In Meinen Hass bekommt ihr nicht nimmt uns Kilian Riedhof mit zum 13. November 2015, als Paris von einer Reihe von Anschlägen getroffen wurde. Hauptfigur in dem Drama ist der Journalist Antoine (Pierre Deladonchamps), dessen Frau bei einem dieser Anschläge getötet wurde und der nun versucht, trotz dieses schweren Verlustes sein Leben weiterführen zu können. Bekannt wurde seine Geschichte durch einen Facebook-Post, in dem er eine Nachricht an die Attentäter schickte und ankündigte, sich nicht dem Hass ergeben zu wollen. Wir haben uns mit dem Regisseur über die Arbeit am Film, die Auswirkungen der Attentate und die Suche nach dem richtigen Ton unterhalten.
Könnten Sie uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Meinen Hass bekommt ihr nicht verraten? Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, diesen Film zu drehen?
Ich habe das Buch von Antoine Leiris vor etwa sechs Jahren gelesen und war vom ersten Augenblick an sehr gepackt und berührt. Es ist mir sehr nahe gegangen, auch weil ich selbst verheiratet bin und eine Tochter habe, die in einem ähnlichen Alter ist wie Antoines Sohn Melvil. Ich habe mir deshalb immer wieder vorgestellt, wie es wäre, wenn ich in seiner Situation gewesen wäre. Ich denke, dass es vielen so geht, die dieses Buch lesen. Das ist eine alptraumhafte Situation, die eigene Frau auf diese Weise zu verlieren. Gleichzeitig hat es mich bewegt, dass die Geschichte an der Stelle nicht stehenbleibt, sondern der Vater und sein Kind zu einem tapferen Gespann werden, das für ein neues gemeinsames Leben kämpft. Deswegen war für mich früh klar, dass ich diesen Film machen muss. Die Frage war nur: wie? Wir mussten einen Weg finden, die Geschichte, die mehr ein schockgefrorener Moment ist, in kleine Handlungen zu übertragen, ohne das Ganze zu sehr zu verändern. Die Hauptaufgabe war, deutlich zu machen, wie es in dem Protagonisten aussieht und wie sehr er durch diesen Verlust geprägt wird. Antoine schrieb damals in seinem Post „Meinen Hass bekommt ihr nicht“. In seinem Buch wird der Hass aber kaum erwähnt. Uns war es daher wichtig zu zeigen, wie jemand seinen Hass überwindet.
Es handelt sich bei den Terroranschlägen in Paris um ein sehr französisches Thema. Da fand ich es schon überraschend, dass ein deutscher Regisseur das verfilmt. War es schwierig, an die Rechte zu kommen?
Als wir nach Paris gefahren sind, um mit Antoine über unsere Pläne zu sprechen, hat er glaube ich schon gespürt, dass wir es sehr ernst meinen. Gleichzeitig hatte er Sympathien dafür, dass jemand seine Geschichte erzählt, der nicht aus diesem Epizentrum kommt, wo das Trauma bis heute sehr frisch ist. Wir hatten die Distanz, um das Geschehen betrachten zu können, ohne von diesem gefangen zu sein. Das hat er uns auch gesagt: Er mochte die Vorstellung, dass Außenstehende das Thema annehmen. Mir war natürlich klar, dass das für uns eine große Verantwortung bedeutete, sowohl ihm gegenüber wie auch Frankreich und Paris. Wir wollte wie ein mitfühlender Freund sein, der sich eine Geschichte anhört.
Und wie war es, mit einem französischen Ensemble und auf Französisch zu drehen? Das war für Sie auch eine Premiere.
Das stimmt. Ein bisschen habe ich noch aus meinem Schulunterricht gewusst und habe bei der Vorbereitung das alles noch einmal aufgefrischt. Das war mir wichtig, auch wenn ich auf Englisch inszeniert habe, da alle Dialoge auf Französisch waren. In dem Moment, in dem man eintaucht, nimmt man seine gesamte Lebenssituation mit. Da meine Lebenssituation wie gesagt ähnlich der von Antoine war, konnte ich mich gut hineinversetzen. Außerdem bin ich ein Bürger des demokratischen Westens. Es war also nicht so, dass das eine völlig fremde Welt für mich war. Und je mehr ich in diese Arbeit eingetaucht bin, umso weniger habe ich darüber nachgedacht, ob ich Deutscher oder Franzose bin.
Sie haben erwähnt, dass Sie sich vorab mit Antoine getroffen haben. War er beim Dreh selbst auch noch involviert oder hat er sich rausgehalten?
