In der Serie Gestern waren wir noch Kinder (ab 9. Januar 2023 im ZDF) spielt Damian Hardung den Schüler Peter Klettmann, der in der Nacht seines Abiturs eine traumatische Erfahrung macht und zudem sehr unter seinem dominanten Vater leidet. Jahre später scheint er sein Leben in den griff bekommen zu haben. Doch noch immer liegt der Schatten der Vergangenheit auf ihm, bis es eines Tages zu einem katastrophalen Zwischenfall kommt. Anlässlich des Starts der Dramaserie haben wir uns mit Damian über seine Rolle, den Umgang mit Traumata und schauspielerische Zeitreisen unterhalten.
Warum hast du bei Gestern waren wir noch Kinder mitgemacht? Was hat dich an der Serie gereizt?
Mich hat es gereizt, dass ich jemanden über mehrere Jahrzehnte hinweg spiele und damit weit über die übliche Teenieproblematik hinaus. Das bedeutete für mich, dass ich ganz viele neuen Themen behandeln konnte. Beispielsweise schlüpfe ich das erste Mal in eine Vaterrolle.
Was war für dich einfacher zu spielen: die jüngere Version von Peter oder die etwas ältere?
Gute Frage. Ich glaube, das kann man gar nicht so pauschal sagen. Das hing wirklich sehr stark von den einzelnen Szenen ab. Da gab es schon viele, die mir beim Dreh sehr viel Spaß gemacht haben, ohne dass das etwas mit dem Alter zu tun hatte. Ob das die Szenen sind mit dem Strick, die Szenen beim Abiball oder die mit dem Vater, wenn er von seiner Diagnose erzählt, das sind die Momente, für die ich den Job liebe und für die ich spiele.
Im Laufe der Zeit verändert sich Peter natürlich stark. Wie würdest du ihn zu dem Zeitpunkt beschreiben, an dem du das erste Mal in seine Rolle schlüpfst?
Er ist ein wahnsinniges Opfer seiner Situation. Er hat es nie wirklich geschafft, sich aus den Zwängen seiner Familie zu befreien. Und selbst wenn er es versucht, seine eigenen Impulse miteinfließen zu lassen, bleibt er doch emotional vom Vater gefangen. Er fühlt sich oft ziemlich hilflos, wie sich auch in der Szene beim Abiball zeigt. Das ist auch ein bisschen die Tragik dieser Rolle, die sich bis zu meiner letzten Szene, in der ich sie spiele, fortzieht. Erst die Diagnose von der Krankheit seines Vaters schafft es, ihn aus diesem Loch herauszuholen, in dem er immer steckte und aus dem er nicht allein herauskommen konnte. Selbst seine Ehe oder seine Kinder halfen ihm nicht daraus. Nur das Ableben des Vaters ermöglicht es ihm, sein eigenes Leben zu leben. Und selbst dann bleibt er ein Gefangener seiner Vergangenheit, weil er von dem Trauma der Abinacht verfolgt wird. Das ist für mich auch das Spannende an der Serie, weil du dich immer fragst: Was wäre gewesen, wenn er diesen Ballast nicht hätte? Welches Leben hätte er sonst führen können? Er läuft seiner Zukunft immer ein Stück hinterher, weil sein Blick nach hinten gerichtet ist.
Was glaubst du denn, was aus Peter geworden wäre ohne diese Doppelbelastung aus Vater und Trauma?
Ich finde es schön, wenn an der Stelle jeder für sich selbst ein bisschen spekulieren kann. Natürlich habe ich meine eigenen Ideen und Vermutungen. Die würde ich anderen aber nicht vordiktieren wollen. Das wäre so, als würdest du ein Gedicht schreiben und die Interpretation gleich mitliefern.
Um auf den Vater zu sprechen zu kommen: Warum ist das Verhältnis zu ihm so schwierig?
