Anders als gewisse andere Österreicher wird Wolfgang Amadeus Mozart, genauso wie Christoph Waltz, von den Deutschen gerne als einer der ihren ausgegeben. Historisch betrachtet ist der Komponist natürlich wirklich Deutscher, so oder so hat er uns mit Die Zauberflöte eine der beliebtesten Opern aller Zeiten zum Geschenk gemacht. Sie ist über die Jahrhunderte nicht nur weltweit in vielen Varianten auf den Opernbühnen inszeniert worden, sondern hat auch das Interesse von Filmemachern geweckt. Wer ihn gesehen hat, wird den Opernfilm von Ingmar Bergman aus dem Jahre 1975 wohl so schnell nicht wieder vergessen. 2006 verlegte Kenneth Branagh in seiner Interpretation des Stoffes die Handlung in den Ersten Weltkrieg. Nun findet das Libretto von Emanuel Schikaneder wieder seinen Weg in die Heimat, wo Regiedebütant Florian Sigl sich seiner angenommen hat. Genauer gesagt spinnt er eine Rahmenhandlung um die Vorlage: Der 17-jährige Tim (Jack Wolfe) wird an der Mozart International School für angehende Sänger aufgenommen. Eines Nachts gelangt er durch ein als Standuhr getarntes Portal direkt in Mozarts Die Zauberflöte. Hier ist er selbst Prinz Tamino, der sich mit Papageno (Iwan Rheon) dazu aufmacht, Prinzessin Pamina (Asha Banks) zu befreien – ein Abenteuer, das ihn mehrere Nächte lang beschäftigen wird. Tagsüber nimmt er weiterhin am Schulalltag teil, wo ganz andere Probleme auf ihn warten …
Ein gemischtes Vergnügen
Die Gesangspassagen in The Magic Flute – Das Vermächtnis der Zauberflöte sind die größten Prunkstücke des Films und bieten zugleich seine größte Angriffsfläche. Mit der Musik von Mozart sollte das Ding eigentlich bereits ein Selbstläufer sein und natürlich überzeugt diese für sich genommen auch. Das Mozarteum-Orchester Salzburg leistet wieder einmal ganze Arbeit. Sabine Devieilhe als Königin der Nacht ist klar der Höhepunkt, nicht nur was ihren Stimmeinsatz bei den Arien angeht, auch Kostüm und visuelle Effekte werden der Rolle gerecht. Was ansonsten aber teilweise mit dem Gesang veranstaltet wird, ist als Mozart-Fan nur schwer zu verdauen. Die drei Damen (Jeanne Goursaud, Jasmin Shakeri, Larissa Herden) etwa intonieren viel zu tief und es kann dabei auch kaum von Operngesang die Rede sein. Prinz Tamino hingegen ist zu hoch, und der Papageno hier klingt auch nicht gerade nach dem Bariton, als der er geschrieben ist.
Diverse Textänderungen
Was mit manchen Textzeilen und Charakteren gemacht wurde, ist nicht nachzuvollziehen. Einmal wird etwa „lass die Glöckchen munter klingen“ gesungen, obwohl es im Original „lass die Glöckchen klingen, klingen“ heißt. Nicht nur ist die Änderung als solche völlig überflüssig, was ja schon schlimm genug wäre – vor allem aber negiert sie die Assonanz in der nächsten Zeile, „dass die Ohren ihnen singen“. Ein anderes Mal heißt es „[…] rein, ein Antlitz fein wie Seide“, was immerhin keinen vokalischen Halbreim zerstört, aber unnötigerweise komplett vom Original abweicht.
