Zehn Jahre nach ihrem ersten langen Dokumentarfilm Mark Lombardi – Kunst und Konspiration legt Regisseurin Mareike Wegener ihr Spielfilmdebüt Echo vor, das in der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ auf der Berlinale 2022 Premiere feierte. Ähnlich wie die Dokumentation ist auch die fiktionale Arbeit kein konventionelles Stück Kino, sondern essayistisch angehaucht. Der Film erzählt von der Polizistin Saskia Harder (Valery Tscheplanowa), die traumatisiert aus einem Einsatz in Afghanistan zurückkehrt, wo sie afghanische Kräfte an der Waffe trainierte und von einem Bombenanschlag überrascht wurde. Körperlich unversehrt, aber schuldbeladen, soll sie in Deutschland einen vermeintlich leichten Fall übernehmen. Die Vorgesetzten schicken sie in den fiktiven Ort Friedland, wo eine Mädchenleiche im Moor gefunden wurde. Aber nicht nur in den Sümpfen treibt die Vergangenheit ihren Spuk. Im Graben neben einem Wasserschloss wird ein Blindgänger gefunden, es wird also wieder eine Explosion geben. Und die verschlossenen, leicht skurrilen Einwohner Friedlands fürchten, dass die Leichen in ihren Kellern nun auch ans Licht kommen. Zum Filmstart am 24. November 2022 sprachen wir mit Mareike Wegener über das Verdrängen der jüngeren deutschen Geschichte, über das Konzept des Wiederholungszwangs und mögliche Auswege aus Traumatisierung und Schuld.
Was war der Ausgangspunkt für Ihren ersten Spielfilm?
Ich habe zuvor Dokumentarfilme im Ausland gemacht und mich gescheut, in Deutschland überhaupt irgendein Thema anzugehen. Ich hatte das Gefühl, dann komme ich nicht darum herum, unsere deutsche Geschichte zu thematisieren. Aus irgendeinem Grund komme ich nicht darüber hinweg, dass wir, wenn wir hier über eine Straße laufen, möglichweise über Leichen gehen, die historisch gar nicht so weit von uns entfernt da liegen. Und dass wir keine Ahnung davon haben. Das war der Ausgangspunkt. Dazu kam die Überlegung, welche Rolle Zeitlichkeit dabei spielt. Deswegen ist das Moor so wichtig. Es gibt im realen Leben verschiedene Schichten von Zeit, zu denen wir uns nicht ohne weiteres verhalten können. Aber das Medium Film macht es einfach, mal hier in eine zeitliche Ebene hineinzubohren und an einer anderen Stelle woanders und zu schauen: Was liegt hier vergraben und was dort?
In ihrem Regiekommentar schreiben Sie, dass Ihre Generation nur noch wenige direkte Bezugspunkte zum Zweiten Weltkrieg hat. Und bis zu Putins Überfall auf die Ukraine hatten ja viele in Deutschland das Gefühl, Kriege gibt es bei uns nicht mehr, die finden weit weg irgendwo in der Welt statt. Warum ist Ihnen das Thema trotzdem wichtig?
Ich habe nicht geglaubt, dass das Thema Krieg weit weg war, als ich den Film gemacht habe. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, wo das Versprechen vorherrschte, ab jetzt würde alles besser und es gäbe nur noch Frieden und stetiges wirtschaftliches Wachstum. Aber diese Versprechen wurden in den letzten 20 Jahren nicht eingelöst. Außerdem es gab rechtsextreme Morde und die AfD wurde immer stärker. Für mich ist das ein Zeichen, dass die kriegerische Vergangenheit Deutschlands und die Verbrechen der Nazis verdrängt wurden. Dadurch ploppt jetzt etwas an einer Stelle auf, wo es nicht mehr zu kontrollieren ist, weil es gewalttätig hervortritt. Ich finde, dass es nie zu viel Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit gibt. Deshalb wollte ich den Film machen. Man spielt ja hier als Kind immer noch in Bunkern. Das hinterfragt man erst, wenn man wie ich im Ausland lebt und merkt, dass dort die Kinder eben nicht in Bunkern spielen. Und dass die Städte nicht diese Narben des Krieges davongetragen haben.
Es war ja ein merkwürdiger zeitlicher Zufall, dass Ihr Film im Februar auf der Berlinale gezeigt wurde und dass Putin nur wenige Tage später seinen Angriffskrieg begann. Was ging Ihnen am 24. Februar durch den Kopf, als es mitten in Europa wieder Krieg gab?
