Inu Oh
Szenenbild aus Masaaki Yuasas Anime "Inu-Oh" © Rapid Eye Movies

Masaaki Yuasa [Interview]

In Inu-Oh nimmt uns der bekannte Anime-Regisseur Masaaki Yuasa mit ins Japan des 14. Jahrhundert. Zwei Männer begegnen sich darin, die jeweils auf ihre Weise Außenseiter sind. Da ist der blinde Tomona, der sich einer Gruppe von Biwa-Musikanten angeschlossen hat, sowie der deformierte Inu-Oh, der sein Gesicht hinter einem Kürbis versteckt und von einer Karriere als Noh-Tänzer träumt. Gemeinsam ziehen sie durchs Land und schaffen es tatsächlich, ein immer größer werdendes Publikum anzuziehen. Doch es dauert nicht lang, bis auch die Herrschenden auf die beiden aufmerksam werden. Zum Kinostart des musikalischen Historienfilms haben wir uns mit Yuasa über die Arbeit an dem Animationsfilm, seine Musik-Vorlieben und die Suche nach einer eigenen Identität unterhalten.

Ihr Film Inu-Oh basiert auf einem Roman von Hideo Furukawa. Was hat Sie daran interessiert, diesen zu verfilmen?

Mich hat zum einen die Entwicklung des Noh-Theaters interessiert, das damals noch etwas ganz anderes war. Viele Geschichten über die damalige Zeit handeln von Samurais. Geschichten über ganz normale Leute sind jedoch sehr selten. Das hat mich dann dazu bewegt, diese Geschichte hier erzählen zu wollen.

Ihre Filme spielen meistens in der Gegenwart. Wie war es für Sie, mit Inu-Oh so weit in die Vergangenheit zu reisen? Wie sahen die Recherchen für Sie aus, um die damalige Zeit abbilden zu können?

Ich habe natürlich versucht, so viel wie möglich zu recherchieren und zu erfahren, wie es war, in der damaligen Zeit zu leben. Leider gibt es aber nicht sehr viele Informationen dazu, die ich hätte einsehen können. Vieles war damals vorgeschrieben. Es gab beispielsweise nur drei bis vier verschiedene Kleidungsstücke, die getragen wurden, und auch nur sehr wenige Meinungsrichtungen. Zumindest ist es das, was überliefert wurde. Aber ich denke, dass es nicht möglich ist, dass es damals nur so wenige gab. Deswegen habe ich mir einfach vorgestellt, wie es damals hätte gewesen sein können, und habe dabei viel improvisiert.

Abgesehen von der bildlichen Darstellung, was waren die Herausforderungen bei der Umsetzung des Romans?

Eine Herausforderung war beispielsweise, die Musik einzusetzen. Wir haben in Inu-Oh sehr viele Musikszenen, wenn die beiden auftreten, und ich musste einen Weg finden, diese mit dem Rest der Geschichte zu kombinieren.

Überraschend ist dabei, dass diese Musikszenen Rockmusik verwenden. Wie kam es dazu, dass Sie diese eingebaut haben anstatt der klassischen japanischen Musik aus der damaligen Zeit, die man hätte erwarten können?

Ich wollte genau diese Erwartungen nicht erfüllen, sondern bei unserer Reise in die Vergangenheit etwas zeigen, das niemand erwarten würde. Die Welt sollte bunter und vielfältiger sein. Gleichzeitig sollte die Musik nichts komplett Neues sein, sondern schon etwas sein, das die Leute kennen – nur eben nicht in diesem Kontext. Dass es ausgerechnet Rock wurde, hängt damit zusammen, dass wir erzählen, wie sich zwei Außenseiter nach oben kämpfen und aufsteigen. Da fand ich Rock als Richtung am passendsten.

Musik hat schon in Ihrem Film Lu Over the Wall eine große Rolle gespielt. Wie groß ist die Rolle von Musik in Ihrem eigenen Leben?

Im Alltag höre ich eigentlich nicht so viel Musik. Ich höre sie vor allem, wenn ich mich beruhigen oder ein bisschen aufputschen möchte.

Und welche Musik hören Sie dann?

Ursprünglich habe ich gern die Beatles gehört, allgemein klassischen britischen Pop. Seitdem ich Musik aber auch für die Arbeit brauche, höre ich eigentlich querbeet.

Wie sah die Arbeit an den Musikszenen aus. Haben Sie erst die Szenen geschrieben und später wurde die Musik dazu komponiert oder gab es zuerst die Lieder, die dann zu Videos verarbeitet wurden?

Wir hatten zuerst die Bilder. Und als die dann standen, haben wir passend dazu die Musik komponiert. Mit persönlich wäre es lieber gewesen, wenn wir zuerst die Lieder gehabt hätten und dann die Bilder dazu gemacht hätten. Aber der Komponist, der diese Lieder gemacht hat, wollte zuerst die Bilder haben.

Wie sah allgemein die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Yoshihide Otomo aus?

Otomo kam hinzu, nachdem wir mit dem Storyboard fertig waren. Ursprünglich war die Idee, dass wir den Film tatsächlich wie ein Musical aufziehen. Ich habe also vorgeschrieben, wie lange die Lieder sein sollen und welchen Inhalt sie haben sollen.

Sie meinten vorhin, dass es kaum Filme zu der damaligen Zeit gibt. Woran liegt das? Fehlt das Interesse für das Thema?

