Acht Berge Le otto montagne The Eight Mountains
Szenenbild aus "Acht Berge" von Felix Van Groeningen und Charlotte Vandermeersch (© DCM)

Felix Van Groeningen / Charlotte Vandermeersch [Interview]

Felix Van Groeningen und Charlotte Vandermeersch 

In Acht Berge (Kinostart: 12. Januar 2023) nach dem gleichnamigen Roman von Paolo Cognetti erzählen Felix Van Groeningen und Charlotte Vandermeersch von zwei Jungen namens Bruno und Pietro, die sich in den Bergen kennenlernen. Der Film folgt ihnen über die nächsten Jahrzehnte hinweg. Während Pietro in dieser Zeit die Welt erkundet, bleibt Bruno bis zum Schluss in den Bergen. Dennoch reißt das besondere Band zwischen ihnen nie völlig ab. Wir haben uns während des Around the World in 14 Films Festivals mit Van Groeningen und Vandermeersch gesprochen, die gemeinsam Regie führten und das Drehbuch schrieben und auch im wahren Leben ein Paar sind. Im Interview reden wir über Freundschaft, den Einfluss unserer Eltern und den Gegensatz von Land und Stadt.

Könntet ihr uns ein wenig über den Entstehungsprozess von Acht Berge verraten? Wie kam es zu dem Film?

Felix Van Groeningen: Die Produktionsfirma, die die Rechte an dem Roman von Paolo Cognetti hatte, kam auf mich zu und schlug mir das Projekt vor. Sie wollte sich etwas internationaler aufstellen und deshalb hier keinen italienischen Regisseur nehmen. Da sie meine bisherigen Filme mochten, kamen sie dabei auf mich. Ich war eigentlich gar nicht auf der Suche nach einem neuen Projekt, war dann aber doch neugierig und habe mich beim Lesen in das Buch verliebt. Charlotte und ich wollten sowieso schon länger einen Film machen, bei dem wir zusammen das Drehbuch schreiben konnten. Und es fühlte sich einfach richtig an, das bei Acht Berge zu tun. Am Ende war es auch eine sehr intensive Erfahrung, zumal sie in die Zeit der Covid-Pandemie fiel.

Charlotte, was hat dir an dem Buch gefallen, dass du zugesagt hat?

Charlotte Vandermeersch: Das Buch erzählt eine vielschichtige Geschichte mit ganzen vielen Themen und hat dabei einen sehr natürlichen Flow. Was mir sehr gut gefallen hatte, war die philosophische Seite. Eine spirituelle sogar. Du kannst über die Freundschaft der beiden Männer sprechen, aber auch den Vater und das Dreieck, das er mit den beiden bildet. Du kannst über den Gegensatz von Stadt und Land oder auch Kultur und Land sprechen. Darüber, warum wir das überhaupt als Gegensatz wahrnehmen. Du hast da die ganz konkreten Ereignisse, aber auch das Metaphorische, das sich daraus ergibt. Ich liebte diese zwei Seiten der Geschichten und wollte dabei helfen, das auf die große Leinwand zu bringen. Ich hatte vorher bereits Erfahrungen gesammelt, einen Roman als Theaterstück zu adaptieren, und freute mich darauf, das jetzt auch bei einem Film zu tun.

Du hast schon die vielen Themen angeschnitten. Lass uns mit der Freundschaft anfangen. Bruno und Pietro lernen sich kennen, als sie noch sehr jung sind. Am Anfang hat man noch den Eindruck, dass sie nur deshalb Freunde werden, weil es in den Bergen außer ihnen keine Jungs in dem Alter gibt. Aber die Freundschaft hält ein Leben lang, obwohl sie sehr unterschiedliche Leben führen und sehr unterschiedliche Persönlichkeiten haben. Woher kommt diese enge Freundschaft?

Felix Van Groeningen: Tja, warum freunden sich Menschen überhaupt an? Ich denke, dass es dabei immer einen Mix aus Unterschieden und Gemeinsamkeiten braucht. Durch die Unterschiede lernen sie neue Seiten am Leben und sich selbst kennen, sehen vielleicht auch, was ihnen bislang fehlte. Gleichzeitig haben sie eine ähnliche Sensibilität und Energie, was es ihnen erlaubt, die Welt gemeinsam zu erkunden. Natürlich haben wir auch viel über das Thema Freundschaft nachgedacht und wie sehr sie das Ergebnis von Zufällen ist. Wenn es mehr Kinder gegeben hätte, wären sie vielleicht nie Freunde geworden. Wobei du auch nicht nur aus einer Notwendigkeit heraus mit jemandem befreundet sein kannst. Warum du dich mit manchen verstehst und anderen nicht, das ist immer ein Rätsel.

