Die 15-jährige Hawa (Sania Halifa) lebt glücklich mit ihrer Großmutter Maminata (Oumou Sangaré), die einst aus Kamerun nach Frankreich ausgewandert war, in Paris. Aber die gemeinsame Zeit der beiden neigt sich dem Ende zu. Maminata ist krank. Lange bleibt der betagten Frau nicht mehr, was die Sorge aufkommen lässt, was mit der starrköpfigen Teenagerin geschehen soll. Wer wird sich um sie kümmern, wenn ihre Großmutter fort ist? Als die Jugendliche erfährt, dass Michelle Obama für einige Tage in die Stadt kommt, um dort ihr Buch vorzustellen, ist der Beschluss gefasst: Die ehemalige First Lady muss sie adoptieren! Jetzt heißt es für Hawa nur noch, einen Weg zu finden, wie sie an diese herankommt …
Die Sehnsucht nach einem besseren Leben
Neben 365 Days war Mignonnes sicher der große Aufregertitel bei Netflix im Jahr 2020. Während der erste Titel mit seiner romantischen Verklärung von sexuellen Übergriffen aber tatsächlich mindestens fragwürdig war, wurde das französische Drama bewusst und mutwillig verfälschend gerade vom rechten Rand verdammt. Der Vorwurf: Regisseurin und Drehbuchautorin Maïmouna Doucouré soll darin kleine Mädchen sexualisiert haben, obwohl sie mit dem Film genau diese Sexualisierung kritisierte. Seither sind zwei Jahre vergangen, es ist ruhiger um die französische Filmemacherin geworden. So ruhig, dass ihr zweiter Langfilm Hawa diese Woche praktisch unbemerkt auf Amazon Prime Video veröffentlicht wurde – woran der Streamingdienst selbst eine größere Mitschuld hat. Auf vielen Filmseiten findet man falsche Informationen, sofern es überhaupt welche gibt.
Kontroversen sind dabei dieses Mal nicht zu erwarten. Dabei ist das Zweitwerk von Doucouré thematisch gar nicht so weit weg von ihrem umstrittenen Debüt. So handeln beide Filme von jungen Mädchen im heutigen Frankreich, die aus einfachen Verhältnissen kommen und einen Migrationshintergrund haben. Auch das Thema Ruhm spricht die Französin an, die erneut an dem Drehbuch mitgeschrieben hat. Während es bei Mignonnes jedoch darum ging, selbst Anerkennung zu bekommen und bewundert zu werden und sei es durch aufreizende Tänze, da steht hier die Sehnsucht nach bekannten Menschen im Mittelpunkt. Die Faszination für das Glamouröse und die große aufregende und unerreichbare Welt. Michelle Obama wird dabei für die Titelfigur zu einem Symbol für ein besseres Leben. Diese lässt sich in Hawa zwar nicht blicken. Dafür sehen wir die Sängerin Yseult und den Astronauten Thomas Pesquet, die sich selbst spielen. Auch sie stehen stellvertretend für den Aufstieg, nach dem wir uns sehnen.
Stark gespieltes Coming-of-Age-Drama
Doucouré verknüpft diese Sehnsucht mit dem klassischen Coming-of-Age-Thema der Selbstfindung. Für Hawa geht es nicht allein darum jemanden zu finden, der ihre Großmutter ersetzt und sie davor bewahrt, in ein Heim gehen zu müssen. Es geht vor allem auch darum, ihren Platz in dieser Welt zu finden und sich in dieser zu behaupten. Wer ist sie? Wer will sie sein? Kann sie sein? Etwas überraschend befasst sich das Drama dabei gar nicht so sehr mit den Herausforderungen, die Menschen mit Migrationshintergrund haben. Auch das außergewöhnliche Aussehen der Protagonistin, die als Albino mit blondem Afroschopf und dicker Brille überall auffallen würde, wird kaum thematisiert. Hawa ist keine Außenseitergeschichte um jemanden, der von allen gemobbt wird und sich behaupten muss.
Emotional ist der Film aber auch so. Das Drama, das auf dem Toronto International Film Festival 2022 Weltpremiere hatte, ist wie Mignonnes ein leiser Film, der nahe am Alltag ist und dabei das Besondere sucht. Das ist stark gespielt. Sania Halifa ist nicht nur optisch eine Erscheinung, sondern bringt auch genügend Präsenz mit, um sich innerhalb des Geschehens zu behaupten. Sie macht aus ihrer Figur einen willensstarken Menschen, der markant ist und der dennoch zu jeder Zeit nachvollziehbar bleibt. Das Ergebnis ist eine etwas andere Coming-of-Age-Geschichte, die rührend ist, ohne sich dem Kitsch hinzugeben. Spendet Trost und muntert dazu auf, Stärke in sich und seinem Umfeld zu suchen, anstatt den Blick zu den Sternen zu richten.
OT: „Hawa“
Land: Frankreich
Jahr: 2022
Regie: Maïmouna Doucouré
Drehbuch: Maïmouna Doucouré, Alain-Michel Blanc, Zangro, David Elkaim
Musik: Erwann Chandon, Niko Noki
Kamera: Antoine Sanier
Besetzung: Sania Halifa, Oumou Sangaré, Yseult, Kamrul Hossain, Thomas Pesquet
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