Es schien ein ganz normaler Tag zu werden für die Journalisten und Journalistinnen der finnischen Tageszeitung „Helsingin Sanomat“, als sie morgens zur Arbeit gingen. Doch dann steht auf einmal Elias Karo (Peter Franzén) vor ihnen, der sich als Elektriker getarnt Zugriff zu den Redaktionsräumen verschafft hat. Dort will er Hanna Raivio (Oona Airola), Harri „Gusse“ Gustafsson (Eero Saarinen) und die anderen dazu zwingen, eine Geschichte zu untersuchen. So hatte sein Vater vor vielen Jahren während der Bankenkrise alles verloren und sich das Leben genommen. Nur steht Elias vor dem Aus, weil seinem Unternehmen Hilfe während der Corona-Pandemie verweigert wird. Aber das will er nicht kampflos hinnehmen, sieht er sich doch als Opfer einer Verschwörung. Die Zeitung soll den Fall untersuchen und öffentlich machen. Weigern sie sich, hat er mehrere Sprengsätze angebracht …
Die Verzweiflung aus der Krise
Derzeit befindet sich die Welt in einem Zustand der Dauerkrise. Corona, Inflation, Krieg, Klima, man weiß schon gar nicht mehr, wohin man schauen soll, um noch auf andere Gedanken zu kommen. Dass irgendwann die Leute austicken und um sich schlagen, ist keine Überraschung. Da reicht ein Blick auf diverse Demos, angetrieben von Menschen, die einfach mal in Ruhe gelassen werden wollen. Helsinki-Syndrom kombiniert gleich zwei solcher Krisen, um einen Mann zu einer Verzweiflungstat zu veranlassen. Neben der allgegenwärtigen Corona-Pandemie, deren Gegenmaßnahmen nicht wenige in den Ruin getrieben haben, wird auch die Bankenkrise angesprochen, welche in den 1990ern in Finnland stattfand und bei der ebenfalls viele alles verloren hatten. Dass eine Familie beide Krisen durchmacht, jeweils mit verheerenden Ergebnissen, das ist schon ein sehr großes Unglück. Verständlich also, wenn Elias sich im Stich gelassen und verraten fühlt.
Das zumindest dürfte die Kalkulation hier gewesen sein. So ganz geht dies aber nicht auf. Während die Corona-Pandemie noch frisch in den Köpfen des Publikums ist und deshalb genügend Möglichkeiten gibt, sich in der Geschichte wiederzufinden, liegt die Bankenkrise drei Jahrzehnte zurück und dürfte für Menschen außerhalb von Finnland kein Thema sein. Helsinki-Syndrom verpasst es an der Stelle, größere Kontexte herzustellen und auch Zuschauer und Zuschauerinnen mitzunehmen, die das nötige Vorwissen nicht haben. Einfach nur zu sagen, dass Banken die Bevölkerung geplündert haben, ist ein bisschen dünn. Da darf man hier schon das Gefühl haben, dass man es sich mit dem Feindbild etwas einfach machte. Banken als Symbol der Ausbeutung und des Bösen? Das geht immer, muss man nicht viel dafür tun.
Der langsame Weg zur Wahrheit
Ganz so einfach ist da dann aber doch nicht. Ähnlich zur Dokumentation Robin Bank kürzlich, bei der die Geschichte von Enric Duran erzählt wurde, der systematisch Banken betrog, ist der Protagonist doch ambivalenter. Schon die Geiselnahme an sich macht aus ihm nicht unbedingt einen Helden, zumal sein Ziel keine Bankiers sind, sondern Journalisten und Journalistinnen. Diese bringt er auch bewusst in Gefahr. Ihnen schaden will er nicht. Er nimmt es aber in Kauf, wenn es dazu kommt. Und auch an anderen Stellen von Helsinki-Syndrom darf man Zweifel an Elias haben, als klar wird, dass er manche Geheimnisse mitbringt, die erst mit der Zeit enthüllt werden. Nach und nach lernen wir ihn so besser kennen, auch durch zahlreiche Flashbacks, welche die Vorgeschichte der Geiselnahme zeigen und beispielsweise das Unglück der Familie thematisieren.
Das führt dazu, dass die Serie über längere Zeit nicht wirklich von der Stelle kommt und die Geschichte allgemein so ihre Längen hat. Die acht knapp einstündigen Episoden fordern schon ein wenig Geduld. Insgesamt ist Helsinki-Syndrom jedoch durchaus spannend, mischt dabei Drama, Thriller und gesellschaftliche Fragen, dazu noch ein paar einfache Verschwörungselemente. Wer seinerzeit Dérapages – Kontrollverlust mochte, das ebenfalls wie diese Serie auf arte ausgestrahlt wurde, sollte hier einmal reinschauen. Zwar ist man trotz einiger aufgeworfener moralischer Fragen im Anschluss nicht wirklich viel schlauer geworden. Die Mischung aus Bewusstmachen und Unterhalten funktioniert aber und erlaubt es dem Publikum, das ähnlich von den Dauerkrisen gebeutelt wurde, sich emotional damit einmal auseinanderzusetzen.
OT: „Helsinki-syndrooma“
Land: Finnland, Deutschland, Frankreich, Belgien
Jahr: 2022
Regie: Juuso Syrjä, Marko Mäkilaakso, Lenka Hellstedt
Drehbuch: Miikko Oikkonen.Tuomas Hakola, Olli Koivula, Olli Suitiala
Musik: Kaae & Batz
Kamera: Tuomo Hutri, Juge Heikkilä
Besetzung: Peter Franzén, Oona Airola, Taneli Mäkelä, Tuulia Eloranta, Mari Rantasila, Antti Luusuaniemi, Turkka Mastomäki, Jakob Öhrman, Laura Malmivaara, Eero Saarinen
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)