Bevor die drei Damen Tamino und Papageno auf ihre Mission schicken, versprechen sie ihnen, dass „drei Knäbchen, jung, schön, hold und weise“ sie auf ihrer Reise begleiten und leiten würden. Warum aus den Knaben im Original hier nun Knäbchen wurden, ist ja eine Sache (es gibt tatsächlich Aufführungen mit dieser grausigen Änderung), aber viel schlimmer ist, dass diese Knäbchen nie in Erscheinung treten. Zumindest nicht als solche (die Allusion mit den drei Buben im Zug zu Beginn ist ja ganz nett). Drei schwebende, sprechende Leuchtkugeln sollen sie wohl repräsentieren, aber warum dann nicht von drei Geistern oder so singen? Zumal diese Dinger selbst nur selten und dann kurz auftauchen, etwa als Tim das erste Mal durch das Portal tritt (wohin ihn eines davon geführt hat; sie geben ihm die Aufgabe, in dieser Welt als Tamino zu handeln, und ermahnen ihn, als er es vergisst). Künstlerische Freiheit in allen Ehren, aber hier entsteht eher ein Gefühl der Aversion gegen Werktreue, als dass es nach dem Bestreben einer individuellen Darbietung aussieht. In einer Adaption kann jeder alles nach seinem Gusto so verändern, wie er möchte, aber wenn es schon nicht besser ist, sollte doch zumindest erkenntlich werden, wieso diese Entscheidungen getroffen wurden, und wenn auch das nicht geht, sollten sie wenigstens einer inneren Logik folgen.
Fragwürdige Besetzung
Dass Monostatos (Stefan Konarske) nicht originalgetreu besetzt wird, ist angesichts der Prämisse des Films überraschend und widersinnig, im kontemporären Kontext jedoch nicht verwunderlich. Auf der Ebene können wir das auch durchwinken, wenn es unbedingt sein muss. Die aufgeführten Beispiele sind vielleicht jeweils nur kleine Momente im Film, aber es gibt so viele davon, dass sie sich wie Mückenstiche in der Haut des Mozart-Fans ansammeln, von denen ein einzelner nicht weiter der Rede wert wäre, die in ihrer Gesamtheit allerdings ziemlich lästig werden. Sarastro (Morris Robinson) ist ebenso modernisiert besetzt, was die Frage aufwirft, wieso die Filmemacher überhaupt eine Realität entworfen haben, in der Tim in die Welt von Mozarts Die Zauberflöte eintauchen kann, wenn diese Welt eben nicht der ursprünglichen Zauberflöte entspricht. Beim bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Handlungsstrang zwischen Papageno und Papagena (Stéfi Celma) hört sich dann alles auf. Immerhin bekommen die beiden ihr großartiges Duett, aber es gibt überhaupt keinen Aufbau dafür, und wer das Original nicht kennt, wird kaum verstehen, was das jetzt soll. Der Film versucht das zwar selbst zu adressieren, scheint seine Erklärung direkt darauf aber wieder zu revidieren.
Warum ein von deutschen Produktionsfirmen hergestellter Film eines deutschen Regisseurs, basierend auf einer deutschen Oper eines deutschen Komponisten und eines deutschen Librettisten, hierzulande unbedingt The Magic Flute heißen muss, ist auch wieder nicht zu begreifen. Dass das Ganze dann noch auf Englisch gedreht wurde, na ja bitte, das ist angesichts des Casts immerhin verständlich. Leider wurde zur Sichtung nur die deutsche Synchronisation zur Verfügung gestellt. Sämtliche Kritik am in dieser Fassung nachträglich eingefügten Gesang mag deshalb gut und gerne völlig ins Leere laufen. Zudem sollte hier offengelegt werden, dass der Rezensent zahlreiche Aufführungen der Oper rezipiert hat. Es ist durchaus möglich, dass ein Filmzuschauer ohne entsprechende akustische Prägung in dieser Hinsicht keine Probleme mit dem Dargebotenen haben wird. Die wenigen modernen, in der Originalsprache belassenen Gesangseinlagen (in der echten Welt) sind jedoch überflüssig.
Visuell nicht berauschend
Abgesehen von den grandiosen Auftritten der Königin der Nacht ist der Film visuell leider nicht sehr beeindruckend. Die verwendeten Kulissen sind meist nicht gerade kreativ, machen keinen ausreichenden Gebrauch von den Möglichkeiten des Mediums Films. Das wurde oft liebevoller auf richtigen Bühnen ausgestaltet. Was die erwähnten drei Damen anhaben, erinnert kostümtechnisch auch eher an Schulaufführungen. Das Budget fürs CGI ging wahrscheinlich für die gigantische Schlange am Anfang und die Auftritte der Königin der Nacht drauf, der Rest kann dieses optische Niveau jedenfalls nicht halten.