Ich finde das sehr bewegend und habe tiefes Mitgefühl. Im Rahmen meiner Arbeit als Produzentin und Regisseurin treffe ich viele ukrainische Filmemacher. Mich macht das wahnsinnig traurig und hilflos.
War auch das Gefühl dabei, mit der Warnung, das Thema Krieg zu verdrängen, quasi Recht behalten zu haben?
Für mich sind die Ereignisse in der Ukraine ein Hinweis darauf, dass in uns Menschen etwas schlummert, was solche barbarischen Akte möglich macht, egal zu welcher Zeit. Anscheinend ist die Menschheit nicht in der Lage, dem Herr zu werden und friedlich miteinander umzugehen. Denn oft spielen andere Interessen eine Rolle. Die Ignoranz dessen, wozu wir fähig sind, ist auch in Echo ein Thema.
War von vornherein klar, dass Echo auch komödiantische Züge haben sollte, trotz oder gerade wegen seiner „schweren“ Themen?
Das war mir von Anfang an wichtig, wobei ich natürlich die Bezüge zum Krieg mit Ernsthaftigkeit behandle. Ins Groteske gezogen werden dagegen das Provinzleben und die Form des Krimis. Ich wollte dieses Genre überhöhen, um damit eine Komik herzustellen. Wenn man Weinen und Berührung im Film herstellen will, ist Lachen ein gutes Ventil. Es sollte auf keinen Fall ein Film mit moralischem Zeigefinger werden. Ich bin in den 1990ern zur Schule gegangen und wir haben im Geschichtsunterricht fast nur über den Faschismus und den Zweiten Weltkrieg gesprochen. Das hatte etwas Ermüdendes und etwas Abstumpfendes. Deshalb wollte ich etwas erschaffen, wo man diese Dinge an der einen oder anderen Stelle auch mit einem Augenzwinkern betrachten kann.
Wie erklären Sie sich, dass im deutschen Fernsehen so viele Krimis laufen?
Das Versprechen des Krimis ist, dass am Ende etwas aufgelöst wird, egal wie schrecklich es anfängt. Das hat etwas sehr Beruhigendes. Im echten Leben ist es leider nicht so, dass es am Ende zu einer Lösung kommt und das Böse bestraft wird. Vielleicht befriedigt der Krimi diese Sehnsucht nach Abschlüssen. Mein Film tut das gerade nicht, sondern weist über sich hinaus in der Hoffnung, dass die Zuschauerin und der Zuschauer etwas aus der Problemstellung für ihr eigenes Leben mitnehmen und nicht sagen, hier ist etwas Schönes und Abgeschlossenes und ich gehe aus dem Kinosaal und muss mich nicht weiter damit beschäftigen.
Machen Sie sich mit Echo über Krimis lustig?
Ich würde es anders formulieren: Ich benutze das Genre, um es zu brechen. Das Genre ist so stark, dass man nur zwei oder drei Elemente braucht und jeder sich den Rest des Films denkt, weil das Grundmuster jeden Tag im Fernsehen und auf Netflix bis zum Umfallen durchexerziert wird. Sobald man aber Brüche herstellt, wird es spannend und es eröffnen sich Spielräume. Das macht beim Schreiben und Drehen Spaß und es macht auch beim Zuschauen Spaß, wenn es plötzlich ganz woanders hingeht, sofern man bereit ist, die Sprünge mitzumachen. Es ist der Versuch, ein höheres Engagement beim Publikum herzustellen und ein stärkeres Mitgehen, weil die Dinge anders laufen als erwartet.
Die Nymphe Echo, das wird im Film ausgeführt, ist eine mythische Figur, die dazu verdammt wurde, immer nur die letzten Worte von anderen nachzuplappern. Es gibt auf mehreren Ebenen das Thema, dass Menschen in einer Wiederholungsspirale feststecken, weil das Verdrängen und der Wiederholungszwang zusammengehören. Das ist erstmal eine pessimistische Diagnose, aber ich hatte den Eindruck, für die Kommissarin gibt es ein Licht am Ende des Tunnels. Wie optimistisch sind Sie?