Charlotte Vandermeersch: Es gibt viele Gründe, warum man mit jemandem befreundet ist. Mit manchen bist du vielleicht befreundet, weil ihr voneinander ständig etwas lernen und Neues erfahren könnt. Bei anderen fühlst du dich vielleicht auch einfach sicher und kannst sein, wer du bist. In unserem Film siehst du sicherlich, wie zwei sehr unterschiedliche Jungen voneinander lernen. Pietro ist ein schüchterner Junge und schafft es durch Bruno, einen Teil von sich freizulassen. Einen wilden Teil. Bruno wiederum findet durch Pietro einen anderen Zugang zu Sprache und Wörtern. In den Bergen wird nicht viel gesprochen, weswegen es Bruno nicht gelernt hat, sich durch Worte auszudrücken und seiner poetischen Seite nachzugehen. Beide sind auf der Suche und fühlen sich zueinander hingezogen, wollen einander nah sein. Wie weit diese Anziehungskraft geht, wird dabei nie ganz ausformuliert. Die Momente, wenn sie es schaffen, sich nahezukommen, sind sehr schön. Aber es ist eine Schönheit, die mit Schmerz verbunden ist.

Du hast gerade die Wortlosigkeit in den Bergen angesprochen. Ihr benutzt selbst in Acht Berge nicht wirklich viel Wörter. Was fällt euch leichter, Geschichten durch Wörter oder durch Bilder zu erzählen? Was liegt euch mehr?

Felix Van Groeningen: Am Anfang ist es oft so, dass du mehr Wörter benutzt, um das auszudrücken, was du sagen willst, und dir vielleicht auch bewusst zu werden, was genau du sagen willst. Doch je mehr wir an dem Film arbeiten, umso mehr Wörter verschwinden mit der Zeit. Viele Szenen, die der Erklärung dienen, fallen weg. Dialoge fallen weg. Voiceovers fallen weg. Manche sind bei ihrer Arbeit vielleicht direkter und machen das Drehbuch gleich so, wie sie es am Ende haben wollen. Ich brauche da mehr Zeit und ein paar Umwege, um da anzukommen, wo ich hin will.

Hinzu kommt, dass ihr den Film auf Italienisch gedreht habt. Wie schwierig war das für euch? Konntet ihr Italienisch?

Felix Van Groeningen: Wir haben es auf dem Weg gelernt. Uns war es sehr wichtig, dass der Film auf Italienisch sein würde, weil das die Sprache des Buchs ist. Das Drehbuch haben wir am Anfang auf Flämisch geschrieben. Im nächsten Schritt wurde es ins Englische übersetzt, weil wir dabei mitverfolgen konnten, ob das funktioniert und wie unsere Geschichte in einer anderen Sprache wäre. Danach gab es eine italienische Fassung. Mit der konnten wir zunächst nichts anfangen. Wir konnten zwar erkennen, dass es immer noch unser Drehbuch ist. Es hat aber für uns keinen Sinn ergeben. Erst mit der Zeit hat das für uns funktioniert. Als wir mit den Castings begonnen haben und Schauspieler diese Sätze gesagt haben, wurde es für uns zu einer Sprache, mit der wir umgehen können.

Charlotte Vandermeersch: Dieser Prozess war wirklich nicht einfach. Aber das Schöne war, dass wir ein sehr internationales Team hatten. Dadurch kam es am Set ohnehin dazu, dass alle möglichen Sprachen gesprochen wurden.

Kommen wir zu dem zweiten Thema: Natur und Stadt. In eurem Film scheinen das zwei Welten zu sein, die wirklich voneinander getrennt sind. Es gibt so gut wie keinen Austausch zwischen ihnen, von Pietro einmal abgesehen, der sein Leben lang zwischen diesen Welten wandelt. Kann man überhaupt in beiden Welten sein, im selben Ausmaß?

Felix Van Groeningen: Manch können es bestimmt. Paolo, der Autor des Buches, ist so jemand. Er ist irgendwann in die Berge gezogen, weil er genug von der Stadt hatte und weg wollte von der Gesellschaft. Inzwischen lebt er mal dort, mal in der Stadt. Im Winter wird es in den Bergen sehr einsam, da geht er doch lieber zu den Menschen zurück.

Charlotte Vandermeersch: Aber es sind schon zwei sehr unterschiedliche Welten. Du kannst von der einen zur anderen wechseln. In beiden gleichermaßen leben zu können, ist wohl wirklich schwierig.

Felix Van Groeningen: Vermutlich ist es auch eine Sache des Alters. Je älter du bist, umso schwieriger fällt es dir, ein komplett anderes Leben zu führen. Am leichtesten ist es, wenn du noch jung bist und dich daran gewöhnen kannst. Ich habe Verwandte, die selbst in die französischen Berge gezogen sind, als eine Art Hippies. Da war es aber auch eine bewusste Entscheidung, sich zurückziehen zu wollen. Sie leben noch immer dort, auch ihre Kinder. Sie haben es zwar versucht, in die Stadt zu gehen, schafften es aber nicht, eine Verbindung zu ihr aufzubauen.

