Bei der Heimgeburt ihrer kleinen Schwester stirbt die Mutter der dreizehnjährigen Lena (Lena Schönleitner). Ihr herbeieilender Vater (Christian Schönleitner) kommt zu spät und kann nur noch weinend mitansehen, wie seine Tochter sowie die Amme um seine Frau trauern. In den kommenden Wochen und Monaten wird immer deutlicher, dass das Trauma des Erlebnisses den Vater zutiefst geprägt hat, der nunmehr nur noch daheim ist und die Urne seiner Frau überallhin mitnimmt, während sich Lena vor allem um ihre Schwester kümmert. Auf einem ihrer wenigen gemeinsamen Ausflüge in die umliegende Natur werden Vater und Tochter Zeuge beobachten sie, wie ein Mann sich im Waldboden eingräbt. Daraufhin zeigt sich eine weitere Veränderung bei ihrem Vater, der beginnt, zuerst für wenige Stunden und dann mehrere Tage lang im Wald zu bleiben. Schließlich gesteht er Lena, er habe einen Weg gefunden, wieder mit seiner Frau vereint zu sein und wolle nun auch Lena den Weg zurück zu ihrer Mutter ebnen. Durch den Konsum eines Pilzes erhalte man die Möglichkeit mit den Toten zu kommunizieren, sagt er ihr weiter und ist von dieser Meinung auch nicht durch die Aussage abzubringen, dies sei alles nur Fantasie.
Während ihr Vater bald schon gar nicht mehr nach Hause kommt, ergibt sich Lena ihrem Schicksal, die einzige Person zu sein, die für ihre Schwester sorgen muss. Jedoch zeigen sich auch bei ihr wenige Veränderungen, welche zeigen, dass die Geschichte ihres Vaters doch wahr sein könnte. Als Lena beginnt, selbst Halluzinationen zu haben und nicht mehr unterscheiden kann, was real ist und was nicht, beginnt sie die Suche nach einem Gegenmittel zu dem Pilz, der unter dem Namen Mycel bekannt ist.
Dies ist kein Film
Im Spielfilmdebüt von Regisseur Daniel Limmer wird am Anfang erwähnt, dass es sich bei Enter Mycel nicht um einen Film handle und dieser unwürdig sei, dieses Etikett überhaupt zu erhalten. Dabei handelt es sich nicht um eine Distanzierung des Filmemachers oder der Produzenten von dem Projekt, sondern eher um ein „Zeichen der Gleichberechtigung in der Filmlandschaft“, wie es Limmer in seinem Regiestatement formuliert. Die Mischung aus Familiendrama, Coming-of-Age-Geschichte und Horrorfilm, welche im Wettbewerb des Filmfestivals Max Ophüls 2023 vertreten ist, wurde nämlich ohne jegliche Förderung realisiert, sodass der Beginn von Enter Mycel wohl als eine Art Kritik an einem System zu verstehen ist, welches eine bestimmte Sorte Film favorisiert.
Das Budget von gerade einmal 3000 Euro, das dem Regisseur und seinem Team zur Verfügung stand, merkt man zwar an einigen Stellen, doch sie schaffen es, dieses „Manko“ zu überspielen. Zum einen verlässt sich Limmer, der auch als Kameramann tätig war, ganz auf seine Darsteller, ebenfalls alles Laien. Ihr Spiel wird größtenteils in Nahaufnahmen eingefangen, was vielen Szenen eine ungeheure Intensität gibt und zugleich das Talent einer jungen Darstellerin wie Lena Schönleitner in Szene setzt, von der besonders in der zweiten Hälfte sehr viel gefordert wurde. Zugleich wechselt Enter Mycel von einer Art Kammerspiel um die durch das Trauma des Todes zerrüttete Familie hin zu einem surrealen Drama, das durch die winterliche Landschaft auch ästhetisch überzeugt.
Ein allumfassendes Netz
Neben dem erwähnten Fokus auf den Darstellern sind es die Bilder, insbesondere die Farbdramaturgie, welche Enter Mycel auszeichnet. Starke Kontraste oder etwa überlappende Bild- oder Audioelemente sind nur zwei Beispiele für die Ausdruckskraft dieses Filmes, der damit seine bereits benannten budgettechnischen Limitierungen kaschiert, sondern die Unsicherheit der Protagonistin nachzeichnet, die nach einer Weile nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Fantasie (oder Traum?) unterscheiden kann. Das ist teilweise sehr verwirrend, im Kontext einer Geschichte, die mit Themen wie Erneuerung und Tod spielt, aber sehr reizvoll und interessant. Besonders auf einer großen Leinwand und mit einer entsprechenden Audioanlage dürfte man als Filmfan seine helle Freude an Enter Mycel haben, der in technischer Hinsicht sehr viel richtig macht.
OT: „Enter Mycel“
Land: Österreich
Jahr: 2022
Regie: Daniel Limmer
Drehbuch: Daniel Limmer, Christian Schönleitner, Thomas Diezl
Musik: Martin Schürer, Florian Schaubmaier, Jure Stanic
Kamera: Daniel Limmer
Besetzung: Lena Schönleitner, Christian Schönleitner, Sonja Hechenberger, Friedrich Rattenbacher, Barbara Ziller
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