Aisha (Anna Diop) hat es geschafft: Sie hat ihre Heimat den Senegal hinter sich gelassen und dort ein neues Leben begonnen. Zu dem Zweck war sie sogar bereit, ihren kleinen Sohn zurückzulassen. Hat sie erst einmal das nötige Geld zusammen, will sie diesen nachholen – so der Plan. Dieser scheint auch aufzugehen, als sie eine Stelle als Kindermädchen bei der Geschäftsfrau Amy (Michelle Monaghan) und ihrem als Fotografen tätigen Mann Adam (Morgan Spector) bekommt. Mit beiden versteht sie sich gut, deren Tochter Rose (Rose Decker) vergöttert sie sogar regelrecht. Doch die anfängliche Idylle ist nicht von Dauer. Immer wieder kommt es zu Konflikten mit der Familie. Und dann wären da noch die eigenartigen Visionen, mit denen Aisha zu kämpfen hat …
Horror mit gesellschaftlichem Anspruch
Dass Horror mehr kann, als einfach nur andere Leute zu erschrecken, das ist kein Geheimnis. Das Genre hatte schon früher immer mal wieder bewiesen, dass Spannung und inhaltlicher Anspruch kein Widerspruch sein müssen. Und doch ist es auffällig, wie viele Titel in den letzten Jahren gesellschaftliche Komponenten enthielten. Vor allem bei Themen wie Rassismus oder Immigration haben sich Horrorfilme als dankbares Medium bewiesen, um alte wie neue Repressionen aufzuzeigen. Das bekannteste Beispiel ist sicher Get Out, das sich satirisch mit dem US-amerikanischen Vorort-Rassismus befasst. Auch Master über unheimliche Vorgänge an einer Universität und His House, das den Neustart eines aus Afrika geflüchteten Ehepaares aufzeigte, gingen in diese Richtung. Der Amazon Prime Video Beitrag Nanny versucht sich jetzt ebenfalls an einer vergleichbaren Gratwanderung.
Wobei man hier gleich vorab sagen sollte, dass der Film sich noch stärker vom Horror-Genre entfernt, als man es in diesem Bereich ohnehin oft beobachtet. Über weite Strecken ist das Spielfilmdebüt der Regisseurin und Drehbuchautorin Nikyatu Jusu mehr ein Sozialdrama, das sich mit der Situation illegal Eingewanderter in den USA befasst. Da wird der Film oft als etwas Anderes verkauft, als er letztendlich ist. Einzelne unheimliche Szenen gibt es in Nanny dabei durchaus. Aber sie sind doch eher selten und zudem lange nicht wirklich mit dem Geschehen in dem Haus des vermögenden Ehepaares verbunden. Das wird für nicht wenige sicher ein Manko sein. Wer hier reinschaltet in der Hoffnung, sich mal wieder richtig fürchten zu dürfen, der ist dann woanders vermutlich doch besser aufgehoben.
Die Geschichte einer Entfremdung
Das bedeutet aber nicht, dass es hier nichts zu sehen gibt. So zeigt der Film, der beim Sundance Film Festival 2022 Premiere feierte und den Großen Preis der Jury erhielt, auf eindrucksvolle Weise, was es heißt, in einem fremden Land anderen ausgeliefert zu sein. Zunächst ist die Beziehung zwischen Aisha und dem Paar noch eine, die von Respekt und Dankbarkeit geprägt ist. Doch je länger das Arbeitsverhältnis andauert, umso mehr gerät es in eine Schieflage. Die Spannungen nehmen zu, kleine Irritationen wachsen und wachsen. Wenn Nanny das Publikum auf die Folter spannt, wie es weitergehen wird, dann bezieht sich das eher auf die Frage, welches Ende diese Eskalationen haben wird. Wer gewinnt das einsetzende Machtspiel, wenn die junge Einwanderin um Respekt und Geld kämpft?
Ebenso interessant ist aber auch, wie Jusu die zunehmende Entfremdung der Protagonistin verbildlicht. Je länger sie in ihrer neuen Heimat bleibt, umso schwieriger fällt es ihr, noch einen Zugang zu ihrem Sohn zu finden. Die unheimlichen Erscheinungen sind eng mit ihrem afrikanischen Erbe verbunden und erzählen von einer kollektiven Vergangenheit, die sich im Hier und Jetzt den Weg an die Oberfläche bahnt. Für diese Punkte ist Nanny deshalb durchaus sehenswert, zumal auch die schauspielerischen Leistungen gut sind. Gerade das „Duell“ zwischen Anna Diop und Michelle Monaghan bringt immer mal wieder intensive Momente hervor. Wer also eine Vorliebe für Arthouse Horror hat oder eine Alternative zum zuckersüßen Einheitsbrei braucht, der bevorzugt in der Vorweihnachtszeit serviert wird, der kann hier auf jeden Fall einen Blick riskieren, selbst wenn das große Gruselvergnügen ausbleibt.
OT: „Nanny“
Land: USA
Jahr: 2022
Regie: Nikyatu Jusu
Drehbuch: Nikyatu Jusu
Musik: Tanerélle, Bartek Gliniak
Kamera: Rina Yang
Besetzung: Anna Diop, Michelle Monaghan, Sinqua Walls, Morgan Spector, Rose Decker, Leslie Uggams
Sundance Film Festival 2022
Toronto International Film Festival 2022
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