Da müsste man wahrscheinlich den Vater fragen. (lacht) Aber im Ernst, ich glaube nicht, dass Peter in der Lage ist, diese Situation schon so reflektiert zu betrachten, um zu erkennen, was er vielleicht selbst hätte ändern können. Ich würde sagen, dass er ein Opfer der Vorstellungen seines Vaters ist. Der hat sehr stringente Vorstellungen, sehr konservative Vorstellungen auch, wie man sein Leben zu leben hat. Er hat einen großen Geltungsanspruch auf die Wahrheit und will diese ganz allein definieren. Anderen überlässt er dabei nur die Wahl, sich seiner Wahrheit anzupassen oder unterzugehen. Deswegen muss sich Peter ihm so lange anpassen, bis der Vater untergeht.
Damit scheint Peter aber nicht schlecht zu fahren. Er kann bei seiner Annäherung schon einige Erfolge vorweisen: Er gründet eine Familie, hat Kinder, macht Karriere als Anwalt, führt ein solides Leben. Von außen sieht das eigentlich gut aus. Würdest du ihn als Gewinner oder Verlierer bezeichnen?
Diese Annäherung war für mich immer so etwas wie ein Stockholm-Syndrom. Er akzeptiert irgendwann die Rolle, die ihm sein Vater vorgegeben hat, weil ihm die Kraft fehlt, sich weiter dagegen aufzulehnen. Deswegen ist er für mich weit von einem Gewinner entfernt, sofern man das überhaupt plakativ in Gewinner oder Verlierer einteilen kann.
Der andere Einflussfaktor ist dieses Ereignis in der Abinacht. Was macht das mit ihm?
Ich würde sagen, dass es ein traumatisches Erlebnis ist, auch wenn das ein Wort ist, das momentan inflationär benutzt wird. Das ist ein Teil seines Bewusstseins, den er absplittet und den er mit aller Macht zu verdrängen versucht. Doch diese Verdrängung kostet viel Kraft, die ihm dann anderweitig fehlt. Er muss so sehr kämpfen, um diese Nacht von sich zu schieben, und scheitert doch daran, weil immer wieder etwas geschieht, das ihn daran erinnert und ihn zu einer Konfrontation zwingt.
Du würdest also nicht sagen, dass er das Ereignis verarbeitet hat? In seinem späteren Leben spielt es ja lange Zeit keine wirkliche Rolle, bis er wieder daran erinnert wird.
Ich kann da natürlich nur für den Peter bis zu seinem 33. Lebensjahr sprechen, also bis zu dem Alter, in dem ich ihn spiele. Wie Torben ihn für die Zeit danach angelegt hat, kann ich nicht sagen. Aber für mich ist das kein Heilungsprozess, der da eingesetzt hat, auf keinen Fall. Für mich ist das ein pathologischer Verdrängungsmechanismus. Die Geschichte mag irgendwann nicht mehr präsent sein. Aber sie schlummert noch in ihm, bis sie wieder erweckt wird. Das ist wie eine latente Infektion, die nur darauf wartet, dass das Immunsystem irgendwann schwächelt.
Denkst du denn, dass man ein solches Ereignis, wie er es durchmacht, überhaupt je wirklich verarbeiten kann?
Der Begriff der psychischen Resilienzstärke ist natürlich sehr variabel und sehr individuell. Wir haben alle Geschichten von Leuten gehört, die ganz schlimme Ereignisse erleben und unbeschädigt oder scheinbar unbeschädigt aus all dem hervorgehen. Deswegen möchte ich niemandem die Fähigkeit absprechen, adäquat auf eine solche Situation zu reagieren. Aber für jemanden, der gerade sein Abi macht, also quasi noch minderjährig ist, und der in familiären Strukturen aufgewachsen ist, in denen Kommunikation eben nicht offen vorgelebt wird, sondern es von vornherein schon Verdrängungsmechanismen gibt, ist das auf jeden Fall sehr schwierig. Ich wüsste nicht, wie man Peter einen Vorwurf dafür machen kann, wenn er es nicht schafft.
