Ob die Gesellschaften wirklich so gespalten sind, wie in Medien immer wieder behauptet, ist zwar nicht ganz eindeutig. Klar ist aber, dass es in den letzten Jahren eine Reihe von Themen gab, die zu extremen Verwerfungen geführt haben. Während Punkte wie Corona-Maßnahmen, die Kriegsunterstützung der Ukraine oder auch den Einsatz für den Klimaschutz aber noch einigermaßen nachzuvollziehende Streitpunkte sind, da diese in ihren Auswirkungen alle irgendwie betreffen, ist ein anderer ein wenig kurios. Natürlich wurden Transsexuelle schon früher diskriminiert, wie praktisch alle, die nicht dem normativen Bild entsprachen. Dass sie inzwischen aber dermaßen zu einem Feindbild geworden sind, bei dem sich eine ansonsten spinnefeinde breite Allianz zusammengefunden hat, die nur der gemeinsame Hass eint, ist angesichts der geringen gesellschaftlichen Relevanz schon überraschend.
Aus dem Leben junger Transexueller
Allein deshalb schon ist es begrüßenswert, dass dieses Jahr der Dokumentarfilm Mein Name ist Violeta seinen Weg zu uns gefunden hat. Der ist zwar inzwischen schon drei Jahre alt, dadurch aber kein Stück weniger aktuell geworden. Das Regieduo David Fernández de Castro und Marc Parramon verzichtet dabei darauf, den großen gesellschaftlichen Rundumschlag anzustoßen. Stattdessen lassen sie in ihrem Werk Betroffene selbst zu Wort kommen. Das bedeutet einerseits Kinder und Jugendliche, die irgendwann gemerkt haben, dass sie in dem falschen Körper geboren wurden. Aber auch Eltern dürfen über ihre Erfahrungen sprechen. Wie gehen sie damit um, dass ihr Kind anders ist? Was bedeutet das für ihren eigenen Alltag, wenn der Nachwuchs nicht in die vorgefertigten Formen passt?
Die Geschichten und Erfahrungsberichte sind dabei erwartungsgemäß oft traurig. Besonders betroffen machen die Szenen mit Esther, deren Sohn Alan seinen Platz in der Welt nicht finden konnte und als Reaktion auf konstantes Mobbing sich das Leben nahm – mit gerade einmal 17 Jahren. Seither kämpft sie als Aktivistin für andere, in der Hoffnung, anderen Betroffenen helfen und vergleichbare Tragödien verhindern zu können. Überhaupt ist Aktivismus immer wieder ein Thema in Mein Name ist Violeta, dazu die Kämpfe, welche die jungen Menschen und ihre Angehörigen auszutragen haben. Behördengänge sind beispielsweise ein Alptraum, wenn es etwa darum geht, den alten Namen abzulegen und einen neuen anzunehmen. Dabei ist gerade dieser als Symbol eines selbstbestimmten Lebens so wichtig.
Persönliche Geschichten statt Grundsatzdiskussion
Das Regieduo meldet sich dabei selbst nicht zu Wort, lässt alles unkommentiert. Die Erzählungen der diversen Interviewten sollen für sich selbst sprechen. Auch die Gegenseite bleibt stumm, bekommt in Mein Name ist Violeta keinen Raum sich zu äußern. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung damit, wie Transsexualität überhaupt existieren kann, findet ebenso wenig statt wie eine Hinterfragung von Geschlechterbildern, die eng mit dem Thema verbunden sind. So wird beispielsweise bei der Titelfigur der Wunsch ein Mädchen zu sein mit der Vorliebe für Kleider gleichgesetzt. Wer sich weitergehende Diskussionen rund um Geschlechteridentität erhofft, der ist daher an der falschen Adresse. Der spanische Film bleibt beim Individuum, nicht der Grundsatzdebatte.
Als solcher ist der Dokumentarfilm aber auf jeden Fall sehenswert. Stärker noch als Oskars Kleid, das sich spielerisch diesem Reizthema annähert, erlaubt es Mein Name ist Violeta dem Publikum da draußen zu erfahren, was es denn heißt, ein Leben als transsexueller Mensch zu führen. Das wird vermutlich kaum die hasserfüllte Gegenseite überzeugen, soll es aber auch nicht. Es reicht hier völlig, einem emotional so erhitzten Thema ein Gesicht zu geben und daran zu erinnern, um wen es bei der Diskussion eigentlich gehen sollte. Der Film ist ein Appell, anderen ihre Würde und ihre Souveränität zu lassen und sie bei der schwierigen Suche nach dem richtigen Ich zu unterstützen, anstatt ihnen unnötig das Leben schwer zu machen.
OT: „Me llamo Violeta“
Land: Spanien
Jahr: 2019
Regie: David Fernández de Castro, Marc Parramon
Drehbuch: David Fernández de Castro, Iván
Musik: Odil Bright
Kamera: Anna Molins
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