Das fängt schon damit an, dass es damals kein Interesse gab, etwas an die Zukunft weiterzugeben. Kaum etwas wurde präserviert für künftige Generationen. Erst mit der Edo-Zeit später kam das Bewusstsein auf, die Gegenwart und die Kultur festzuhalten. Deswegen gibt es viele Filme, die zu dieser Zeit spielen, aber nur wenig zu der davor. Das ändert sich gerade langsam und es kommen immer mehr Filme hinzu, die weiter in die Vergangenheit reisen. Es war wohl so, dass in der Muromachi-Zeit, also der Ära, in der Inu-Oh spielt, die Sachen, die man nicht zeigen wollte, einfach versteckt hat. Da wurde so getan, als gäbe es das alles nicht. Das ist ein bisschen wie bei den Olympischen Spielen, bei denen man in Tokio die Slums hergerichtet hat, damit sie nicht so hässlich sind.

Ganz allgemein, was macht die Geschichte von damals für ein heutiges Publikum relevant?

Inu-Oh ist jemand, der sich danach sehnt, von anderen wahrgenommen zu werden. Und das ist eine Sehnsucht, die es heute noch genauso gibt. Viele wollen berühmt sein und Anerkennung bekommen, da hat sich nicht viel getan. Und auch die Ablehnung von dem, was anders ist, findet sich heute unverändert. Umso wichtiger ist es, jemanden zu finden, der trotzdem an einen glaubt. Indem wir in dem Film von einer ganz besonderen Freundschaft erzählen, werden sich viele darin wiederfinden können.

Inu-Oh muss für diesen Ruhm aber auch einiges aufgeben. Er wird zwar ein Star und ist von allen begehrt. Gleichzeitig verliert er viel von dem, was ihn ausgezeichnet hat. Er wird schöner. Er wird normaler. Am Ende darf er nicht einmal mehr seine eigenen Lieder singen. Ist er damit ein Gewinner oder ein Verlierer?

Er konnte eine Zeit lang, auch wenn die sehr kurz war, den Leuten seinen Tanz zeigen und somit wahrgenommen werden. Das war schon ein Triumph, selbst wenn sich das später wieder gewandelt hat. Er konnte seine Kunst mit vielen Leuten teilen, was ihn zu einem Gewinner gemacht hat.

Inu-Oh ist nicht der Einzige in dem Film, der für die Kunst einiges aufgeben musste. Wie war das bei Ihnen und Ihrer Arbeit als Regisseur?

Es kann natürlich schon sein, dass ich bei meiner Arbeit einiges aufgeben musste. Aber ich liebe meine Arbeit und sie erlaubt es mir, ein friedliches und erfüllendes Leben zu führen.

Bei Tomona, der zweiten Figur Ihres Films, fällt auf, dass er im Lauf des Films mehrfach seinen Namen wechselt. Manchmal tut er das aus einem eigenen Willen heraus, manchmal wird es ihm aufgezwungen. Eng damit verbunden ist das Konzept der Identität, wofür der Name ein Symbol ist. Können wir unsere Identität selbst wählen oder wird die von außen bestimmt?

Das ist schwer zu sagen. Es kann durchaus sein, dass einem die Identität von außen mitgegeben wurde, während man selbst glaubt, sie ausgesucht zu haben. Da ist auf jeden Fall immer Druck von außen, von der Gesellschaft, in eine bestimmte Richtung zu gehen. Gleichzeitig hat jeder den Wunsch, sich selbst auszudrücken und das zu tun, was man gerne macht. Das ist das Ziel.

Im Film wandeln sich nicht nur Identitäten, sondern auch die Geschichten, was zu dem Streit führt, was die richtige Version der Geschichten ist. Kann es überhaupt eine richtige Version geben?

Generell denke ich, dass es keine richtige Version in dem Sinn gibt. Je nach Perspektive kann es verschiedene Versionen geben, die alle für sich genommen richtig sind oder etwas Richtiges enthalten, aber eben nicht allgemeingültig sind.

Bei diesen Geschichten geht es auch darum, etwas zu hinterlassen und mitzubestimmen, welches Bild künftige Generationen von uns haben und wie sie sich an uns erinnern. Was hoffen Sie sich, das von Ihrer Arbeit zurückbleibt?

Ich glaube generell nicht daran, etwas für die Zukunft schaffen zu wollen. Mir ist es lieber, wenn die Menschen im Hier und Jetzt sich meine Filme anschauen. Und wenn sie das tun, hoffe ich, dass sie etwas für sich darin finden und für sich mitnehmen können. Bei Inu-Oh war das Wichtigste nicht für mich, dass er zum Star wurde und später vergessen wurde, sondern die Freundschaft von Tomona. Diese Verbindung von den beiden, die sich gefunden und gestützt haben, steht für mich im Mittelpunkt der Geschichte.

Vielen Dank für das Gespräch!

Masaaki Yuasa

Zur Person
Masaaki Yuasa wurde am 16. März 1965 in Fukuoka, Japan geboren. Er fing schon im Kindergarten mit dem Zeichnen an. Später studierte er Kunst an der Kyushu Sangyo Universität mit einem Schwerpunkt auf Ölmalerei. Nach dem Studium begann er als Animator beim Studio Ajia-do. Nach schwierigen ersten Jahren machte er sich 1994 selbständig. Sein erster eigener Spielfilm war die Manga-Adaption Mind Game (2004). Neben einer Reihe von Serien führte er Regie bei den Filmen Lu Over the Wall (2017), Night Is Short, Walk On Girl (2017) und Ride Your Wave (2019).



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