Der Beginn von Mein gestohlenes Land wirkt beinahe wie ein mystischer Horrorthriller. Zumindest nach dem eigentlichen Anfang. Zuerst fährt die Kamera nämlich über ein paar Papierunterlagen, auf denen anscheinend ein Haufen nichtverhandelbarer Verträge abgedruckt sind. Das ergibt im Laufe der Dokumentation zwar Sinn, aber diese dreißig Sekunden wären doch lieber übersprungen worden. Was danach kommt, ist nämlich viel besser dazu geeignet, die Aufmerksamkeit des Zuschauers für sich zu beanspruchen. Die von Wolfgang Held geführte Kamera ist auf einer Wiese platziert, beobachtet still die Szenerie im Zwielicht. Am Horizont türmen sich weiße Wolken von unten hinauf, werden kontrastiert mit schweren grauen Wolken an der Himmelsdecke. Zwei schattenhafte Gestalten betreten die Idylle der scheinbar unberührten Natur. Jeder Frame der Großaufnahme würde sich dazu eignen, gerahmt daheim an der Wand zu hängen.
Dieses Bildniveau kann Mein gestohlenes Land im weiteren Verlauf nicht halten. Auch, weil den Gegebenheiten entsprechend manchmal mit Handkamera gefilmt werden muss. Teilweise werden Handyaufnahmen eingespielt. Da hat es der Komponist Alva Noto (BAFTA-Nominierung für seine Musik in The Revenant – Der Rückkehrer) schon einfacher. Von zuhause oder einem externen Tonstudio aus ist er bei seiner Arbeit keinen äußeren Umständen unterworfen. Notos Musik ist hier nicht immer präsent. Wenn sie es ist, drängt sie sich nie auf. Sie bleibt stets im Hintergrund, schwelt vor sich hin. Ist selbst nie bedrohlich, versteht es aber, die lauernde Gefahr zu kolportieren.
Kampf gegen Korruption und Ausbeutung
Mit Abstrichen macht Mein gestohlenes Land formal also vieles richtig. Dann können wir uns nun ja die Frage stellen, worum es in der Dokumentation überhaupt geht. Das ist eine gute Frage. Als Steuermann, dem sich die Passagiere anvertrauen, schafft es Regisseur und Drehbuchautor Marc Wiese nur leidlich, das Publikum durch die Handlung zu navigieren. Diese erstreckt sich über mehrere Jahre und springt von Ort zu Ort. Einmal sind wir für eine kleine Szene in Peking, die zu überhaupt nichts führt und entweder deutlich länger hätte sein müssen oder direkt ganz herausgeschnitten werden sollte.
Im Grunde vereint Mein gestohlenes Land zwei Dokumentationen in einer. Journalist Fernando Villavicencio nutzt die ihm zur Verfügung stehenden legalen Mittel, um über das korrupte Verhalten der ecuadorianischen Regierung zu berichten. Dafür wird er finanziell in den Ruin getrieben, muss letztendlich sogar untertauchen, weil er sich nicht unterkriegen lässt. Währenddessen greifen die indigenen Widerstandskämpfer Paúl Jarrín Mosquera und Hernán Galarza zu drastischeren Maßnahmen, wenn sie schließlich mit Waffengewalt dagegen vorgehen, dass chinesische Unternehmen die ecuadorianischen Bodenschätze bergen. Gegenstimmen werden dabei nicht angehört. Mein gestohlenes Land bezieht seine Informationen nur von einer Seite, die das Bild eines kolonialisierenden Chinas zeichnet. Das kann faktisch schon alles so sein, ist angesichts Chinas wirtschaftlichem und kulturellem Einfluss in der Welt zumindest nicht überraschend. Wer von der Materie jedoch keine Ahnung hat, wird hier vielleicht nicht unbedingt den besten Einstieg finden.
OT: „This Stolen Country of Mine“
Land: Deutschland, Ecuador
Jahr: 2022
Regie: Marc Wiese
Drehbuch: Marc Wiese
Musik: Alva Noto
Kamera: Wolfgang Held
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