Paris am 13. November 2015: Antoine (Pierre Deladonchamps) denkt sich nicht viel dabei, als seine Frau Hélène (Camélia Jordana) gemeinsam mit einem Freund ausgeht, um mit diesem zu feiern. Dabei ahnt er nicht, dass an diesem Abend an mehreren Orten in der Stadt Islamisten Anschläge verüben werden. Einer dieser Orte ist der Club Bataclan, wo die beiden ein Rockkonzert besuchen wollen. Nach mehreren Stunden der Ungewissheit, in denen Antoine und die Familie verzweifelt nach Hinweisen suchen, kommt die traurige Nachricht, dass Hélène tatsächlich einer von Dutzenden Menschen ist, die an diesem Abend sterben mussten. Für den trauernden Ehemann wird in Folge jeder Tag zu einer neuen Prüfung, nur sein kleiner Sohn Melvil (Zoé Iorio) gibt ihm die Kraft weiterzumachen. Dabei will der Journalist sich nicht unterkriegen lassen, macht in einem Facebook-Post seinen Gefühlen Platz – und wird damit zur Mediensensation …
Erinnerung an die furchtbaren Pariser Attentate
Bald sieben Jahre ist es her, dass die verheerenden Anschläge in Paris, bei dem islamistische Attentäter zeitgleich an mehreren Orten zuschlugen, stattfanden und weltweit für Bestürzung sorgten. In Frankreich hallt dieser einer Abend noch immer nach, wie diverse Filme beweisen, die mehr oder weniger zeitgleich entstanden sind und in der einen oder anderen Form darauf Bezug nehmen. So startete kürzlich November im Kino, das die Jagd auf die Attentäter und Hintermänner als rastlosen Thriller umsetzte. Deutlich ruhiger und intimer ist Meinen Hass bekommt ihr nicht, eine deutsch-französische Produktion, die auf der wahren Geschichte des Journalisten Antoine Leiris basiert und dessen Buch zur Grundlage hat. Bekannt wurde er durch den besagten Facebook-Post, dem auch der Titel des Films entnommen wurde und in dem er ankündigte, sich nicht dem Hass ergeben zu wollen.
Da werden sich natürlich viele fragen: Geht das überhaupt? Kann man jemanden nicht hassen, der einem die eigene Frau genommen hat? Eine eindeutige Antwort gibt Meinen Hass bekommt ihr nicht nicht darauf. Auch wenn es das Szenario vermuten lassen, ist das Drama keine Verklärung eines Mannes, der über sich hinauswächst und auf heldenhafte Weise souverän ist. An Antoine ist zunächst gar nichts souverän. Der deutsche Regisseur und Co-Autor Kilian Riedhof (Sein letztes Rennen) zeigt seinen Protagonisten dabei, wie dieser immer wieder an seinem eigenen Anspruch scheitert. Wie er auch an einfachsten Situationen scheitert, den Alltag nicht auf die Reihe bekommt und völlig überfordert ist, wenn es um die Organisation der Beerdigung geht. Das müssen die anderen machen, vor allem die Familie der Verstorbenen, die sich von Antoine im Stich gelassen fühlt.
Nüchtern und ruhig erzählt
Damit einher geht auch, dass die Geschichte lange Zeit auf der Stelle tritt. Antoine ist in einer Schockstarre gefangen, aus der er sich nur temporär durch seine Medientätigkeit befreien kann. Und selbst bei der darf man ein Fragezeichen dahinter machen. Da ist nicht nur die besagte Schwierigkeit, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Mehrfach hat man auch den Eindruck, dass er das eigene Leid etwas zu sehr ausschlachtet, indem er überall seine Geschichte erzählt. Doch diese Ambivalenz macht Meinen Hass bekommt ihr nicht eben auch sehenswert. Wir folgen hier jemandem, der sehr lange braucht, um nach dem schweren Verlust wieder einen Schritt nach vorne gehen zu dürfen. Letztendlich ist es der Sohn, der ihm zur Hilfe eilt in seiner Hilfsbedürftigkeit: Antoine findet seine Berufung und einen Lebensinhalt darin, für sein Kind da zu sein und sich das von niemandem nehmen zu lassen.
Riedhof verzichtet darauf, das zu sehr ausschlachten zu wollen. Sein Film wird weder kitschig noch beschönigend, bleibt nüchtern, lässt die Situationen für sich selbst sprechen. Ein wenig irritierend dabei ist, wie wenig Antoine von täglichen Sorgen betroffen ist. So lebt er in einer großen Pariser Wohnung. Geld scheint bei ihm nie eine Rolle zu spielen, obwohl wir ihn nie arbeiten sehen. Seine Trauerarbeit ist da schon die Luxusvariante, Meinen Hass bekommt ihr nicht spricht zwar universelle Themen an, ist aber doch ein Stück weit der Realität entzogen. Dennoch ist das Drama, das beim Locarno Film Festival 2022 Premiere feierte, ein wichtiger Beitrag zu einem harten Thema. Die Besetzung ist mit Pierre Deladonchamps (Der Fremde am See, Sorry Angel) gut gewählt, versteht sich der Franzose doch auf die Verkörperung sensibler Männer. Sofern man sich noch einmal mit den schrecklichen Ereignissen befassen kann und will, ist das hier ein guter Ausgangspunkt.
OT: „Vous n’aurez pas ma haine“
Land: Frankreich, Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Kilian Riedhof
Drehbuch: Jan Braren, Marc Blöbaum, Kilian Riedhof, Stéphanie Kalfon
Vorlage: Antoine Leiris
Musik: Peter Hinderthür
Kamera: Manuel Dacosse
Besetzung: Pierre Deladonchamps, Zoé Iorio, Camélia Jordana, Thomas Mustin, Anne Azoulay, Christelle Cornil, Farida Rahouadj, Yannuk Choirat
Wer mehr über Meinen Hass bekommt ihr nicht erfahren möchte: Wir hatten die Gelegenheit, im Interview mit Regisseur Kilian Riedhof über die Arbeit an dem Film, die Überwindung von Hass und die Auswirkungen der Pariser Anschläge zu sprechen.
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Deutscher Filmpreis | 2023 | Bestes Drehbuch | Jan Braren, Marc Blöbaum, Kilian Riedhof | Nominiert |
Locarno Film Festival 2022
Filmfest Hamburg 2022
Film Festival Cologne 2022
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)