, nämlich die moralische Verkommenheit seiner Heimat, weshalb er und seine Frau der Tochter diese Realität ersparen wollen. Die Broken-Windows-Theorie, nach der bereits ein Detail wie zerbrochenes Fenster auf Aspekte wie Kriminalität und Verbrechen schließen lassen, scheint das Fundament des Denkens der Figuren zu sein, besonders von Romeo, aus dessen Sicht die Handlung erzählt wird, wobei er ebenso auszublenden versucht, dass er eben Teil dieser Welt geworden ist, ob es ihm lieb ist oder nicht. Mit einer Ästhetik, die an das britischen „kitchen sink“-Drama eines Ken Loach erinnert, blickt Mungiu auf seine Figuren und deren Welt, wobei er minutiös verhandelt, wie sie den Widerspruch verhandeln, ihre Liebsten vor dieser zu schützen und zugleich in dieser funktionieren.

Die alte und die neue Generation

Als Romeo spielt Darsteller Adrien Titieni eine Figur, welche diesen Balanceakt aushalten muss. Während seine Frau an der Welt um sie herum zugrunde zu gehen scheint, will er die Kontrolle wahren, weshalb das Aufkehren der Scherben, wie auch viele andere Handlungen dieses Mannes, symbolisch zu sehen sind. Später soll er am Wegesrand einer Straße sich einen Moment der Schwäche erlauben, sich seinen Emotionen hingeben und einige Tränen vergießen, wobei niemals klar ist, ob diese nur seiner Tochter gelten und was ihr widerfahren ist oder wegen des Versagens des Vaters, sie vor dieser Welt zu schützen. Neben Maria Drăguş und Lia Bugnar ist seine Darstellung Teil eines insgesamt auf Realismus basierendem Konzept, welches Mungiu in Graduation, wie auch in seinen vorherigen Filmen verfolgt, und dem Zuschauer abverlangt, sich in die Position dieser Menschen hineinzuversetzen.

Abgesehen von dem Mitfühlen ist es auch das Mitdenken, was bei einem Film wie Graduation im Vordergrund steht. Die Begegnung der alten und der jungen Generation, der Eltern und der Tochter, scheint Mungiu als Sinnbild für ein weitaus größeres Thema zu sehen, bei dem die eine Hälfte aufgegeben hat, etwas zu verändern, während die andere Hälfte noch dabei ist, sich überhaupt ein Bild von der Welt zu machen, zugleich aber nach Unabhängigkeit und einer eigenen Stimme strebt. Im Kontext vieler aktueller sozialer und politischer Diskussionen, nicht nur in Rumänien, erscheint gerade dieser Aspekt von Graduation sehr aktuell und macht das Familiendrama sehr sehenswert.

Credits

OT: „Bacalaureat“
Land: Frankreich, Rumänien, Belgien
Jahr: 2016
Regie: Cristian Mungiu
Drehbuch: Cristian Mungiu
Kamera: Tudor Vladimir Panduru
Besetzung: Adrien Titieni, Maria Dragus, Lia Bugnar, Mălina Manovici

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Cannes 2016 Goldene Palme Nominiert
César 2017 Bester ausländischer Film Nominiert
Europäischer Filmpreis 2016 Beste Regie Nominiert
Bestes Drehbuch Nominiert
2017 Publikumspreis Nominiert

Filmfeste

Cannes 2016
Toronto International Film Festival 2016
Zurich Film Festival 2016
Filmfest Hamburg 2016

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Graduation
fazit
„Graduation“ ist ein Familiendrama über Moral, Korruption und Kompromisse. Cristian Mungiu verfolgt einen realistischen, fast dokumentarischen Ansatz in seinem Film, der seinen Zuschauer mit ethischen Fragen konfrontiert, die nicht einfach zu verhandeln sind und bei denen man sich kein vorschnelles Urteil erlauben darf. Die Mischung aus Empathie mit den Figuren sowie einer kritischen Sicht auf die Umstände, welche ihnen diese Entscheidungen und Taten abverlangen, machen „Graduation“ zu einem intelligenten und sehr aktuellen Werk.
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