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Als Maik Balthasar (Andreas Pietschmann) im Wald tot aufgefunden wird, scheint der Fall klar zu sein. Er wurde von Mesut Günes (Sahin Eryilmaz) getötet, einem stadtbekannten Berliner Nachtclubbesitzer, der an zahlreichen Verbrechen beteiligt gewesen sein soll, dem man aber bislang nie etwas nachweisen konnte. Nicht nur dass der Tote ein verdeckter Ermittler war, der für Günes arbeitete. Es finden sich auch die Fingerabdrücke des Verdächtigen auf der Waffe. Staatsanwältin Sara Taghavi (Jasmin Tabatabai) ist optimistisch, dass mit dieser Beweislage dem Verbrecher endlich der Prozess gemacht werden kann. Doch Kommissar Robert Karow (Mark Waschke), der den Toten aus Kindheitstagen kannte, gibt sich mit den Beweisen nicht zufrieden. Gemeinsam mit Camilla (Kim Riedle), die ebenfalls in dem Nachtclub arbeitet, begibt er sich auf eine schmerzhafte Spurensuche, die ihn weit in die Vergangenheit führt …
Mehr Drama als Krimi
Wann immer beim Tatort ein Wechsel ansteht, ist die Neugierde groß: Wie wird es weitergehen? Das betrifft einerseits neue Teams, die an den Start gehen und sich beweisen müssen. Aber auch wenn jemand aus dem Team ausscheidet, oft nach vielen Jahren, darf man gespannt sein. So jetzt auch bei Das Opfer. Nachdem Nina Rubin in Das Mädchen, das allein nach Haus’ geht auf tragische Weise ums Leben gekommen ist, muss nun erst einmal Karow allein weitermachen und das Publikum ohne Begleitung bei der Stange halten. Der erste Solo-Film des Berliner Kommissars tut das auf seine Weise ganz gut, obwohl er in eine ganz andere Richtung geht, als man vorher erwartet hatte. Ein Richtung, die mit Sicherheit auch nicht bei allen gut ankommen wird.
So hätte man erwarten können, dass nach den traumatischen Ereignissen zuletzt jetzt ein Fall folgt, um ein bisschen den Kopf freizubekommen. Eine klassische Mördersuche mit viel Spannung und zahlreichen Rätseln, die von dem zurückgelassenen Kommissar gelöst werden müssen. Stattdessen setzt der erfahrene Drehbuchautor Erol Yesilkaya (Wer jetzt allein ist, Es lebe der Tod) bei seiner Geschichte voll aufs Drama. Tatsächlich wird hier so viel im Leid gestochert und an Wunden herumgearbeitet, dass das Ermitteln bei Tatort: Das Opfer immer mal wieder in den Hintergrund rückt. Man darf sich sogar fragen, ob der 1218. Teil der ARD-Krimireihe überhaupt noch ein Krimi ist. Klar geht es um die Frage, wer denn Balthasar ermordet hat, falls es Günes nicht gewesen sein sollte. Aber es geht auch um deutlich mehr.
Bewegend, aber unglaubwürdig
Genauer stellt sich früh heraus, dass der Tote und Karow sich in jungen Jahren geliebt haben. Und noch immer geht dem Polizisten seine einstige Liebe nicht aus dem Kopf. Wortwörtlich. Immer wieder unterbricht Regisseur Stefan Schaller (Polizeiruf 110: Sabine) das Geschehen durch Flashbacks. Hinzu kommen Tagebucheinträge des Verstorbenen, die zu einer Stimme aus der Vergangenheit werden. Das führt dazu, dass Tatort: Das Opfer oft nicht wirklich vorankommt und sich mehr an dem Gefühlsleben von Karow, zum Teil auch anderer Figuren abarbeitet, als an dem Fall. Der Film wird zu einer Art Therapiestunde, in der Unterdrücktes zur Sprache kommt, welches den Beteiligten lange auf dem Herzen lag, aber nicht ausgesprochen werden durfte. Da trifft Machismo auf verdrängte Leidenschaften, für die kein Platz in der Welt ist – weder bei Verbrechern noch der Polizei.
Das ist teilweise durchaus bewegend, wenn es immer mal wieder ans Eingemachte geht. Daran haben die intensiven Darstellungen auch einen erheblichen Anteil. Nur darf man sich eben nicht daran stören, wie sich die ganzen Leute hier gegenseitig oder sich selbst das Leben unnötig schwer machen. Und als Krimi ist Tatort: Das Opfer ohnehin nur mäßig. Nicht nur dass dieser Part wie beschrieben immer wieder in den Hintergrund rückt. Die Auflösung ist zudem ziemlich unbefriedigend, weil die Geschichte schon ziemlich an den Haaren herbeigezogen ist. Wer den Sonntagabend eine Mischung aus Spannung Rätselraten sehen möchte, der sieht sich besser woanders um.
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