Das wollte er nicht. Er wollte nicht Teil des ganzen Prozesses sein. Nach den zwei Treffen meinte er, dass er uns alle Freiheit gibt und uns vertraut. Wir sollten daraus unsere eigene Geschichte machen. Das war ein großer Vertrauensvorschuss, den wir bekommen haben. Ich glaube, dass er nicht zum Handlungsreisenden seines eigenen Leides werden wollte. Was ich verstehen kann.
Und wie hat er auf den fertigen Film reagiert?
Zu meiner großen Erleichterung war er sehr überwältigt. Er sieht sich darin in seiner ganzen Ambivalenz aus den Tagen. Er sieht aber auch seine Frau in dem Film wieder. Das war für uns das größte Kompliment.
Sie haben schon die Verantwortung erwähnt, die mit dem Film einherging. Waren Sie während der Arbeit daran nervös, dem Ganzen vielleicht nicht gerecht werden zu können?
In den ersten Drehtagen habe ich das schon gespürt. Das Leben nach den Anschlägen war eines ohne Haltegriffe. Das überträgt sich auf einen selber, wenn man von dieser Zeit erzählt. Und das muss man erst einmal aushalten. Es gibt in unserem Film kein klassisches Erzählen einer äußeren Handlung. Es geht sehr nach innen. Meinen Hass bekommt ihr nicht ist ein sehr innerlicher Film. Deswegen musste ich sehr aufmerksam bleiben und gut zuhören, wir durften uns keine Abweichungen erlauben. Dieses Aushalten war eine große Herausforderung, gerade auch für Pierre Deladonchamps, der die Hauptrolle spielt. Wir haben unter Corona-Lockdown-Bedingungen erzählt, also in einer Situation, wo es nicht möglich war, diesen Druck nach außen abzubauen. Wir mussten das schlichtweg verkraften und lernen damit umzugehen.
Hat es das einfacher oder schwieriger gemacht, dass Sie damals durch den Lockdown unter sich bleiben mussten?
Beides irgendwie. Es war manchmal schwer zu ertragen, um ehrlich zu sein. Für die Konzentration war es aber vermutlich förderlich, weil wir alle keine Chance hatten uns irgendwie abzulenken. Diese Kongruenz zwischen den beiden Ausnahmesituationen war schon deutlich, wenn beispielsweise in beiden Fällen die Straßen von Paris leer waren. Natürlich sind die Situationen nicht ganz vergleichbar. Aber es hat uns doch dazu gezwungen, noch stärker nachzufühlen, wie das damals war.
Die Geschichte von Antoine ist eine sehr intime, bei der es tief in seine Gefühlswelt geht. Wie schwierig war es, diese Intimität auszudrücken, ohne dass es dabei gleich voyeuristisch wird? Diese Gefahr besteht bei solchen harten Themen immer.
Wir wollten niemanden zeigen, der ständig weint und an seinem Leid zugrunde geht. Wir wollten im Gegenteil jemanden zeigen, der den Hass überwinden will, um für sich und seinen Sohn da zu sein. Wichtig war dabei, dass wir seine Ambivalenz beibehalten, auch um der Rührseligkeit und dem Pathos entgegenzuwirken. Gerade seine Medientätigkeit wurde ambivalent aufgefasst. Aber sie war ein wichtiges Hilfskonstrukt in den ersten Tagen, um den physischen Verlust auszuhalten. Trauer in ihrer Vielschichtigkeit erlebbar zu machen, hilft glaube ich dabei, einen Voyeurismus zu verhindern, bei dem nur von außen auf das Leid geblickt wird.
Bei einem Film, der derart stark auf die Hauptfigur zugeschnitten ist, muss die Besetzung besonders gut passen. Wonach hatten Sie beim Casting gesucht?
Wie bei Der Fall Barschel und Gladbeck war es wichtig, jemanden zu finden, der eine Wesensverwandtschaft hat und die Wahrhaftigkeit eines Charakters ausfüllt. Ich habe bei Pierre sofort gemerkt, dass ich in ihm das Intellektuell-Philosophische von Antoine wiederfinden kann. Aber auch das Ironische. Er kann diese Tasten als Schauspieler spielen. Gleichzeitig hat er diese Fragilität und Angreifbarkeit. Die Äußerlichkeit war für mich hingegen zweitrangig, wobei es auch in der Hinsicht erstaunlich viel Ähnlichkeit gab.
Sie haben vorhin erwähnt, dass Antoine versucht, den Hass hinter sich zu lassen. Ist das überhaupt möglich? Er postuliert das zwar am Anfang, tut sich aber schwer damit.
