Sonne
Szenenvild aus Kurdwin Ayubs "Sonne" (© Neue Visionen Filmverleih)

Kurdwin Ayub [Interview]

Kurdwin Ayub ist eine kurdisch-österreichische Regisseurin, Drehbuchautorin und Video- sowie Performance-Künstlerin. Ihr bisherigen Projekte umfassen Musikvideos, Dokumentationen und Kurzfilme, für die sie bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, beispielsweise mit dem Kurzfilmpreis auf der Viennale (2011 und 2012), dem Vienna Independent Short Newcomer Filmpreis, dem Carte Blanche Nachwuchspreis bei der Duisburger Filmwoche für ihre Dokumentation Paradise! Paradise! oder dem Jurypreis beim Max Ophüls Filmfest für ihren Kurzfilm Boomerang.

Ihr erster Spielfilm heißt Sonne und soll der erste Teil einer geplanten Trilogie sein. Für dieses Werk, welches bereits auf der Berlinale sowie dem Fünf Seen Filmfestival zu sehen war, wurde sie bereits mit dem Wiener Filmpreis geehrt.

Anlässlich des bevorstehenden Starts von Sonne in den deutschen Kinos am 1. Dezember 2022 erzählt Ayub im Interview über die verschiedenen Ideen, die zu Sonne geführt haben, über die Besetzung sowie die Rolle von sozialen Medien im Film.

 

Woher kam die Idee zu Sonne?

Eigentlich handelt es sich nicht nur um eine Idee; sondern es sind immer mehrere Einflüsse, welche die Geschichte von Sonne ausmachen. Der Grundgedanke kam mir vor ein paar Jahren, als ich auf eine britische Band stieß, bestehend aus jungen Frauen, die muslimische Lieder auf Englisch sangen. Ich hatte ein paar Videos der Gruppe auf YouTube gesehen und wollte ursprünglich eine Doku über sie drehen, doch auf mein Anschreiben hin habe ich bis heute keine Antwort erhalten. Ich begann dann eine ganz eigene Geschichte zu kreieren, bei der dann mehrere Gedanken und Einflüsse eine Rolle spielten.

Mich interessieren, wie ich feststellen muss, vor allem britische Themen wie beispielsweise die Geschichte der „weißen Witwe“. Bei diesem Fall geht es um eine Frau aus England, die zur Terroristin wurde. Als die Polizei herausfand, dass eine ihrer Freundinnen eine Muslimin war, stürzten sich vor allem die Medien darauf und gaben dieser Frau die Schuld daran, dass ihre Freundin den Weg zum Terror gefunden hatte. Darin spiegelt sich das Vorurteil wider, dass Terrorismus etwas mit dem Islam zu tun hat, was natürlich Unsinn ist.

Ich wollte dann von der Freundin erzählen, die in der Heimat zurückbleibt und ihre Freundin vermisst und nun mit diesen Vorurteilen konfrontiert wird. Das war auch eine Idee, die bei Sonne eine Rolle gespielt hat.

Woher kommt eigentlich der Titel des Films?

Zunächst einmal wäre da der Bezug zu der kurdischen Flagge, auf der eine Sonne dargestellt ist. Aber andererseits möchte ich auch eine Film-Trilogie mit dem Titel „Sonne, Mond und Sterne“ machen, von der Sonne der erste Teil ist. Der Gedanke bei diesem Film ist, dass die Sonne auf uns herunterschaut, egal, wer wir sind.

In Mond wird es ebenfalls um die Beziehung zwischen Okzident und Orient gehen, um die Klischees und Vorurteile, die leider diese Beziehung ausmachen. Momentan befindet sich der Film in der Pre-Production-Phase und wir sind beim Finden der Besetzung. Wir peilen an, im März 2023mit dem Dreh zu beginnen, wenn alles gut geht.

Die Geschichte im zweiten Teil der Trilogie handelt von einer österreichischen Kampfsportlerin, die zu alt ist, um noch in internationalen Wettbewerben oder Turnieren anzutreten. Sie wird dann als Trainerin von einer reichen, arabischen Familie angestellt und von diesem Zeitpunkt an passieren mysteriöse Dinge in der Villa dieser Familie. Ich würde sagen, bei Mond handelt es sich um eine Mischung aus Action, Thriller und Komödie.