Das Feststecken ist eine Diagnose über unsere Gesellschaft. Aber ich habe sehr bewusst Hoffnungsschimmer eingebaut. Denn ich denke, wir müssen immer wieder gegen den Wiederholungszwang ankämpfen. Es bleibt uns nichts anderes übrig. Die Figuren in meinem Film tun das auf die eine oder andere Weise. Es werden verschiedene Wege gezeigt, wie man mit Traumata und schuldbeladener Vergangenheit umgehen kann. Das sind Angebote, keine Pauschallösungen. Viele Figuren im Film machen Fortschritte. Das heißt aber nicht, dass jetzt alles gut ist. Denn der Prozess geht weiter und die Arbeit an der Vergangenheit hört nie auf.
Dass der Film kein gängiger Krimi ist, sieht man schon in den ersten Einstellungen. Ganz auffällig sind zum Beispiel die oft kunstvoll komponierten Bilder. Wie haben Sie mit Ihrer Kamerafrau Sabine Panossian das visuelle Konzept erarbeitet?
Zum einen haben wir beschlossen, dass wir so wenig wie möglich schneiden und dass die Bewegung innerhalb des Bildes durch die Schauspieler stattfinden kann. Der Raum und die Umgebung spielen oft eine große Rolle, zum Beispiel das Moor. Manche Orte haben fast so viel Macht über die Erzählung wie die Handlung selber. Außerdem wollten wir es so einrichten, dass die Figuren mit dem Rücken zur Wand stehen. Daher gibt es viele frontale und plane Einstellungen, was auch eine gewisse Theatralität herstellt. Dadurch wird angezeigt, dass wir mit dem Naturalismus brechen. Wir überhöhen und kondensieren. Das spiegelt sich auch im Schauspiel wider. Zum zweiten haben wir uns auf das enge 4:3-Format festgelegt, weil wir keinen Überblick herstellen wollten. Je breiter das Bild wird, umso mehr stellt sich der Eindruck her, alles im Blick zu haben. Bei uns geht es aber gerade darum, dass sich das Ganze aus den Teilen ständig wieder neu zusammensetzt, wie bei einem Mosaik. So funktioniert auch Erinnerung. Sie setzt sich aus einzelnen Bausteinen zusammen. Dass wir rechts und links des Bildes etwas weglassen, fühlt sich sehr passend für unser Thema an.
Die Kommissarin Harder, gespielt vom Theaterstar Valery Tscheplanowa, taumelt stellenweise wie in Trance durch den Film, manchmal ist sie aber auch recht realitätstüchtig. Das ist nicht einfach zu spielen. Wie ist es Ihnen gelungen, sie und andere vielbeschäftige Darsteller wie Andreas Döhler und Ursula Werner zu gewinnen?
Ich verdanke sehr viel meiner Casterin Ulrike Müller, die ein sehr gutes Auge hat. Ich selber habe mir auf der Suche nach den Darstellern zuerst Filme und sogenannte Showreels der Schauspieler, also kleine Ausschnitte aus Filmen, angeschaut, und bin dann lieber ins Theater gegangen, weil ich das Bühnenhafte besser mit meinem filmischen Konzept zusammenbringen konnte. Deswegen sind viele Theaterschauspieler dabei oder solche, die beides spielen, aber immer noch ein starkes Standbein im Theater haben. In der Vorbereitung habe ich mit den Schauspielern sehr ausführlich darüber gesprochen, was der Film für mich bedeutet. Es war klar, dass die Szenen nicht einfach zu spielen sind, weil ihnen die dramatischen Energien fehlen, auf denen man als Schauspielerin oder Schauspieler sonst gerne aufbaut, um Emotionalität herzustellen. Im Gegensatz zu einer klassischen Dramaturgie geht es bei uns um Zustände, wo der Schauspieler meist am Anfang der Szene in der gleichen Verfassung ist wie am Ende der Szene. Darüber zu reden, war sehr wichtig.
Wird Ihr nächstes Projekt ein Dokumentarfilm oder wieder eine fiktive Arbeit?
Ich arbeite schon lange an einem essayistischen Dokumentarfilm über Daniel Paul Schreber, den Juristen und Schriftsteller, der in „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ seine eigene Psychose im Detail beschrieb. Den werde ich hoffentlich bald drehen können. Und ich schreibe auch an einem Drehbuch für einen Spielfilm. Das basiert auf den Zeichnungen des Künstlers Max Klinger mit dem Titel „Paraphrase über den Fund eines Handschuhs“.
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