Für Eric (Tom Hughes) bricht eine Welt zusammen, als seine Frau Rachel (Gaia Weiss) stirbt. Um alles hinter sich zu lassen und erst einmal Zeit für sich selbst zu haben, kündigt er seinen Job und beschließt, als Schäfer auf einer schottischen Insel zu arbeiten. Dort will er zur Ruhe kommen und alles verarbeiten. Menschen gibt es auf der Insel keine, eine Fischerfrau (Kate Dickie) ist seine einzige Verbindung zum Rest der Welt. Stattdessen kümmert sich Eric um die ihm anvertrauten Tiere. Und natürlich seinen treuen Hund Baxter, den er als Begleitung mitgenommen hat. Doch die Idylle der abgeschiedenen Insel hält nicht lange an. Immer wieder macht der Einsiedler eigenartige Beobachtungen, bei denen der Leuchtturm eine zentrale Rolle zu spielen scheint …
Dunkler Wahnsinn auf einer einsamen Insel
Abgelegene Inseln sind ein idealer Schauplatz, um düstere Geschichten zu erzählen. Ob nun der Agatha Christie Klassiker Das letzte Wochenende, die delikate Thrillerkomödie The Menu oder auch der schwarzweiße Wahnsinn Der Leuchtturm, in allen Fällen sind die Figuren dunklen Kräften ausgeliefert, denen sie kaum oder nur mit großen Mühen entkommen können. Wer nach den obigen prominenten Beispielen noch nicht genug hat von diesem Setting, sollte einmal ein Auge auf Shepherd – Fluch der Vergangenheit werfen. Hier gibt es zwar keine großen Namen, weder vor noch hinter der Kamera. Aber hier ist doch einiges dabei, welches die britische Produktion zu einem echten Geheimtipp für Fans düsterer Stoffe macht.
Viel Handlung sollte man dabei aber nicht erwarten. Auf der schottischen Insel gibt es nicht viel zu tun, sieht man einmal von den täglichen Arbeiten rund um die Tiere ab. Auch die Bedrohungen, die mit dem Schauplatz einhergehen, sind wenig konkret. Zwar sind früh Anspielungen auf okkulte Tätigkeiten zu finden. Das bedeutet aber nicht, dass auch wirklich etwas geschehen muss. Shepherd – Fluch der Vergangenheit erinnert in der Hinsicht an den Horror-Klassiker The Blair Witch Project, bei dem ebenfalls die Gefahr der Hexe immer nur erahnt werden konnte. Die Figuren liefen umher, verloren sich zunehmend in dem Wald und in einer immer größer werdenden Angst. Das ist hier ähnlich, wobei nicht Angst in dem Sinne den Protagonisten plagt. Vielmehr wird er von eigenartigen Visionen heimgesucht, die den Zweifel wecken, dass Eric noch Herr über die eigenen Sinne ist.
Starke Atmosphäre, kaum Handlung
Das Motiv eines immer größer werdenden Wahnsinns ist im Horrorgenre natürlich nicht übermäßig selten. Eigenartige Visionen, bei denen das Publikum nicht weiß, ob sie real oder eingebildet sind, gehören bei solchen Filmen oft dazu. Shepherd – Fluch der Vergangenheit ist dabei jedoch eines der gelungeneren Beispiele der letzten Zeit. Hauptdarsteller Tom Hughes (Geheimnis eines Lebens) macht seine Sache ordentlich als mehr und mehr die Kontrolle verlierender trauernder Witwer. Vor allem die Bilder, die uns Kameramann Richard Stoddard da beschert, liefern jede Menge gute Gründe, warum man sich auf eine Reise auf die Insel begeben sollte. Aber auch das Sound Design, welches eine wiederkehrende Leuchtturmglocke enthält, trägt dazu bei, dass hier eine ebenso dichte wie unheimliche Stimmung entsteht.
Während atmosphärisch der Film sehr stark ist, sogar einer der stärksten der letzten Zeit, sollte man inhaltliche Erwartungen eher zurückschrauben. Regisseur und Drehbuchautor Russell Owen ist dann doch mehr an einer kunstvollen Inszenierung interessiert als an einer Geschichte. Erst spät wird der Film mal etwas konkreter und versucht, sich etwas aus dem narrativen Nebel zu lösen. Tatsächlich spannend ist das aber nicht. Tatsächlich ist das Ende schwächer als das, was zuvor geschehen ist. Wie viel man von Shepherd – Fluch der Vergangenheit mitnehmen kann, hängt deshalb maßgeblich damit zusammen, ob man die besagte Atmosphäre zu schätzen weiß. Ist das nicht der Fall, droht schnell Langeweile, da die Abwechslung überschaubar ist.
OT: „Shepherd“
Land: UK
Jahr: 2021
Regie: Russell Owen
Drehbuch: Russell Owen
Musik: Callum Donaldson
Kamera: Richard Stoddard
Besetzung: Tom Hughes, Gaia Weiss, Greta Scacchi, Kate Dickie
Sitges 2022
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