Im Kontext der Filmgeschichte gehört Horror sicherlich zu einem der vielseitigsten und langlebigsten Genres überhaupt, welche von Anfang an die Historie des Mediums an sich mitgeprägt hat. Aus heutiger Sicht sind es Werke wie Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens oder Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari, die wegweisend für die Filmkunst sind und die als Kunstwerke bis heute noch Generationen von Filmfans begeistern und bereits hunderte von Publikationen inspiriert haben. Zum einen sind es naturgemäß Effekte, Bilder und Klänge, die das Horrorkino definieren und einen guten von einem schlechten Genrebeitrag unterscheiden. Jedoch gibt es darüber hinaus noch eine andere Ebene, auf der Horror funktioniert und welche die Nachhaltigkeit einer Geschichte bestimmt, nämlich die, welche Ängste eigentlich im Horror angesprochen werden und inwiefern sich in den Bildern oder den Figuren etwas widerspiegelt, was in der Welt um uns herum vielleicht noch unausgesprochen ist, aber eine Furcht ist, die definiert, verarbeitet oder auf die zumindest verwiesen werden muss. In den letzten Jahren hat sich innerhalb des Genres eine Reihe von Filmemachern, darunter Jennifer Kent (Der Babadook), David Gordon Mitchell (It Follows), Nicolas Pesce (The Eyes of My Mother, Piercing) und Osgood Perkins (Die Tochter des Teufels), herauskristallisiert, die einerseits den Ursprüngen des Genres treu bleiben, aber ästhetisch wie auch erzählerisch diese neue Zeit und ihre Stimmungen ansprechen.
In seinem neuen Filmbuch befasst sich Autor Adrian Gmelch mit zwei besonders interessanten Vertretern dieses Subgenres des Horrorfilms, nämlich Ari Aster (Hereditary – Das Vermächtnis, Midsommar) und Robert Eggers (The Witch, Der Leuchtturm, The Northman). Wie schon in seinem Buch über das Werk M. Night Shyamalans geht er dabei methodisch zunächst von einer grundlegenden Definition dieses Sub-Genres aus, um sich danach dem Werdegang sowie einer thematisch-ästhetischen Analyse sowie einem Vergleich der Werke dieser befreundeten Filmemacher zu widmen. Hierbei nutzt Gmelch das Konzept des „Art Horror“, das zugleich den Titel seines Buches bildet und welches bereits in Besprechungen der Filme Asters, Eggers sowie der eingangs erwähnten Werke genutzt wird. In den 257 Seiten des Buches erhält der Leser daher nicht nur einen Überblick über das Subggenre, sondern eben auch über das Schaffen der beiden Regisseure und zugleich eine längst überfällige Abhandlung über eine gerade ästhetisch sehr interessante neue Spielart des Horrorfilms.
Individuum und Kollektiv
Bei einem gemeinsamen Podcast, bei dem es eigentlich um ein ganz anderes Thema gehen soll, treffen Eggers und Aster zum ersten Mal aufeinander und erkennen nicht nur den Respekt für das Werk des jeweils anderen, sondern auch die gemeinsamen künstlerischen Einflüsse, die im Film, aber auch im Theater, der Literatur und der Kunst zu finden sind. Diese Momente, wie auch eine ganze Reihe anderer Quellen, wie Interviews, Rezensionen oder filmwissenschaftliche Abhandlungen, bilden Adrian Gmelchs Grundlage, der sich zuerst der Ästhetik der beiden Regisseur annähert und später die thematischen Bezüge aufzeigt. Während es bei dem einen besonders das Theater ist, welches er schon als Kind erlebte, sind es bei Aster hingegen europäische Künstler, die das formale wie auch narrative Fundament für Midsommar und Hereditary bilden. Mit zahlreichen, sehr erhellenden und in sich schlüssigen Vergleichen zeigt Gmelch diese Parallelen auf, von den Details in einer Einstellung in Midsommar oder der Nähe zum Theater eines Bertolt Brecht in The Witch.
Abgesehen von der Form verweist Gmelch auf die gesellschaftlich-politische Dimension der Filme Eggers’ und Asters. Die fatalistischen Rollenbilder in The Lighthouse sowie das Meister-Diener-Verhältnis findet ebenso Erwähnung wie der Konflikt zwischen dem Individuum und dem Kollektiv, welches man besonders stark in Midsommar wiederfindet. Eine Auflösung oder einen Kommentar mag es nicht geben, doch erschreckend sind die Visionen in jedem Fall, und sind auch nicht auf die Dunkelheit einzugrenzen, sondern verfolgen die Figuren wie auch den Zuschauer am Tage bei hellem Sonnenschein.
OT: „Art-Horror. Die Filme von Ari Aster und Robert Eggers“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Autor: Adrian Gmelch
Verlag: Büchner-Verlag
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