Für Jenni Schubert (Anja Schneider) bricht eine Welt zusammen, als ihre Tochter Mia an den Folgen eines Verkehrsunfalls stirbt. Verschlimmert wird die Situation dadurch, dass während ihres Todeskampfes viele Menschen drumherum standen, nichts taten, zum Teil die Rettungskräfte behinderten. Besonders aber setzt ihr zu, dass jemand die Situation gefilmt und ins Netz gestellt hat, wo ihre sterbende Tochter nun von Tausenden Menschen gesehen wird. Rasend vor Schmerz und Wut begibt sie sich daraufhin auf die Suche nach den mitleidlosen Gaffern und Gafferinnen, will sie auf die eine oder andere Form zur Rechenschaft ziehen oder zumindest wissen, was sie dazu veranlasst hat, sich auf diese Weise zu verhalten. Doch je mehr sie sich in diesen Kampf hineinsteigert, umso mehr setzt er auch ihr zu …
Voyeurismus an allen Ecken und Enden
Da ist offensichtlich etwas in vielen Menschen, das sich irgendwie an dem Unglück anderer ergötzen kann. Ob es nun Schlammschlachten sind im Reality TV, skrupellose Paparazzi oder auch die inflationär produzierten True Crime Dokus, in denen vergangene Verbrechen bis ins Detail beschrieben werden, das Publikum ist da und zahlreich. Ein anderes bekanntes Beispiel für diesen Voyeurismus ist das Problem der Gaffer, die bei Autounfällen oder auch anderen Katastrophen danebenstehen und neugierig zusehen. Neu ist dieses Phänomen nicht. Was jetzt jedoch anders ist, dass diese Leute – das allzeit verfügbare Smartphone sei Dank – diese Szenen filmen und mit anderen teilen. Das private Leid wird auf diese Weise zu einem öffentlichen und frei verfügbaren Gut. Doch was bedeutet das für die Opfer?
Eben dieser Frage geht das ARD-Drama Und ihr schaut zu nach. Der eigentliche Unfall wird kaum thematisiert. Auch über die Verstorbene erfahren wir relativ wenig. Dann und wann wird sich Jenny zwar an sie erinnern, etwa im Gespräch mit Verwandten. Aber das bleibt alles recht dünn, das Publikum erfährt nie so wirklich, um wen es da trauern soll. Wichtiger war Drehbuchautorin Dominique Lorenz (Annie und das geteilte Glück, Eine Liebe später), von dem Schicksal der Mutter zu sprechen. Auch über sie wird nicht viel verraten, da wir sie außerhalb ihrer Trauer und Wut nicht kennenlernen. Aber es reicht doch, um die Zuschauer und Zuschauerinnen an ihrem Leid teilhaben zu lassen und deren Empörung zu teilen. Da dürfte es niemanden vor den heimischen Fernsehern geben, der nicht von dem Ganzen mitgenommen ist.
Nicht sehr subtil
Dass der Film dabei selbst voyeuristische Bedürfnisse befriedigt, entbehrt angesichts der Aussage nicht einer gewissen Ironie. Nur dass es hier ein Voyeurismus ist, der sich moralisch gibt und die Menschen für das Problem sensibilisieren will. Das funktioniert auch, selbst wenn Und ihr schaut zu dabei sicherlich nicht übermäßig subtil vorgeht. Über weite Strecken sind die Schuldigen hier nicht mehr als Stereotype, bei denen es einem sehr leicht gemacht wird, diese zu verabscheuen. Später wird dann zwar versucht, noch Nuancen einzubauen, was dann aber ebenfalls eher mit dem Holzhammer funktioniert. Wer sich eine wirkliche Auseinander mit der Frage erhofft, warum sich Menschen in solchen Situationen verhalten, wie sie es tun, der wird hier nicht viel erfahren.
Das Drama, welches auf dem Filmfest Hamburg 2022 lief, bleibt auf diese Weise unter seinen Möglichkeiten. Dass manche Dialoge und auch deren Darbietung etwas holprig sind, hilft ebenfalls nicht weiter. Das Thema selbst ist dabei jedoch ohne jeden Zweifel sehr wichtig. Trotz der diversen Schwächen, die sich der Film gefallen lassen muss, ist es deshalb gut, dass er gedreht und zur Hauptsendezeit ausgestrahlt wird. Und ihr schaut zu ist zumindest in Ansätzen ein Werk, welches das Publikum daheim vor den Fernsehern dazu anregt, sich Gedanken zu machen und vielleicht eigenes Verhalten in Frage zu stellen. Sich des Voyeurismus bewusst zu werden, ist ja schon mal ein erster Schritt zur Besserung.
OT: „Und ihr schaut zu“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Michaela Kezele
Drehbuch: Dominique Lorenz
Musik: Martina Eisenreich, Julian Muldoon
Kamera: Felix von Muralt
Besetzung: Anja Schneider, Bärbel Schwarz, Katharina Stark, Joachim Nimtz, Christiane Bärwald, Souhaila Amade, Maral Keshavarz, Aurel Manthei
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)