Das ist eine sehr gute Frage. Darüber habe ich mir auch sehr lange Gedanken gemacht. Hass ist ein Gefühl, das nicht danach fragt, ob man es will oder nicht. Es ist automatisch da. In seinen Erzählungen taucht der Hass nicht auf. Also haben wir nach Leerstellen gesucht und ihn dort auch gefunden. Ich glaube, dass Hass ein unendliches Gefühl ist, das einfach immer weiterwächst und sich dabei aus sich selbst ernährt, wenn man ihm nicht Einhalt gebietet. In der Psychologie sagt man, es braucht das Objekt des Guten im eigenen Leben, damit man etwas hat, worauf man sich fokussieren kann. Und das hat Antoine mit seinem Sohn. Er hat diesem Hass eine Menschlichkeit entgegengesetzt, erst als Hoffnung in seinem Post. Es gelingt ihm später aber zunehmend, das in seinem Leben umzusetzen, indem er sich seinem Sohn zuwendet und in sein Vatersein eintaucht. In diesem Sohn liegt seine Rettung.
Wenn er versucht, diesen Hass zu überwinden, tut er das, weil er den Hass als solchen ablehnt oder weil er fühlt, dass es für ihn besser ist?
Ich denke das zweite. Er hat erlebt, wie nach den Anschlägen die ganze Stadt von Hass erfüllt war. Da war vom Kriegszustand die Rede, von den Aversionen gegenüber den Attentätern und der Forderung nach Vergeltungsmaßnahmen. In so einer Situation will man nicht vom Hass überschwemmt werden, sondern eine Insel haben, auf der der Hass keine Macht hat. Dass das dennoch in Wellen wiederkommt, ist für mich klar. Ihm wird auch das mediale Interesse an ihm und seinem Post schnell zu viel, weil er merkt, dass er sich damit von sich selbst entfremdet. Deswegen hat er das auch irgendwann beendet.
Die Anschläge sind bald sieben Jahre her. Wissen Sie noch, wo Sie waren, als Sie von der Geschichte erfahren haben?
Ich war wie so viele andere am Freitagabend unterwegs und bin an einer Kneipe vorbeigekommen, in der das Fußballspiel lief. Doch das Spiel war unterbrochen und Zuschauer und Spieler verstört. Irgendetwas stimmte nicht. Ich bin danach zu mir nach Hause und habe das per Internet weiterverfolgt. Ich erinnere mich vor allem an eine Situation zwei Tage später, als ich mit der U-Bahn unterwegs war. Mir saß jemand mit einer fremden Nationalität gegenüber und ich habe Angst bekommen, dass er auch so einer sein könnte. Ich habe sogar den Waggon gewechselt! Das war selbstverständlich ein völlig unschuldiger Mensch, aber ich habe an meiner eigenen Haut gespürt, wie schnell Angst und Vorurteil und Misstrauen nach so einem terroristischen Anschlag in uns eindringen und wie aufmerksam wir bleiben müssen, um dem zuvorzukommen.
Sie haben vorhin erwähnt, dass die Anschläge noch zu nah dran sind an Paris. Was haben diese Ereignisse mit der Stadt und den Menschen dort gemacht?
Das ist eine Entwicklung, die noch nicht abgeschlossen ist. Das sieht man auch an den Prozessen, die dieses Jahr zu Ende gegangen sind und noch einmal ziemlich heftige Reaktionen ausgelöst haben. Direkt nach den Anschlägen und der Zeit danach, war sicherlich eine große Unsicherheit zu spüren, weil die Stadt in ihrer Totalität an den verschiedenen Orten angegriffen wurde. Gleichzeitig ist Frankreich ein sehr freiheitsliebendes Land, was ich selbst auch toll finde. Die Menschen, gerade in Paris, wollten sich nicht davon bestimmen lassen und sind gleich auf die Terrassen zurückgekehrt, um ihr Bier zu trinken. Da war eine gewisse trotzige Resistance, wenn sich die Leute eben nicht Angst einjagen lassen wollten. Man hat sich sehr schnell der eigenen Freiheit besonnen. Das war wichtig: sich nicht die Freiheit von Terroristen nehmen zu lassen und sich nicht von den öffentlichen Räumen vertreiben zu lassen. Sich kulturell zu verteidigen gegen diese negativen Einflüsse.
Und das gilt nicht nur für Frankreich, sondern allgemein unseren Kulturraum?
Das würde ich sagen, ja. Die Antwort auf den Terrorismus muss in der Hinwendung zueinander liegen, zu der Familie und Kindern. Aber auch in der Hinwendung zu unserer Kultur, zu Kino, Theater, Musik. Das bewusst wahrzunehmen, zusammen mit anderen in der Öffentlichkeit, und es nicht als selbstverständlich nehmen, das ist wesentlich, damit wir ein Gefühl für uns selber haben. Wir müssen uns wieder stärker auf das Kollektiv konzentrieren, anstatt nur mit uns selbst beschäftigt zu sein, weil so viele Herausforderungen auf uns warten, die wir nur gemeinsam lösen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
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