Bruno ist jemand, der in den Bergen geboren ist und diese nie verlassen hat. Er hatte zwar als Kind das Angebot, in die Stadt zu ziehen, was sein Vater aber verhinderte. Später war er so sehr in den Bergen verwurzelt, dass er nicht mehr gehen wollte. Natürlich ist es reine Spekulation, aber was wäre, wenn Bruno in der Stadt geboren wäre? Wäre er dann noch Bruno?

Charlotte Vandermeersch: Das ist eine ziemlich schwierige Frage. Da geht es auch darum, wie viel von einem Menschen angeboren ist und wie viel auf sein Umfeld zurückgeht.

Felix Van Groeningen: Ich glaube nicht, dass du die beiden trennen kannst.

Charlotte Vandermeersch: Nein, kannst du nicht. Bruno ist die Berge. Wenn du die Berge da rausnimmst, hast du jemand ganz anderen. Wir haben bei der Arbeit an dem Film Freunde von Paolo kennengelernt, die genauso sind. Du kannst dir einfach nicht vorstellen, dass sie jemals an einem anderen Ort sind.

Felix Van Groeningen: Das heißt aber nicht, dass dein Umfeld vorgibt, wer du wirst. Du hast bei diesen Freunden von Paolo jemanden, der sehr engstirnig ist, rassistisch sogar. Ein anderer ist sehr offen und liest sehr viel. Beide sind sie an die Berge gebunden und könnten diese nie verlassen. Und doch sind sie völlig unterschiedlich.

Ein weiterer großer Einfluss im Leben der Menschen sind die Eltern, wie man auch in Acht Berge sehen kann. Bei beiden Jungs spielen die Väter eine große Rolle. Wenn ihr auf euer eigenes Leben zurückblickt, wie sehr seid ihr durch eure Eltern geprägt worden?

Felix Van Groeningen: Meine Erziehung war eine sehr offene, mit viel Vertrauen und Freiheiten. Ehrlichkeit war auch sehr wichtig. Gleichzeitig war es kein sehr stabiles Zuhause. Es gab viele Krisen und Dramen bei uns. Es war ein chaotisches Leben, wild. Und ich war ein Teil davon. Insgesamt bin ich dankbar dafür und würde nicht viel daran ändern wollen. Was ich vermisse, ist dass wir nicht viel Zeit zusammen als Familie verbracht haben.

Charlotte Vandermeersch: Das ist ein Thema, das uns selbst sehr beschäftigt, da wir selbst Eltern eines vierjährigen Sohns sind. Da denkst du automatisch an die Zeit zurück, in denen du vier warst. Daran, was du bekommen hast. Daran, was du nicht bekommen hast. Wahrscheinlich bin ich sehr viel stärker durch meine Eltern geprägt, als ich es mir bewusst bin. So wie sie von ihren Eltern geprägt wurden. Das ist etwas, worüber ich viel nachdenke, gerade auch im Hinblick darauf, was weitergegeben werden soll und was nicht.

Wir haben uns jetzt über eine ganze Reihe von Themen unterhalten, die in dem Film vorkommen und die zum Nachdenken anregen. Was habt ihr für euch selbst aus Acht Berge mitgenommen?

Felix Van Groeningen: Ich habe für mich aus dem Film mitgenommen, etwas entspannter zu arbeiten. Ich neige dazu, mich immer sehr unter Druck zu setzen und mir alles Mögliche auszumalen, was schiefgehen könnte. Dabei bringt das gar nichts. Besser ist es, wenn du das auf dich zukommen lässt. Denn selbst wenn alles schiefgehen sollte, bringt es dir nichts, dir vorher Sorgen gemacht zu haben. Das heißt nicht, dass alles egal ist. Natürlich musst du hart arbeiten und dein Bestes geben. Aber du kannst nicht alles beeinflussen, was in deinem Leben geschieht. Es ist zwar ein Klischee, wenn dir Leute sagen, dass du mehr loslassen musst. Aber eben ein Klischee, an dem einiges wahr ist und eine wertvolle Lektion, die wir viel häufiger lernen müssten.

Charlotte Vandermeersch: Akzeptanz ist etwas, das sehr wichtig ist, gerade auch im Hinblick auf das Ende. Das haben wir direkt aus dem Buch genommen und wollten es nicht ändern. Natürlich kannst du traurig sein und dir wünschen, dass alles anders gekommen wäre. Aber du musst lernen damit zu leben. Du kannst immer nur versuchen, das Beste zu machen, und das Leben so zu nehmen, wie es kommt. Auch dankbar zu sein für das, was wir finden und erleben.

Vielen Dank für das Gespräch!



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