Es geht da weniger um einen Vorwurf. Ich habe mich nur selbst beim Anschauen gefragt, wie es mir damit gegangen wäre an seiner Stelle, und ob man eine solche Schuld, selbst wenn sie nicht bewusst herbeigeführt wurde, hinter sich lassen kann. Und ob man sie hinter sich lassen können sollte.
Das ist eine gute Frage und eine sehr wichtige Frage. Und es freut mich, wenn die Serie solche Fragen hervorbringt. Das Ereignis in unserer Serie spielt in den 90ern. Und ich hoffe, dass wir dreißig Jahre später einfach ein andere Kommunikationskultur haben, wenn man die aktuelle Tendenz sieht, dass immer mehr Jugendliche in Therapie gehen. Freiwillig. Dass also auch offener mit solchen Traumata umgegangen wird. Da kann es also schon sein, hoffe ich zumindest, dass wir da auf einem besseren Weg sind als früher.
Du hast vorhin schon erwähnt, dass du Peter nur bis zu seinem 33. Lebensjahr gespielt hast, danach hat Torben Liebrecht die Rolle übernommen. Gab es einen Austausch zwischen euch, wie ihr diese Figur spielen bzw. anlegen wollt?
Wir haben uns vorher schon darüber unterhalten und uns auch ausgetauscht, was unsere Ideen und unsere Gedanken dazu sind. Dennoch habe ich unterm Streich versucht, mich bis zu einem gewissen Grad freizumachen. Letztendlich liegt in der Stringenz des Lebens, dass man es vorwärts lebt, auch wenn man es erst rückwärts versteht. Ich kann deshalb nicht etwas in meinen Charakter einfließen lassen, was erst später mit ihm passieren wird. In meiner Aufgabe als Schauspieler muss ich im Moment des Spielens immer so tun, als würde ich das Ende des Drehbuchs nicht kennen. Deswegen war es für mich weniger relevant zu wissen, was nach meinem 33. Lebensjahr passiert, als es für Torben war zu verstehen, wo seine Figur herkommt. Die Vergangenheit bestimmt einen mehr als das, was noch gar nicht da ist.
Hast du beim Lesen des Drehbuchs dann nur deine Passagen gelesen oder das gesamte Drehbuch?
Tatsächlich nur meine Passagen, also das, was ich selbst spiele. Das habe ich auch bei einer anderen Serie so gemacht, dass ich Teile des Drehbuchs weggelassen habe, weil ich nicht wissen wollte, was meine Figur überhaupt nicht wissen kann. Wir Deutschen neigen gern mal dazu, Sachen zu überanalysieren, anstatt sie einfach zu machen. Bei mir ist es auf jeden Fall so. Deswegen ist es manchmal ganz hilfreich weniger zu wissen.
Die Geschichte beginnt damit, dass dein erwachsenes Ich seine Frau ermordet haben soll. Davon dürftest du beim Dreh gewusst haben. Hattest du eine Idee, ohne das Drehbuch gelesen zu haben, warum er das getan hat?
Diesen Teil des Drehbuchs habe ich natürlich gelesen und mir dann eigene Gedanken dazu gemacht. Diese Motivation, die ich für mich erarbeitet habe, ist dabei natürlich schon etwas pathologisch. Peter wächst für mich mit dieser sehr idyllischen Vorstellung auf, eine heile Familie zu haben. Das übernimmt er von seiner Mutter, die auch Jahre nach dem Tod der Tochter für sie mit am Tisch deckt bei dem Versuch, eine Familie zusammenzuhalten, die es in dem Moment gar nicht mehr gibt. Meine Idee war, dass Peter seine Frau tötet, weil das für ihn die einzige Möglichkeit ist zu verhindern, dass sie ihn verlässt und damit die Familie auflöst.
Du hast bereits gesagt, dass deine Geschichte in den 1990ern beginnt, also eine Zeit, die du selbst bewusst gar nicht mehr erlebt hast. Wie war es für dich, in diese Zeit einzutauchen?