Nun besteht der Film ja aber nicht nur aus Szenen von Die Zauberflöte, sondern umhüllt und unterbricht diese Oper-im-Film mit einer Rahmenhandlung in der realen Welt. Er macht aber wenig mit dieser Vermischung. Tim weiß von Anfang an, dass er als Außenstehender in Die Zauberflöte eintaucht, doch dafür dass direkt zu Beginn etabliert wird, welche Bedeutung das Werk für ihn hat, und zumindest impliziert wird, dass er die Partitur über Wochen hinweg mehrfach gelesen hat, greift er erstaunlich wenig in den Verlauf ein. Zwar erkennt er in einer brenzligen Situation Monostatos (und dass Papageno hier dessen Namen kennt, ergibt selbst unabhängig vom Original innerhalb des Films keinen Sinn) und gibt Papageno den entscheidenden Tipp, mit dem sie gerettet werden können (und im Original werden), aber das wars im Grunde. Er nutzt sein Wissen sonst nie zu seinem Vorteil, manchmal scheint er sich sogar gar nicht im Klaren zu sein, was als nächstes kommt. Das führt das gesamte Konzept ad absurdum. Was Tim im echten Leben passiert, ist handelsübliches Jugenddrama, aus allen möglichen Vorlagen zusammengeschustert. Das ließe sich ebenso ausführlich auseinander nehmen, es soll uns hier jedoch nicht weiter kümmern.
Trotz Mängeln ein magisches Abenteuer
Ist The Magic Flute – Das Vermächtnis der Zauberflöte ein schlechter Film? Auch wenn es bisher anders geklungen haben mag, lautet die Antwort nein. Verschenkt er Potenzial? Keine Frage: Jede Menge. Er möchte sich modern geben und ein jüngeres Publikum an Mozarts Musik heranführen beziehungsweise allgemein für Opern begeistern, und zumindest Letzteres ist ein hehres Ziel. Wenn es dafür heutzutage wirklich eines solchen Filmes bedarf, obwohl es bereits Die Zauberflöte für Kinder gibt (eine deutlich sinnvoller gekürzte Singspiel-Fassung), wer sollte sich dann guten Gewissens anmaßen, ihn negativ zu bewerten?
Wir müssen uns aber nicht auf falschverstandenes Pflichtgefühl berufen, um uns auf die Seite des Films zu schlagen. Auch wenn Das Vermächtnis der Zauberflöte sich für den realen Handlungsstrang an vielen Vorbildern bedient, legt er hier teilweise eine Subtilität an den Tag, die nicht jedem gefallen wird, aber definitiv eine Stärke ist. Was manche gerne klar ausgesprochen hätten, hält der Film für so selbstverständlich, dass er es nicht weiter erwähnt, normalisiert es damit und stellt es nicht plump zur Schau. Bei einer Laufzeit von knapp über zwei Stunden legt Das Vermächtnis der Zauberflöte ein bewusst behäbiges Pacing an den Tag, weist jedoch nicht eine langweilige Sekunde auf. Der Film nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise, die wie aufgezeigt wurde aufgrund von Stolpersteinen beschwerlich wirken mag, aber es doch irgendwie schafft, magisch zu sein. Die Mängel regen auch oft nicht auf, sondern eher zur Diskussion an. Es ist eine Weile her, dass wir einen Mozart-bezogenen Film bekommen haben, noch länger, dass es sich dabei um einen deutschen handelte. Vielleicht sollten wir uns einfach freuen, dass es jetzt einen neuen gibt.
OT: „The Magic Flute“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Florian Sigl
Drehbuch: Andrew Lowery, Jason Young, David White
Vorlage: Emanuel Schikaneder
Musik: Martin Stock, Wolfgang Amadeus Mozart
Kamera: Peter Matjasko
Besetzung: Jack Wolfe, Asha Banks, Iwan Rheon, Stéfi Celma, Morris Robinson, Amir Wilson, Sabine Devieilhe, Stefan Konarske, Jeanne Goursaud, Jasmin Shakeri, Larissa Herden, F. Murray Abraham, Niamh McCormack, Elliot Courtiour, Tedros Teclebrhan, Waldemar Kobus, Wilson Gonzalez Ochsenknecht
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