Im Regiestatement zu Sonne schreibst du, dass es bei dem Film um Identität geht und „Chaos dieser Zeit“. Welches Chaos meinst du genau und wie setzt man dieses ästhetisch und erzählerisch um?

Dieses Chaos ist nicht nur Teil dieser Zeit, sondern eben auch Teil von mir. Ich gehöre zu einer Generation, die noch in diese ganze Sache mit social media und MySpace hineingewachsen ist, und ebenso in das Chaos um Identität, was dies zur Folge hatte. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass eben dieses Thema, also das Finden von Identität, vor 30 Jahren noch so komplex und kompliziert war wie heute.

Daneben sehe ich dieses Thema in vielen meiner Arbeiten. Es geht immer wieder um das Schnelllebige, um das Filtern oder das Wegschneiden, was eine gewisse Oberflächlichkeit mit sich bringt für die Figuren, doch ebenso deren Verlorenheit unterstreicht. Außerdem geht es um die Wut, die wir gerade im Internet und auf sozialen Medien erleben.

Inwieweit der Einfluss dieser Themen bei Sonne bewusst oder unbewusst war, kann ich nicht genau sagen. Ich bin ja nicht anders als die Mädchen, von denen im Film die Rede ist. Natürlich wird es Menschen geben, die behaupten werden, dass ihnen der Film zu schnell sei, doch in meinen Augen hätte er nicht schnell genug sein können. (lacht)

Beim Dreh kam es zu sehr vielen improvisierten Szenen, zu denen du die Akteurinnen auch motiviert hast. Wie kam es zu dieser Besetzung eigentlich und wie bindet man diese Szene in einen Film ein, der ja eigentlich immer auf einem festen Drehbuch basiert?

Das ist eine Technik, die ich für mich entdeckt habe und welche ich schon eine ganze Weile anwende. Ich glaube, wenn man mir jetzt mit festen Dialogen kommen würde, wäre das wie eine neue Erfahrung für mich. (lacht)

Die Besetzung stand eigentlich schon vor vier oder fünf Jahren fest. Einige der Schauspielerinnen kenne ich von anderen Projekten, mit einigen bin ich sogar privat befreundet. Natürlichkeit und Schlagfertigkeit finde ich persönlich wichtiger als auf Knopfdruck eine Emotion vor der Kamera zu zeigen. Im Vorfeld bespreche ich mit meinen Schauspielern immer die Szenen und lasse sie dann mit ihrer eigenen Sprache diese spielen – eine Emotion entsteht dabei auf natürliche Weise. Zugleich fließt bei diesem Prozess so viel Neues mit ein.

Als wir mit den Vorbereitungen zu dem Film begannen, waren die Darstellerinnen um die 16 oder 17 Jahre alt. Wir sind dann durch den Dreh zusammengewachsen zu zusammen älter geworden. Nun wollen sie alle drei professionelle Schauspielerinnen werden.

Viele der Szenen in Sonne zwischen den drei Mädchen wirken nicht nur sehr natürlich, sondern man bekommt als Zuschauer auch den Eindruck, die drei seien wirklich Freundinnen. Sind die drei Darstellerinnen eigentlich durch den Film Freundinnen geworden oder kannten sie sich schon vorher?

Das ist richtig beobachtet, aber eigentlich waren sie schon vorm ersten Drehtag Freundinnen, weil wir uns im Vorfeld so oft getroffen haben. Sie haben auch miteinander Filme gemacht, so wie das ihre Figuren in Sonne machen. Wenn wir dann gedreht haben, wussten sie, wie ihr Gegenüber tickt und wie sie redet, was sehr geholfen hat.

Mittlerweile sind die drei Mitte zwanzig, haben ihr eigenes Leben und eigene Beziehungen und sehen sich wahrscheinlich nicht mehr so häufig. Es ist für mich interessant zu sehen, wie sie jetzt sind und wie man sie in Sonne sieht oder wie ich die bei der Produktion des Filmes erlebt habe.

Wie kam es dazu, dass du deine Eltern für den Film besetzt hast?

