Neptune Frost
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Neptune Frost

„Neptune Frost“ // Deutschland-Start: 24. November 2022 (Kino)

Inhalt / Kritik

Als sein Freund erschlagen wird, hat Matalusa (Bertrand Ninteretse) genug von der Arbeit in einer Cobalt-Mine. Er muss von dort weg, dessen ist er sich sicher. Nur wohin? Und wie soll es weitergehen? Auf der Flucht begegnet er der intersexuellen Neptune (Elvis Ngabo, Cheryl Isheja), die ein großes Geschick beim Hacken beweist und ebenfalls geflohen ist. Währenddessen arbeitet ein antikolonialistisches Hacker-Kollektiv um Memory (Eliane Umuhire) gegen das autoritäre Regime und träumt davon, die Menschen von jeglicher Form von Unterdrückung zu befreien. Zu dem Zweck haben die Mitglieder eine Elektroschrott-Müllhalde für sich entdeckt, von der aus sie ihre Revolution starten …

Futuristisches Revolutionsmusical

Neptune Frost ist einer dieser Filme, bei denen Beschreibungen eigentlich relativ wenig bringen, da sie sich der festen sprachlichen – und sonstigen – Grenzen entziehen. Was hier auf der Leinwand geschieht, muss erlebt, nicht erklärt werden. Von Anfang an macht Saul Williams, der hier das Drehbuch geschrieben und gemeinsam mit seiner Ehefrau Anisia Uzeyman Regie geführt hat, klar, dass die üblichen Kategorien nicht funktionieren. Nicht funktionieren sollen. Dabei gibt es hier durchaus Elemente, die sich innerhalb eines „normalen“ Films hätten behandeln lassen können. Wenn wir zu Beginn die Menschen in der Cobalt-Mine sehen, dann ist das eine wenig versteckte Anklage an die Industriestaaten, die in Afrika Einheimische zu Tode schuften lassen, um an deren Ressourcen zu kommen. Daraus hätte man ohne Weiteres ein Gesellschafts- und Sozialdrama machen können.

Diese Passage geht aber schnell in Musik über, so wie Musik allgemein eine große Rolle in dem Film spielt. Da ist es nicht überraschend, dass Neptune Frost Teil eines größeren Medienprojekts ist, zu dem drei Musik-Alben sowie die Graphic Novel Let there Be Dark gehören. Ursprünglich hätte auch ein Bühnenmusical entstehen sollen. Ein Sozialdrama-Musical also? Auch das greift es nicht ganz, da andere Genres unterwegs ebenfalls mitgenommen werden. Da geht es mal um Liebe, an anderen Stellen um ein verbindendes Internet. Science-Fiction würde deshalb ebenfalls passen, wenn der Film eine Reihe futuristischer Momente einbaut und dabei Technologisches und Spirituelles ineinander über gehen lässt.

Ein freiheitlicher Rausch jenseits aller Grenzen

Inhaltlich sind Grenzen ohnehin dafür da abgebaut zu werden. Zum Symbol dafür ist Titelfigur Neptune, die Männliches und Weibliches vereint. Eine der vielen originellen Ideen, die Williams und Uzeyman hier eingebaut haben: Die Figur wird von zwei Leuten gespielt, Cheryl Isheja und Elvis Ngabo. Wo The Wild Boys vor einigen Jahren schon Geschlechtergrenzen aufgelöst hat, da gibt es hier endgültig keine Gewissheiten mehr. Alles ist möglich, in einer alles überschreitenden Utopie. Freiheit bedeutet in Neptune Frost nicht nur, dass autoritäre Regimes abgesetzt werden oder man sich von anderweitig unterdrückenden Menschen befreit. Die Freiheit ist größer, universeller, soll als Grenzen des Möglichen nur die Grenzen des Denkbaren haben. Und selbst dabei kann man sich nicht ganz sicher sein.

Das ist ein Fest für Zuschauer und Zuschauerinnen, die sich auf diesen Rausch einlassen und sich davon mitreißen lassen können. Ein ständig die Richtung wechselnder Wirbel aus Farben, Formen und Klängen, aus Zeiten und Orten, bei dem man das Gefühl hat, die Welt noch einmal ganz neu zu erfahren. Gleichzeitig werden viele von diesem Wechselbad überfordert oder auch gelangweilt sein. Der Film, der 2021 in Cannes Premiere feierte und anschließend von Festival zu Festival weitergereicht wurde, ist so fasziniert von den Möglichen, dass Struktur und Kohärenz keine Kriterien mehr waren. So faszinierend Neptune Frost ohne jeden Zweifel ist, es ist keine wirkliche Geschichte, die da erzählt wird. Nicht wenige werden sich im Anschluss noch verwirrt die Augen reiben, unschlüssig, was genau sie da eben eigentlich gesehen haben.

Credits

OT: „Neptune Frost“
Land: Ruanda, USA
Jahr: 2021
Regie: Saul Williams, Anisia Uzeyman
Drehbuch: Saul Williams
Musik: Saul Williams
Kamera: Anisia Uzeyman
Besetzung: Cheryl Isheja, Bertrand Ninteretse, Eliane Umuhire, Dorcy Rugamba, Rebecca Mucyo, Trésor Niyongabo, Eric Ngangare, Natacha Muziramakenga, Elvis Ngabo

Bilder

Trailer

Filmfeste

Cannes 2021
Toronto International Film Festival 2021
Sundance Film Festival 2022
International Film Festival Rotterdam 2022
Sitges 2022
Transit Filmfest 2022
QFFM 2022

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Neptune Frost
fazit
„Neptune Frost“ ist mehr Erlebnis als narratives Werk. Wenn ein antikolonialistisches Hacker-Kollektiv gegen ein autoritäres Regime kämpft, werden alle Grenzen aufgelöst, sei es Zeit, Raum, Geschlecht oder Filmgenre. Während man hier durch Sozialdrama, Science-Fiction, Musik und Liebesfilm rauscht, ist die Faszination groß – aber auch die Verwirrung, was genau hier eigentlich geschieht.
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