Ich freue mich immer, wenn ich eine Zeitepoche darstelle, in der es noch keine Handys gab, weil das ganz andere Herausforderungen für mich als Schauspieler bedeutet. Du hast oft Szenen in Drehbüchern, in denen Figuren nichts Besonderes machen und zum Beispiel am Tisch sitzen. Da musst du dir überlegen, was deine Figur dann ganz konkret macht. Heute bedeutet das dann meistens, dass die irgendwie mit dem Handy beschäftigt ist. Bei Geschichten, wo das nicht möglich ist, überlegst du dir ganz eigene Doings, zum Beispiel dass jemand dauernd Musik hört. Das sind dann so kleine Tätigkeiten, die sehr viel über eine Rolle preisgeben. Deswegen finde ich es immer sehr schön, wenn man vom Handy befreit wird in einer solchen Doing-Phase.
Wenn du es dir aussuchen könntest, welche Ära oder welches Jahrzehnt hättest du gern erlebt?
Das ist auch eine gute Frage. Ich bin tatsächlich schon sehr froh, in der Zeit leben zu können, in der ich lebe. Aber ich glaube, dass es in den Nachkriegsjahren eine unglaubliche Aufbruchsstimmung gegeben haben muss. Letztes Jahr habe ich eine Serie gedreht, die in den 1950ern und 1960ern spielt, das war schon sehr spannend. Du hattest damals noch das Gefühl, dass die Zukunft definitiv besser wird als die Vergangenheit. In meiner Generation ist da diese inhärente Stimmung, dass die Zukunft nicht besser wird. Dieses Generationenversprechen, dass es deinen Kindern einmal besser gehen wird als dir, kann man jetzt nicht mehr so ohne Weiteres unterschreiben. Da fände ich es schön, auch einmal diese Sorglosigkeit zu spüren, wie sie andere Generationen gespürt haben.
Wobei es auch bei uns noch lange danach eine Aufbruchsstimmung gab, nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges dachten auch viele, dass es bergauf geht.
Das stimmt, direkt nach der Wende muss das ein unglaubliches Gefühl gewesen sein, was ich so nicht mehr miterlebt habe. Wahrscheinlich hast du das bis in die 2000er noch gehabt, mit den ersten Jahren der EU, als du noch die positiven Auswirkungen der Globalisierungen vor Augen hattest. Jetzt scheint diese Euphorie zu bröckeln. Wahrscheinlich ist diese negative Ungewissheit mit Grund dafür, dass heute immer mehr junge Menschen in Therapie gehen. Diese Zukunftsdystopien kommen immer näher. Ich will mich diesen Herausforderungen jetzt auch gar nicht entziehen und eskapistisch in eine andere Epoche fliehen. Dennoch, so ein bisschen Neid ist schon da im Hinblick auf vorherige Generationen.
Wahrscheinlich gibt es deshalb auch in vielen Filmen eine solche Nostalgie nach früheren Zeiten, die irgendwie einfacher war.
Das stimmt. Einfacher und klarer. Damals hattest du auch noch eine deutlich klarere Vorstellung von einer Nation und das Gefühl, dass Probleme auf einer nationalen Ebene gelöst werden konnten. Heute wird es viel verworrener wahrgenommen, weswegen auch diese Institutionsverdrossenheit herrscht. Es ist leicht sich machtlos zu fühlen, das Gefühl zu haben, dass die Zukunft nicht mehr in deiner eigenen Hand liegt.
Und wie sieht deine schauspielerische Zukunft aus? Wo werden wir dich sehen können?
Ich habe für die ARD eine Serie namens Unsere wunderbaren Jahre gedreht. Das ist die 60er-Jahre Serie, die ich vorhin meinte. Eine Art Familiendrama mit Katja Riemann als meiner Oma. Dann habe ich einen ganz tollen Kinofilm namens Last Song for Stella von Kilian Riedhof. Außerdem kommt eine Serie bei Amazon Prime Video mit dem Titel Save Me nach dem Roman von Monika Kasten. Eine Liebesgeschichte.
Vielen Dank für das Gespräch!
(Anzeige)