Frankreich, 1944: Eigentlich sucht Thérèse Dutheil (Simone Signoret) nur nach einer Mitfahrgelegenheit, um zurück nach Paris zu kommen. Dafür nimmt sie auch in Kauf, auf einen Transporter voller Ziegen zu steigen, die einzige realistische Möglichkeit für sie, durch die Straßensperren zu kommen. Überrascht stellt sie dabei fest, dass neben den Tieren auch drei alliierte Piloten im Wagen sind, die von den Deutschen gesucht werden. Da im Hinterzimmer einer Apotheke, wo bereits andere untergetaucht sind, kein Platz mehr ist, wird Thérèse gebeten, den US-Amerikaner Allan Morley (Stuart Whitman) bei sich aufzunehmen. Zunächst sträubt sie sich, will sie doch weder sich noch ihre beiden Kinder in Gefahr bringen. Doch dann willigt sie ein und kommt nach und nach dem Fremden näher …
Eine vergebliche Neutralität
Viele Menschen geben an, sie seien nicht politisch, wollen keine Position einnehmen oder sich für Seiten entscheiden müssen. Das ist ebenso verständlich wie verführerisch: Das normale Leben ist oft schon anstrengend genug, da muss man sich nicht noch mehr aufladen. Das zeigt sich gerade im Moment wieder deutlich, wenn die gewaltigen Folgen des Russlandkriegs einen durchaus zu einer Positionierung zwingen. Entweder man befürwortet Maßnahmen mit all ihren Konsequenzen – oder tut es eben nicht. Zwischenpositionen sind da kaum möglich. Ein historisches Beispiel dafür, wie schwierig eine solche Entscheidung sein kann, zeigt der französisch-italienische Film Nacht der Erfüllung, der uns mitnimmt auf eine Reise ins Jahr 1944. Der Zweite Weltkrieg hat da zwar schon ein nahendes Ende vor Augen. Für die Menschen im Krieg oder in den besetzten Städten bleibt das aber noch ohne Auswirkung.
Thérèse wird dabei zur Identifikationsfigur für all die Menschen, die den Krieg am liebsten ausblenden würden. Sie ist sicher keine Sympathisantin oder Unterstützerin der Deutschen. Gegen diese kämpfen will sie aber auch nicht, weswegen sie sich in ihrem schönen Stadthaus in eine vermeintlich sichere Neutralität gerettet hat. Bis eben Morley vor ihr steht und sie eine Entscheidung treffen muss. Denn auch wenn sie nichts tut, so wie sie immer nichts tun möchte, hat dies Folgen. Nimmt sie den US-Amerikaner nicht bei sich auf, bedeutet das für ihn höchstwahrscheinlich den Tod, hat er doch weder Geld noch Kenntnisse von Sprache und Paris. Nacht der Erfüllung lässt daran keine Zweifel. Das versucht sie zunächst auszublenden. Aber ihr Gewissen lässt dies dann doch nicht zu. Es ist eine Sache, Namen und Zahlen zu abstrahieren. Ein bekanntes Gesicht wiegt letztendlich mehr.
Zwischen Abenteuer, Krieg und Liebesdrama
Der Film ist aber nur zum Teil eine Auseinandersetzung mit Verantwortung und Moral. Stattdessen handelt es sich bei Nacht der Erfüllung um einen Mix der verschiedensten Genres. So wird aus einem Pflichtgefühl ein romantisches Gefühl, die sich anbahnende Liebesgeschichte nimmt einen immer größeren Raum ein. Gleichzeitig steigt aber auch die Gefahr, wenn Thérèse dem Fremden bei seiner Flucht nach Spanien helfen soll. Gerade in der zweiten Hälfte wird aus dem Drama zunehmend ein Abenteuer, wenn den beiden an jeder Ecke und jedem Ende die Gestapo auflauern kann. Das hat einige spannende Momente zur Folge. Vor allem während einer klaustrophobisch gefilmten Verfolgungsjagd in einem Zug wird das Nervenkostüm des Publikums stark in Anspruch genommen.
Ein solcher Mix aus Liebesfilm und Kriegsthriller, Zeitporträt und Moraldrama ist natürlich schon etwas gewagt. Es gelingt Regisseur René Clément (Der aus dem Regen kam, Nur die Sonne war Zeuge) aber gut, die verschiedenen Bestandteile zusammenzuführen und daraus ein Gesamtwerk zu machen. Nicht alles ist dabei immer wirklich nachzuvollziehen, hinter manche Handlung darf man ein Fragezeichen setzen. Aber es ist doch ein spannender Film, der zudem von seinem Ensemble getragen wird. Gerade das Zusammenspiel der französischen Leinwandlegende Simone Signoret (Armee im Schatten) und ihres US-amerikanischen Kollegen Stuart Whitman (Die Comancheros) funktioniert sehr gut und trägt dazu bei, dass dieses recht unbekannte Kriegsmelodram noch immer einen Blick wert ist und einen an das Menschliche in Kriegszeiten erinnert.
OT: „Le Jour et l’heure“
IT: „The Day and the Hour“
Land: Frankreich, Italien
Jahr: 1963
Regie: René Clément
Drehbuch: André Barret
Musik: Claude Bolling
Kamera: Henri Decaë
Besetzung: Simone Signoret, Stuart Whitman, Michel Piccoli, Geneviève Page, Billy Kearns, Pierre Dux, Reggie Nalder, Marcel Bozzuffi
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