Bei der Besetzung hat es sich als schwierig erwiesen, kurdische Menschen in dem Alter zu finden wie die Eltern im Film, die dann auch noch den passenden Dialekt sprechen. Zwei Jahren haben ich und mein Team versucht, Menschen für die Rollen der Eltern zu casten, nur um dann herauszufinden, dass eigentlich meine eigenen Eltern die beste Besetzung für diese Rollen sind, was irgendwie sehr lustig ist. (lacht)

Wahrscheinlich weil ich sie so oft gefilmt habe, sind meine Eltern es gewohnt, vor der Kamera zu stehen und auch eine Rolle zu spielen. Meine Mutter ist zum Beispiel gar nicht so wie die Mutter im Film. Mein Vater ist hingegen so etwas wie ein „Zur-Schau-Steller“, wenn man das so nennen kann, der er ist sehr entspannt vor der Kamera, macht lockere Sprüche und Witze. Ihr Talent habe ich durch Zufall erkannt, denn als ich eines Tages einmal meine Mutter filmte, ist mein Vater sofort dazu gekommen, weil er eifersüchtig geworden war. (lacht)

Wie bist du auf den Look des Films gekommen und wie war die Zusammenarbeit in diesem Kontext mit Kameramann Enzo Brandner?

Unsere Vorgehensweise war in erster Linie sehr technisch. Wir haben uns im Vorfeld getroffen und uns Filme angeschaut, immer auf der Suche nach Formaten oder Herangehensweisen, die uns für Sonne zusagen würden. Ich wollte in jedem Fall Spontanität und 360-Grad-Freiheit haben beim Filmen, weil ich wie in einem Actionfilm immer nah dran sein wollte. Enzo hat das hundertprozentig mittels Handkamera umgesetzt und darüber hinaus ein Gespür für Dinge, die in den fertigen Film gehören könnten.

Die Handyvideos, die man in Sonne sieht, sind hingegen meist von den Darstellern selbst gemacht worden.

Noch schwieriger als die Darstellung des Islam scheint es dem Medium Film zu fallen, eine Sprache für die Welt der Digitalisierung und der Sozialen Medien zu finden. Da sich Sonne auch mit diesem Thema befasst, würde ich fragen, ob der Film eigentlich eine solche Annäherung oder Imitation, wenn man so will, finden muss?

Im Falle von Sonne, in dem es um junge Menschen geht, führte kein Weg um social media herum, da es ansonsten nicht echt gewesen wäre. Viele Filmemacher versuchen sich daran, dieses Thema darzustellen, verstehen es aber nicht wirklich, sodass ihr Ansatz vielleicht etwas abstrakt oder wenig authentisch wirkt.

Was mich besonders an Sozialen Medien wie Instagram fasziniert, ist zum einen die Hässlichkeit mancher Inhalte, die Nutzer dort einstellen, oder eben auch die Menge an Filtern, die junge Frauen für ihre Fotos verwenden. Ich sehe darin immer eine gewisse Verletzlichkeit. Es ist immer faszinierend zu sehen, wie Menschen auf diesen Plattformen ihr Leben darstellen wollen, auf der anderen Seite aber wiederum Stars sein wollen.

Mittlerweile geht das so weit, dass Menschen, die sich bei mir für eine Rolle bewerben, Fotos mit solchen Filtern schicken, was ich dann schon sehr seltsam finde.

Wie waren bisher die Reaktionen des Publikums auf Sonne?

Zuletzt kam eine Gruppe junger Mädchen auf mich zu, die den Film sehr mochten und die sich, wie sie es sagten, „gesehen“ gefühlt haben. Sie zählten mir sehr viele Gründe auf, warum sie den Film so toll fanden, was mich sehr berührt hat.

Eine interessante Reaktion kommt von Bobos und Hipstern, zumindest von ein paar von ihnen, die meist so um die 40 oder 50 sind. Aus deren Kreis hat mich einmal jemand angesprochen und gesagt, er habe sich sehr gewundert, eine solche muslimische Familie zu sehen, weil er dachte, vor allem die Frauen würden dort immer nur unterdrückt werden. Mich wundert eine solche Reaktion immer, doch eigentlich sollte sie das nicht, denn die meisten dieser Menschen sind zur Schule gegangen in Klassen, in denen es keine Menschen mit Migrationshintergrund gab.

Das fällt mir im Kunst- und Kulturbetrieb immer wieder auf. Da sieht man eine Zwei-Klassen-Dynamik, wenn Leute gar kein Bewusstsein für Probleme haben, die Leute aus Randbezirken beschäftigen oder auch Menschen mit meinem kulturellen Hintergrund.

Vielen Dank für das nette Gespräch.



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